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Graphik seit Picasso

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Ein erstaunlich reiches graphisches Werk hat der erst einundvierzig-jährige Alfred Hrdlicka geschaffen, das bis zum .4. Mai von der Graphischen Sammlung Alberfrina im unteren Auststellumgsraum gezeigt wird. Hrdlicka,, der als Maler begann und dann Bildhauer und Graphiker wurde, demonstriert sich in ihm als eine der stärksten Begabungen der Nachkriegszeit. Politisch wie menschlich engagiert, arbeitet er von der Betonung des Inhaltes aus, in dem eine private Mythologie des Verbrechens — die Zyklen „Martha Beck“, „Haarmann“, „Winkelmann“ —, der Protest gegen bürgerliche und kapitalistische Unmenschlichkeit und Verlogenheit — nicht ohne einer geheimen Lust am Gegenstand — die wesentlichen Themen bilden. Von Hrdlicka aus gesehen, ist die menschliche Existenz eine Hölle, ein infernalischer Reigen des Depravierten und Abwegigen, in dem von ihm der rein fleischliche Wert, das sahlachtviöhartige des Menschen hervorgehoben wird. Das geschieht unter starker Betonung des Karikaturistischen, wobei der Stil Hrdlic-kas bei aller Phantastik „naturalistisch“ ist und seine Virtuosität von Elementen Rembrandts, Goyas, Pioassos, George. Grosz' gespeist wird. Seine Erfindungen sind nicht Formerfindungen, und es ist bezeichnend, daß er nur in der Reproduktion und Parodie der „Nachtwache“ zu einer Ganzheit der Form kommt. In seinen Kartons sind übrigens auch Anklänge an die Mexikaner, an Rivera, Siqueiros und Orozko feststellbar; in dieser formalen Beziehung ist auch eine geistige Verwandtschaft spürbar — siehe dazu auch seine frühen Zeichnungen, die mit jenen Rudolf Schönwalds parallel laufen. Was an seinen Arbeiten stark berührt, ist die intensive Ehrlichkeit, die in sich gekehrte Verbohrtheit, die mehr dem Künstler selbst die Haut abzieht als der Welt, da kerne Wahrheit so einseitig aussieht wie Hrdlickas Graphiken. Aber ihre leidvolle Intensität verrät einen Weg, dem noch vieles zum Opfer fallen muß, soll aus der verdammten Fleischlichkeit eine wirkliche Auferstehung des Fleisches in seinen Blättern entstehen. Die Ausstellung moderner französischer Graphik „Von Picasso bis Heute“ — ein nicht gerade taktvoller Titel, solange der Künstler noch lebt — ist eine der größten Enttäuschungen der letzten Zeit. In Auswahl, Ausstattung und Aufmachung (Plakat und Katalog!) dieser Kunst-\ nation gleich unwürdig, präsentiert sie unter eine Fülle modischer Belanglosigkeiten, die hier nur wieder provinziellen Übermut anspornen können, zum Beispiel aus der überreichen graphischen Produktion Picassos im letzten Jahr, die wohl schlechtesten Graphiken, die er je verfertigt hat. Auch Chagall ist mit drei matten Lithos vertreten, während von Miro nur sein „Kopf mit aufgehender Sonne“ verrät, was für ein lyrischer Graphiker er sein kann Soulages Gravuren wirken wie Reproduktionen seiner Bilder — und nicht der besten — von Tal Coats nichtssagenden Zeichen „Longeant la falaise“ noch am stärksten. Wenn in dieser Ausstellung die bloß geschmackvoll dekorativen alber technisch raffinierten Blätter von Friedländer und die Graphiken von Mas-son hervorragen, dann kann man sich vorstellen, daß in ihr mit seltener Eindringlichkeit geistige und künstlerische Stagnation dokumentiert wird.

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