Das Kreuz des Menschen

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Die FURCHE-Herausgeber

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Der Streit um das Kreuz im öffentlichen Raum wird uns noch länger beschäftigen. Das liegt – Gerichtsurteile hin oder her – am Zeitgeist. Und auch an uns Christen.

Tatsache ist: Der Wind weht derzeit – gesamtgesellschaftlich – gegen die Religion(en) und ihre Symbole. Auch gegen das Kreuz. Zunehmend wird Intoleranz spürbar. Dass sich jetzt gerade die Muslime mit Christen dort solidarisch zeigen, wo eine Verdrängung des Religiösen aus dem öffentlichen Raum droht, fördert mancherorts zusätzlich Argwohn. Der Angriff kennt viele, ganz unterschiedliche Motive und Interessen:

Kreuz-Rittertum

• Da sind zunächst jene, die sich vom Kreuz – mehr noch vom Kruzifix mit dem Korpus des Gekreuzigten (siehe S. 19) – religiös belastet bis belästigt fühlen.

• Dann auch jene, die es bewusst oder gedankenlos zum Modeschmuck banalisieren.

• Und natürlich jene, die es – siehe H. C. Strache – für ihr islamfeindliches Kreuz-Rittertum missbrauchen.

In dieser Situation waren auch manche der jüngsten kirchlichen Wortmeldungen nicht gerade hilfreich und überzeugend: Richtig ist, dass die frühe Kirche das Kreuz als Symbol gegen Folter und Unterdrückung verstanden hat. Falsch ist, dass es „niemals Zeichen der Intoleranz“ gewesen ist. Soviel historische Verdrängung steht uns Christen nicht mehr gut an. Richtig ist, im Kreuz auch ein Kürzel europäischen Ringens um Humanität zu erkennen. Falsch ist, den Straßburger Entscheid als „Fehlurteil“ und „schlichtweg nicht akzeptabel“ abzutun. Trotz aller Empörung sollte die Aussöhnung zwischen Kirche und Institutionen des Rechts nicht mehr in Zweifel geraten.

Freilich: Die aktuelle Debatte um das Kreuz nährt sich nicht nur aus der wachsenden Geschichtsvergessenheit. Sie wächst auch auf dem Boden einer religiös zerklüfteten und zunehmend institutionsfernen, ja atheisierenden Wirklichkeit. Praktizierende Katholiken sind gegen „Religionskomponisten“ und gottferne Humanisten längst in der Minderheit.

Und selbst im treuen Kirchenvolk hat sich das Wissen um die Botschaft des Kreuzes vielfach verflüchtigt. Was auch helfen könnte, eine Erbschaft des Mittelalters zu überwinden. So blickt die Ostkirche weit mehr auf die Auferstehung und Verklärung Christi als auf Leidensmystik und Opfertod.

Geläutertes Christentum

Langfristig wird das Kreuz nur dann seinen Platz im öffentlichen Raum behaupten können, wenn es nicht als kirchliches Prestigeobjekt zur Verteidigung erworbener Rechte erfahren wird, sondern als Symbol eines geläuterten, bescheiden gewordenen und liebevollen Christentums. Das aber liegt vor allem an der Überzeugungskraft unserer Kirchen – und an jedem Einzelnen, der sich zu ihnen bekennt.

Keiner hat übrigens die zeitlose Bedeutung des Kreuzes – jenseits von Golgotha – so wunderbar gedeutet wie Kardinal König: als ein Sinnbild des Menschen, der schicksalhaft dort eingespannt ist, wo die Waagrechte und die Senkrechte – das Mitmenschliche und das Mitgöttliche – im rechten Winkel zueinander stehen und sich gegenseitig überkreuzen. Dieses Kreuz mit zwei Balken kann niemand aus der Welt schaffen.

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