Werbung
Werbung
Werbung

Durch das Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes in Straßburg, nach dem Kreuze in öffentlichen Klassenzimmern nicht mit der Menschenrechtskonvention in Einklang stehen, gehen Wogen hoch. In dieser Debatte wird aber oft eine wichtige Unterscheidung übersehen.

Mit großer Regelmäßigkeit taucht ein Konflikt um religiöse Symbole auf, der besonders ärgerlich ist, weil er auf sachlicher Unkenntnis beruht: der Streit um das Kreuz in den Schulklassen. Nicht nur die Medien, sondern auch die Sprecher religiöser Gruppierungen unterscheiden kaum zwischen Kreuz und Kruzifix.

Um es vorneweg kurz zu sagen: Das Kreuz – aus zwei gekreuzten Balken oder Strichen – ist ein Symbol. Das Kruzifix – die figürliche oder bildliche Darstellung des „crucifixus“, des Gekreuzigten – ist ein Bildwerk, also eine realitätsnahe Darstellung der Hinrichtung des Jesus von Nazaret. Wer diesen Unterschied nicht beachtet, kann dem Problem nicht gerecht werden.

Das einfache Kreuz als Symbol ist ein schlichtes Bekenntnis zum christlichen Glauben. Als Anstecker bei Klerikern, als Anhänger um den Hals von Gläubigen oder an der Wand in jenen Räumen, in denen Christen leben und arbeiten, hat dieses Symbol seinen guten Ort. Es ist nicht einzusehen, warum man etwa in Schulklassen ein ähnliches Symbol des Glaubens nicht auch den Mitgliedern anderer Religionen zubilligen sollte.

Das nach der Zahl der Betroffenen zu bemessen, scheint allerdings kleinlich. Warum sollte man nicht auch einem einzigen bekennenden Moslem zugestehen, neben dem Kreuz auch sein Symbol in der Klasse hängen zu sehen? Das wäre ein besseres Zeichen von Toleranz, als gleich sämtliche religiösen Symbole zu verbieten.

Ganz anders verhält es sich mit dem Kruzifix, der bildhaften Darstellung der Kreuzigung Jesu. Bekanntlich war sie im Christentum jahrhundertelang verpönt. Würden wir einen Galgen samt Puppe über unseren Altäre errichten, wenn man Jesus auf diese Weise ums Leben gebracht hätte? Eigentlich ist es schon skurril, sich die figürliche Darstellung einer Hinrichtung um den Hals zu hängen. Die allgemeine Gedankenlosigkeit wird an überdimensionierten Glitzerkreuzen im üppigen Ausschnitt weiblicher Popikonen besonders deutlich. Doch sind auch die goldenen Kruzifixe unter dem Sakko bischöflicher Würdenträger ziemlich deplatziert – zumal sie gern aus praktischen Gründen in der Innentasche verstaut werden. Dann quert nur mehr eine schlichte goldene Kette in geziemender Demut die bischöfliche Brust.

Sorgfältige Unterscheidung

Man sollte sich für den kirchlichen Bereich um eine sorgfältige Unterscheidung zwischen dem Symbol des Kreuzes einerseits und der bildhaften Darstellung im Kruzifix andrerseits bemühen. Eine Hinrichtung ist als Schmuck – denn das ist ein Ornament – nicht nur ungeeignet, sondern leistet auch der allgemeinen Trivialisierung Vorschub: Beobachter aus anderen Religionen bemerken häufig befremdet, wie Christen die Grausamkeit des Todes Jesu banalisieren. Der Respekt vor dem Kruzifix könnte sich darin ausdrücken, dass man es selten und mit Ehrfurcht verwendet. Die Enthüllung und Verehrung des Kreuzes in der Karfreitagsliturgie bezeugt noch heute, wie man das früher sah und praktizierte. Heute hingegen hat man manchmal den Eindruck, man müsse das Kreuz vor jenen schützen, die es polemisch und politisch hochhalten.

Was einem wert und teuer ist, gibt man nicht der gaffenden Menge preis. Die Diskretion um das Heilige bewahrt ihm seine Wirkkraft. Vor Jahren löste ein Konflikt um das Kruzifix eines Tiroler Künstlers auf einer Innbrücke einen Kunstskandal und damit einen üppigen Disput aus: Man stritt jedoch nicht über die Provokation der öffentlichen Hinrichtung, sondern um die Nacktheit des Gekreuzigten. Der Künstler hatte ihm – historisch wahrscheinlich korrekt – das Lendentuch verweigert. Das Ärgernis des Kreuzes bestand also offensichtlich im Durchbrechen des Sexualtabus. Schlimmer kann man das „Ärgernis des Kreuzes“ wohl kaum missverstehen. Manchmal möchte man das Christentum vor seinen Verteidigern verteidigen.

Es ist schon eigenartig, dass man einerseits ein Symbol hochhält und es gegen Angriffe verteidigt, es aber andrerseits gedankenlos und beliebig verschleudert. Die vorkonziliaren Messgewänder mit ihren maschinell verfertigten Borten – Kreuze am Fließband – haben das Symbol ähnlich entwertet wie viele frömmelnde Gedankenlosigkeiten im alltäglichen Sprachmüll: „Kruzifix!“ – ein Ausruf, mit dem man beleidigt, was man zu verteidigen meint.

Ähnliches erzählen die historischen Verirrungen der Christenheit von den Kreuzzügen und der Verbreitung des Christentums mit Feuer und Schwert. Es würde der Christenheit gut anstehen, das Schwert – auch das Schwert der Worte – wieder in die Scheide zu stecken.

Das Kreuz ist ein kostbares und daher mit Sorgfalt zu behandelndes Symbol des Glaubens. Die goldenen Bischofskreuze passen zum Talar oder zur liturgischen Kleidung – zum Anzug genügt ein Ansteckkreuz. Wenn schon umgehängt, dann weniger Gold und ein schlichtes Kreuz. Der sparsame und sorgfältige Umgang mit dem Kruzifix stärkt seine Symbolkraft. Nach dem Verständnis der frühen Kirche galt das Kreuz als Sakrament. Nachdenklichkeit und neuer Respekt vor dem Kreuz – aber auch vor Andersdenkenden – wären angebracht.

Das Kreuz sollte weniger ein Siegeszeichen sein, als ein Symbol der Versöhnung.

* Der Autor ist Akademiker- und Künstlerseelsorger in Linz und Rektor der Ursulinenkirche

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung