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Ist das Kreuzzeichen aktuell?

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Der Autor ist Benediktinerpater, Universitätsprofessor und Obmann des Direktoriums der Salzburger Hochschulwochen.

Mitten auf einem europäischen Flughafen: ich traue meinen Augen nicht. Eine gut aussehende, in ihrer Landestracht schmuck gekleidete afrikanische Dame sondert sich plötzlich ab. Ungeachtet der hastig an ihr vorbeiflutenden Menschemenge beginnt sie als gläubige Muslimin ihre Gebetsübung in Richtung auf die heilige Stadt Mekka. Angstlos und treu ihrem Glauben, setzt sie das unterscheidende heilige Zeichen. Welch eine lösende Gewalt strömt aus von der Gestalt und dem Bild dieser betenden Tochter des Propheten Mohammed auf die vielen!

Auch unsere eigene Religion, unser Christentum, kennt viele heilige Zeichen. Das Kreuz ist unter ihnen das bedeutendste. Es gibt kein Symbol, das auf der Erde eine größere Verbreitung gefunden hat als das Kreuz. Als Symbol für das Marterwerkzeug Jesu Christi erinnert es an seine Demütigung und seinen erniedrigenden Tod, zum Zweck unserer ewigen Rettung. Es ist aber auch das Zeichen des Sieges und der machtvollen Auferstehung Jesu von den Toten und das Symbol unseres eigenen Weiterlebens nach dem Tode.

Der überzeugte Glaube unserer Vorfahren an diesen Gottmenschen Jesus Christus drückte sich im Bild des Kreuzes aus. Aus Holz, Eisen, Stein oder in Farbe haben sie es überall hingetragen oder überall angebracht: in und auf Kirchen und Häusern, auf Altären, an Wänden und auf Gräbern, auf Fahnen, an Kleidern der Priester und Pilger, kurz: überall.

Das Kreuz war und ist das Erkennungszeichen der Christen. Ein Blick auf das Kreuz ließ deutlich werden, in welcher Weise schicksalhaft durchkreuzte Lebenslagen gemeistert werden können.

Und wie ist es heute? In unserer gegenwärtigen Weltstunde ist das Kreuz wie ein „Fremdkörper“ aus manchem seelischen und familiären Haushalt verschwunden. Nicht einmal Erinnerungen bleiben zurück. Die unaus-lotbaren Wirklichkeiten eines religiösen Glaubens, auf den eben das Kreuz hinweist, zergehen hinter dem Schleier seiner ablehnenden Verleugnung.

Im osmotischen Druckgefälle, das vom religiösen Osten auf den sinnsuchenden Westen gerichtet ist, wird auch das Kreuz in steigendem Maße von der Attraktivität fernöstlicher „mystischer“ Denk- und Vorstellungsbilder aufgesogen. Der Verlust des Kreuzes bewirkt einen historischen und seelischen Energieverlust größten Ausmaßes. Er führt uns in eine letzte Sinndürre des Lebens.

Wo dem Kreuz blinde Wut entgegenschlägt, da ist der Gottesgegner klar faßbar. Wehe aber, wenn er sich in feinen Gewändern als toleranter Kulturbeflissener gibt! Mit dem fadenscheinigen Hinweis auf magische Handlungsweisen wird das Kreuz häufig schamvoll gemieden. In den freigewordenen Bildraum strömen dann andere Zeichen ein, sei es auch nur die zur Faust geballte erhobene Hand. Ich meine, wir sollten uns des Kreuzes, dieses Elementarzeichens unseres Lebens, erneut annehmen. Wir müßten das Kreuz wieder entdecken und aus den untergründigen Kammern unseres Symboldenkens hervorheben. Denn wo vielfach das begriffliche Mühen ins Leere greift, öffnet das Anschauen des Symbols sonst verschlossene Horizonte des Lebenssinnes.

Wenn ich einem Freund in echter Zuneigung verbunden sein will, dann kann ich mich auch seines Bildes bedienen. Ich stelle es dann vor mich hin, um es immer von neuem anschauen zu können. Auf diese Weise rufe ich den Freund herbei und bleibe mit ihm im gleichen Geiste der Freundschaft verbunden.

Das Bild und Zeichen des Kreuzes bringt mir aber nun denjenigen nahe, dem ich mich im Glauben ganz und gar verdanke. Sollten wir uns seiner schämen? Religiöse Zeichen kann man eben nicht nur erlernen, man muß sie mutig und entschlossen tun und vollziehen. Dann schließen sie neue Welten auf.

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