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Kunstwerke verlangen Geduld. Was sie mit dem Glauben zu tun haben, zeigt sich mitunter erst nach langen Mühen. Das gilt auch fürs Kreuz in der Kunst.

Kunst und Religion haben im 20. Jahrhundert und in der Gegenwart nur mehr sehr wenig miteinander zu tun. Diese Behauptung wird gerne wiederholt, ist aber falsch. Bei genauem Hinsehen zeigt sich etwas ganz anderes. In den letzten hundert Jahren ist vielfach ans Mittelalter angeknüpft worden. Weder im Barock noch in der Renaissance war die Verbindung zwischen Kunst und Religion so eng, wie seit dem frühen 20. Jahrhundert. Wolfgang Ullrich beschreibt das unterhaltsam und scharf in seinem Buch "An die Kunst glauben.“ Bei dem dort beschriebenen Glauben handelt es sich allerdings nicht mehr um den christlichen, und wenn von Religion die Rede ist, wird auch nicht mehr das Christentum gemeint. Die Kunst hat längst eigene Andachtsstätten, eigene Formen von Devotion, eigene Systeme der Sinnfindung.

Eine Frage der Unterscheidung

Viel wichtiger als die Fragen nach einer möglichen Verbindung von Kunst und Religion ist daher die Frage der Unterscheidung. Wie kann ich die Kunst einer selbst geschaffenen Religion von einer Kunst unterscheiden, in der das alte Erbe des Glaubens noch enthalten ist? Diese Frage stellt sich besonders dann, wenn alte Symbole verwendet werden.

Unter den alten Symbolen des Christentums ist das Kreuz am weitesten verbreitet. In der Kunst der letzten 100 Jahre taucht es oft auf, sei es im Film, in der Malerei, der Bildhauerei und Zeichnung, auch in der Fotografie und in der Performance-Kunst. Die Frage ist bloß, was taucht da auf. Wenn vom Kreuz die Rede ist, wird ja meistens nicht einmal ein Unterschied gemacht zwischen dem Symbol des Kreuzes und einer Darstellung des Gekreuzigten, also zwischen Kreuz und Kruzifixus.

Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts gibt es in der Kunst jede Menge Kreuze und Kreuzerln. Antoni Tàpies und Joseph Beuys verwenden häufig Kreuzformen. Gekreuzigte gibt es bei Lucio Fontana oder Francis Bacon. Es ließe sich eine lange Liste von international bekannten und weniger prominenten Künstlerinnen und Künstlern zusammenstellen. Das Vorkommen des Motivs sagt aber gar nichts aus über die religiöse Bedeutung der jeweiligen Arbeit.

Noch weniger zeigt sich darin die Bedeutsamkeit einer Arbeit für den christlichen Glauben. Ist es ein neuer Gnostizismus, der hier in Kunstwerken Gestalt annimmt? Oder wird ein neuer Zugang zur Überlieferung des christlichen Glaubens ermöglicht? Entscheidend ist dabei auch die Rolle der Betrachter. Lassen sie sich auf das Kunstwerk ein, muten sie ihm etwas zu? Dass der Glaube an Gott Geduld verlangt und mit viel Mühe gesucht werden soll, hat Tomás Halík in seinem Buch "Geduld mit Gott“ wunderbar gezeigt. Auch mit Kunstwerken muss ich Geduld haben. Was sie mit dem Glauben zu tun haben, zeigt sich manchmal erst nach langen Mühen.

Kreuz mit Frosch, Kreuz aus Lego

Ich möchte das an zwei Kunstwerken zeigen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Das eine steht in der Tradition der Darstellungen des leidenden Heilands am Kreuz, das andere in der Tradition von Kreuzen ohne Gekreuzigten, die in den frühen Jahrhunderten des Christentums das Kreuz als Siegeszeichen repräsentierten.

1990 ließ Martin Kippenberger nach seinem Entwurf von einem Tiroler Herrgottsschnitzer mehrere Skulpturen schnitzen. Diese Frösche in der Haltung eines Gekreuzigten, mit aufgerissenem Maul, heraushängender Zunge und mit Lendenschurz wurden zum Teil bemalt und auf Kreuzen aus Keilrahmenleisten befes-tigt. Die Gestalt des Gekreuzigten wird von diesen erbärmlichen Gestalten aus einem Meer von Kitsch und Schund gerettet.

Vielen fällt es ja gar nicht mehr auf, zu welcher Belanglosigkeit die Gekreuzigten der Herrgottsindustrie verkommen sind. Hier ist nun eine Gestalt, die das Erbärmliche und Schreckliche dieses Hängens am Kreuz vor Augen führt. Mehr noch: Der Frosch hält in der Rechten einen Bierkrug mit überschäumendem Bier, in der Linken ein Ei. Das Überschäumen des Biers kann als Inbegriff der Fülle verstanden werden, das Ei als Symbol des Lebens. Beides weist hin auf ein Leben in Fülle. "Er hatte keine schöne und edle Gestalt, sodass wir ihn anschauen mochten. Er sah nicht so aus, dass wir Gefallen fanden an ihm.“ (Jes 53,2) Diese Aussage aus dem vierten Gottesknechtlied wird auf Jesus bezogen. Auch das kann einem vor dem gekreuzigten Frosch in den Sinn kommen. Sicher eignet er sich nicht für einen Andachtsraum. Er zählt aber für mich zu den überzeugendsten und stärksten Bildern des Gekreuzigten in der Gegenwart. Hier wird deutlich, worum es geht. Kippenberger hat etwas geschaffen, das mehr mit dem Glauben zu tun hat als die Fülle jener Werke, die als Zeugen für Spiritualität in der gegenwärtigen Kunst angeführt werden.

Für die Wiener Jesuitenkirche hat Manfred Erjautz 2004 ein Kreuz aus Lego geschaffen. Wer nicht genau hinschaute konnte meinen, es sei der Gekreuzigte durch ein Lastauto ersetzt worden. Doch ist das Auto in den horizontalen Kreuzbalken eingebaut. Das Kreuz selber besteht aus durchsichtigen Steinen, über einem weißen Schaft. Das Blau, Gelb und Rot des Lastautos zusammen mit den kristallklaren Steinen erinnern an mit Edelsteinen besetzte Kreuze aus Bergkristall. Die Türen des Lastautos sind offen. Innen ist das Wort Transport zu lesen. Das Kreuz ist hier ein Transportmittel, am Kreuz trägt Jesus die Schuld der Welt, er trägt sie fort, er eröffnet ein neues Leben und lädt alle dazu ein. Das Kreuz als Siegeszeichen hat hier ganz und gar nichts Triumphales. Es ist aus einem Material geformt, das allen Kindern vertraut und sehr einfach ist. Das Kreuz von Manfred Erjautz wird nicht in der Liturgie verwendet, hat aber seinen Ort auf der Kanzel im Kirchenraum gefunden.

Der Frosch von Kippenberger und das Lego-Kreuz von Erjautz stecken das weite Feld von Darstellungen des Kreuzes in der modernen und zeitgenössischen Bildhauerei ab. Eben diesem Feld ist eine Ausstellung gewidmet, die zurzeit im Wiener Dommuseum zu sehen ist. Die Kuratorin Dagmar Chobot hat das Thema sehr weit gefasst und versteht das Kreuz als Symbol in Religion und Mythos. Der Gefahr des Banalen sucht sie dadurch zu entgehen, dass sie auf die Qualität der Kunst setzt und die Ausstellung "ein Herausschälen aus dem klerikalen Kontext demonstrieren“ soll.

Eine Sache auf Leben und Tod

Herausgekommen ist eine Ansammlung von Werken, die als Bilder des Leides oder des Sieges eher beiläufig bleiben. Die Demonstration des Handwerklichen überwiegt bei Weitem die Kraft des Künstlerischen. Ein schlichtes Kruzifix von Alfred Hrdlicka ist die überraschende Ausnahme. Die übrigen Arbeiten sind Zeugnisse soliden bildhauerischen Könnens und guten Designs.

Dass es auch in unserer Zeit Kreuzformen in der Bildhauerei gibt, ist jedoch ziemlich belanglos. Es bräuchte Kunstwerke, die an den Rand des Endes bringen, wo Schrecken und Grauen regieren angesichts von Not, Ungerechtigkeit und Ausweglosigkeit.

Und es bräuchte Kunstwerke, die einen Horizont eröffnen, in dem das Ende als Tor, als Weg auf etwas hin erkennbar wird. Zu meinen, das Thema Kreuz ließe sich ins allgemein Kulturhistorische auflösen ist völlig ungenügend angesichts der Bedeutung, die das Kreuz durch das Christentum bekommen hat. Auch Künstlern muss das gesagt werden. Das Kreuz ist nun einmal eine Sache auf Leben und Tod geworden.

Der Autor ist Rektor der Jesuitenkirche in Wien I.

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