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Tolerant bei Sex und Gewalt?

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Dramatische Werke auf Bühne, Leinwand und Bildschirm sind heute oft eine Provokation. Verbote schaden, das Publikum müßte sich artikulieren.

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Dramatische Werke auf Bühne, Leinwand und Bildschirm sind heute oft eine Provokation. Verbote schaden, das Publikum müßte sich artikulieren.

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Wieweit ist gegenüber moderner Kunst mit ihren „Tabubrüchen” Toleranz geboten? Die langjährige Ordinaria für Theaterwissenschaft an der Universität Wien, Margret Dietrich, hält diese Frage für ein „ungemein komplexes und vernetz-tes Feld”, was mit der Schwierigkeit zusammenhänge, „daß Kunst auf emotionalen Werten beruht, weniger auf rationalen”.

Aus gesundheitlichen Gründen hat sie seit Jahren keine Aufführung im Theater gesehen und will daher keine Inszenierung der jüngeren Zeit als absolut untolerierbar hervorheben, einige Proben im Fernsehen hätten ihr aber „so gereicht, daß ich die Eindrücke verdrängt habe”.

Eine besonders unappetitliche Szene, der sie sich doch entsinnt, kommentiert sie so: „Was mich zur Übelkeit bringt, ist keine Verletzung meines sittlichen Bürgertums, sondern ist einfach ein widerliches physisches, psychisches und geistiges Sensorium. Sowas halte ich für nicht tolerierbar.”

Beim Zeigen von Schamteilen -„der Mensch ist ein Schamwesen, von sämtlichen Kulturen wissen wir, daß es Schamkultur gegeben hat” fangen für sie die Grenzen des In tolerierbaren an. Vor allem das Fernsehen zeige vieles, „was ich nicht tolerieren kann”, eine Brutalität, die noch schlimmer sei als die Sexuali-sierung, Grenzen habe sie „noch nicht entdeckt”. Angesichts der heutigen TV-Industrie, des Kampfes um Einschaltquoten, resümiert Margret Dietrich: „Wir sind im Grunde in einer verzweifelten Situation.”

Sie nennt vier Grundpfeiler - Geschmack, Sittlichkeit, öffentliche Kultur (Tradition und Brauchtum) und Takt, auf denen, falls alle entwickelt sind, Toleranz aufbauen kann. Es gehe um eine „Verfeinerung” des Geschmacks und eine Stärkung der anderen Grundpfeiler, „bis wir wieder so weit sind, daß das Unkultivierte nicht gleichzeitig mit Lust ge-nossen wird”. Mit ' Verboten erreiche man genau das Gegenteil, Proteste seien aber angebracht.

Werden menschliche Grundrechte verletzt, ist für Margret Dietrich Töleranz zu Ende, auch die „Freiheit der Kunst” habe Grenzen: „Freiheit ohne Verantwortung ist für mich unverantwortlich.”

Das Publikum habe als gleichberechtigter Partner des Künstlers Anspruch auf Respekt, sowohl das alte wie auch das junge. Traditionen so zu zerschlagen, „daß man ganze Altersstufen zum Friedhofsgemüse erklärt”, sei ebenso fragwürdig, wie nur auf die Alten zu vertrauen und nur auf deren „hergebrachte Werte zu pochen und ganze Generationen in diese zu pressen, weil sie die einzig wahren seien”. Klassiker solle man lieber gar nicht spielen als sie aus der Sicht unserer Zeit lächerlich zu machen und zu „demontieren”.

Das Wiener Antifaschismus-Denkmal von Alfred Hrdlicka sieht Dietrich als „wunderbares Beispiel” dafür an, wie kompliziert Diskussionen über Kunst und Toleranz seien, weil da soviel mitspiele. In diesem Fall: die Errichtung auf einem „fast heiligen Boden”, wo noch zahlreiche Bombenopfer liegen, das Bestreben, ein Kunstwerk gegen den Antisemitismus zu schaffen, die Wahl eines anerkannten Künstlers wie Hrdlicka, die Herstellung des nicht jedem ohne Erklärungen zugänglichen Denkmals, die Auseinandersetzungen um Hrdlicka, in denen seine Billigung des Stalinismus zum Ausdruck kam. Hier noch die Frage der Toleranz zu beantworten, ist Margret Dietrich „fast zu kompliziert”.

„Moderne Kunst ist oft eine Nagelprobe für Toleranz”, hat der Kärntner Bischof Egon Kapellari jüngst in einem „Kleine Zeitung”-Interview festgestellt und zur Frage der Blasphemie gesagt: „Ich glaube nicht, daß es meine Aufgabe als Bischof ist, überall einzuschreiten, wo Tabus gebrochen werden.”

Auch Margret Dietrich meint, sie lasse die Frage der Tolerierbarkeit oft an sich „vorbeigehen”, wenn sie nicht durch direkte Erfahrung „tief verletzt” sei. In diesem Sinn tritt sie eindeutig gegen Leute auf, die ohne „Kenntnis von Autor, Stück oder sonst etwas”, nur „von außen aufgehetzt und manipuliert”, gegen dramatische Werke zu Felde ziehen. Man solle keineswegs alles tolerieren, aber Intoleranz ohne Information sei entschieden abzulehnen.

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