Durch Schöpfung gewaltsam verändern

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Alfred Hrdlicka stellt alles andere als straffes Fleisch aus den Wellness-Studios dar, so der Jesuit und Hrdlicka-Freund Friedhelm Mennekes.

Seit Jahren sind der deutsche Jesuit Friedhelm Mennekes, der mit seiner KunstStation St. Peter in Köln ein kirchlicher Vorreiter der Auseinandersetzung mit Gegenwartskunst ist, und Alfred Hrdlicka befreundet. Der nackte Christus-Torso, die Diplomarbeit Hrdlickas bei Fritz Wotruba, löste noch 1993 einen Sturm der Entrüstung aus, als Mennekes die Skulptur in der Apsis von St. Peter in Köln aufstellen ließ. Mennekes, 61, der in Wien auch an der "Angewandten" lehrte, ist als Ausstellungsmacher und für seine Auseinandersetzungen mit dem Werk von Joseph Beuys, Francis Bacon, Hermann Nitsch und Arnulf Rainer bekannt. Ein Gespräch anlässlich der Hrdlicka-Ausstellung in Wien.

die furche: Sie sagen, zwischen der theologischen Aussage "Und das Wort ist Fleisch geworden" bei Johannes und dem Kunst gewordenen Wort bei Hrdlicka gibt es eine starke Beziehung.

Mennekes: Anfangs war ich verblüfft, dass Hrdlicka, trotz seiner sozialistischen Biographie ein Mensch ist, der die unglaubliche Unbefangenheit hat, sich mit Positionen des Geistigen jedweder Art zu befassen.

Er hat keine Scheuklappen. Er hat nicht diese westeuropäische Tour der Aufklärung, welche die Religion ablehnt. Ganz im Gegenteil. Das ist ein ganz entscheidender Faktor in seiner Kunst, und das war immer auch etwas, was ich als eine Art Respekt gegenüber der Religion und mir als katholischem Seelsorger begriffen habe. Da gibt es wirklich einen tiefen, ich möchte fast sagen verehrenden Umgang mit dem anderen.

Was Hrdlicka da treibt? Am Anfang war es sein Interesse an der Liebe, am menschlichen Begehren nach dem Religiösen, nach dem Anderen, nach dem Übersteigen der Realität. Da ist er ja einer, der auch aus religiösem Blick den Marxismus sehr stark kritisiert. Er sagt, Marx war eigentlich ein kaltschnäuziger Analytiker, der sich um die großen gesellschaftlichen Belange kümmerte, aber das Schicksal des Einzelnen focht ihn wenig an. Genau hier aber hat die Religion ihren Ort.

Obwohl Hrdlicka seinem Atheismus treu bleibt, gibt es da interessante Wechselwirkungen zur Religion: Dass er auf der einen Seite die Religion als System akzeptiert und für unentbehrlich hält, auf der anderen Seite aber sich diesem System persönlich nicht einhängt. Bei einer Ausstellung, die wir gemacht haben, hat er eine Inszenierung - zwölf Meter hoch - geschaffen vom "Tod des Demonstranten" über seine klassische Kreuzigungsgruppe bis zur Auferstehung. Ich habe ihn dann gefragt: Sie stellen die Auferstehung dar, und Sie glauben doch gar nicht! Das geht doch gar nicht, hat er geantwortet: Religion ohne Auferstehung, da fehlte ja die Substanz! Wer hat das je so handfest gesagt? Ich kann nicht sagen, das sei ein persönliches Glaubensbekenntnis gewesen, aber es ist ein Verhandeln des Religiösen als Ganzes, das heißt: Religion hat eine Kraft, die über die Realität hinausgreift.

Und das hängt mit einem Begriff zusammen, der bei Hrdlicka leitend ist, dem Inkarnatorischen: Hrdlickas Kunst bringt Gedanken in die materielle Basis, die, auf den Menschen bezogen, natürlich dann das Fleisch ist. Hrdlicka will aber eben nicht nur analytische Konstruktionen, sondern will, dass durch Schöpfung die Welt gewaltsam - in weitem Sinn gemeint, mit Wirkung - verändert wird. Wenn Sie das Evangelium sehen, dann sind die, die in diese Schöpfungsgegebenheit eingehen, "Menschen, die Macht haben, Kinder Gottes" zu werden. Anders gesagt: Die Macht und die Kraft haben, die Welt, auf die die Schöpfung hin angelegt ist, zu bewirken. Und da sieht man sehr starke strukturelle Parallelen, die sehr verblüffend sind.

die furche: Eine der Skulpturen in der Ausstellung heißt: "Inkarnation". Ist dies ein künstlerischer Ausdruck für das?

Mennekes: Genau. Aber das gilt bei Hrdlicka von Anfang an. Und diese Inkarnation gibt es ja auch in den Zeichnungen: Da greift er nicht von ungefähr zu dieser theologischen Vorstellung.

die furche: Bei den graphischen Arbeiten scheinen oft Existenzielles und Banales nahe beieinander. Da ist die "Matthäuspassion", in der Jesu Leiden mit "banalen" Szenen dargestellt wird, daneben hängt "Magendurchbruch", wo Figuren Pietá-haft angeordnet sind.

Mennekes: Hier handelt es sich um den Pasolini-Zyklus. Pasolini war ja auch ein marxistischer Christ, einer, der an die Gestalt Jesu geglaubt und auch in Szene gesetzt hat, und der davon ausgeht, dass diese Christusgestalt sich ständig erneuert: Da sind immer wieder neue Menschen, die in die Nachfolge dieser Figur eingehen und dann von dort her diese Figur erneuern. Das ist die Grundaussage, die Hrdlicka mir auch bestätigt hat. Wenn er heute frage: Wo ist eine solche Figur die die ganze intellektuelle, menschliche, revolutionäre Kraft bindet, dann ist es für ihn Pasolini. Die Arbeiten des Zyklus sind ja aus dem Schock über den Tod Pasolinis 1975 entstanden, der auch eine strukturelle Hinrichtung war.

Und da geht Hrdlicka hin und liest diese Biographie mit dem Schema Jesus im Hintergrund; so mischen sich christliche Ikonographie und persönliche Lebensgeschichte ineinander. Da kommen diese verblüffende Dinge, die zum Teil einen christlich-naiven Zublick verwirren und schockieren. Es ist aber sehr wichtig, dass man zunächst die Aktualisierung der alten Geschichten sieht. Jetzt kann man natürlich sagen, da kommen diese Banalitäten herein, die Angst, die Sexualität ... Das hat aber mit dem Menschen zu tun: Der ist ja nicht nur straffes Fleisch aus den Wellness-Studios, wie wir sie heute in unserer Mitte haben, sondern Fleisch ist eben auch alterndes, lustvolles, krankes. Fleisch ist Basis für falsche Hoffnung, und für falsche Wünsche; der Mensch raubt gewaltsam das Fleisch, das sich ihm verwehrt, im Fleisch geht der Mensch bis in tiefste Erniedrigungen, aber auch in höchste ästhetische, in menschliche Höhen. Es ist bei Hrdlicka wichtig, dass das dazugehört. Es ist von daher eine Ästhetik, die anti-ästhetisch ist. Er will Kunst machen, um dem menschlichen Leben, dem Ringen um ein Bild vom Menschen nahe zu kommen. Das ist das Altväterliche, von vielen Leuten belächelte Konservative, Gestrige dieser Kunst.

die furche: Was unterscheidet den religiösen vom weltlichen Hrdlicka? Was unterscheidet eine Plastik des biblischen Samson von einer des ermordeten französischen Revolutionärs Marat?

Mennekes: Hrdlicka ist mit allen künstlerischen Wassern gewaschen: Er ist ein Abstrakter, ein Konzeptionalist, er ist politisch orientiert, er ist im naturalistischen Sinn ein "klassischer" Bildhauer. Und er ist einer, der Geschichten packt. Da gibt es politische Geschichten in der Bibel, und es gibt politische Geschichten in der Politik. So können Gestalten der Bibel - Samson, Johannes der Täufer - revolutionäre, heldenhafte Qualitäten entfalten - wie Marat. Diese Figuren sind ja zweiwertig, nicht nur die Heiligen, Makellosen, die wir so hoch stilisieren. Wir haben hier wie dort Menschen in ihrer menschlichen Dimension. Wenn Hrdlicka sie aufnimmt für die Bedeutsamkeit der Geschichte der Menschen und der Aufklärung des Menschen, dann können natürlich da Parallelen auftauchen. Man muss immer sehen: Das wird geschaffen aus dem einen Pathos, dem einen Duktus.

Hrdlicka-Ausstellung im palais harrach

Geschundene Fleischberge

Diesmal beheimatet das Palais Harrach nicht nur Bilder, sondern auch Plastiken. Der Künstler ist Alfred Hrdlicka, bei dem man in erster Linie an den Bildhauer denkt, der aber genauso auch Maler, Zeichner und Radierer ist. Rund 200 Exponate des Künstlers sind nun bis Ende Februar im ersten Stock des barocken Stadthauses in Wien zu sehen. Bekannt ist auch die rhetorische Gabe des 1928 Geborenen, als Wortgewaltiger und Unbequemer hat er auch jenseits seiner Kunst in der Vergangenheit Schlagzeilen gemacht. Diese Eigenschaft steht hier nicht im Vordergrund, denn dort steht die Kunst, seine Kunst.

Für ihn muss das Bild noch vor dem (biblischen) Wort existiert haben und für ihn, den als Atheisten bekannt Gewordenen, ist die - wohlgemerkt gegenständliche - Kunst nicht aus dem Katholizismus wegzudenken. Sein Werk erzählt von den Themen, die ihm wichtig sind und die lassen sich unter Gewalt und Sexualität subsummieren. Sie finden sich hier in einzelnen Blättern oder Zyklen unter anderem über die französische Revolution und die Revolution von 1848; in seiner Auseinandersetzung mit Schubert und Pasolini, in Hommagen an andere Künstlern. Menschliche Torsi, ob in ihrer ungezügelten Kraft oder als geschundene Fleischberge, sie geben ein gewaltiges Spektakel ab und stehen in einem merkwürdigen Gegensatz zu den Kleinplastiken der letzten Zeit. M. G. Martinkowic

Bis 27. März

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