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Der Liebe vertrauen!

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Das manchen fast simpel erscheinende Motto des Papstbesuches „Ja zum Glauben - Ja zum Leben“ enthält, genau betrachtet, viele Ecken und Kanten und führt in die Mitte jenes Spannungsfeldes, in dem sich der Christ, ja jeder nach Sinn suchende Mensch, befindet.

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Das manchen fast simpel erscheinende Motto des Papstbesuches „Ja zum Glauben - Ja zum Leben“ enthält, genau betrachtet, viele Ecken und Kanten und führt in die Mitte jenes Spannungsfeldes, in dem sich der Christ, ja jeder nach Sinn suchende Mensch, befindet.

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Das kirchliche Leben ist augenblicklich von einem unübersehbaren Mißverhältnis von Angebot und Nachfrage belastet. Auf der einen Seite läßt die Kirche nichts unversucht, ihre Gläubigen in der Ordnung des göttlichen Willens und der naturhaften Gegebenheiten zu halten und sie gleichzeitig gegen die verderblichen Einflüsse des Zeitgeistes abzuschirmen. Auf der anderen Seite fühlt sich eine unkalkulierbare Anzahl von Christen durch ihre Direktiven in ihrer Selbstbestimmung behindert und, schlimmer noch, in ihrem Lebensinteresse geschmälert. Was als helfende Weisung gemeint ist, wird von ihnen als Fessel und Hemmnis empfunden.

Fast will es scheinen, als hätten sich beide Seiten auf das Herrenwort geeinigt, in welchem schon Romano Guardini die entscheidende Wegweisung für sein Leben entdeckte, nur daß sie es gegensätzlich interpretieren. Es lautet in der bekanntesten Fassung des Mattäusevangeliums:

Wer seinLeben retten will, wird es verlieren, wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es finden (Mt 16J5).

Für die kirchliche Verkündigung läuft das auf die Mahnung hinaus: Lerne doch Dein wahres Ziel begreifen; denn Du befindest Dich in großer Gefahr. Du verwechselst Lust mit Glück und Macht mit Wert. Widerstehe den Versuchungen zum Lebensgenuß und suche Deinen Frieden in der Erfüllung Deiner zeitlichen und ewigen Aufgabe!

Der Adressat dieser Weisung aber wird dem entgegenhalten: Wie soll ich das verstehen; ich stehe doch ständig im Begriff, mein Leben zu verlieren! Die gesellschaftlichen Zwänge rauben mir meine Freiheit, der Leistungs.druck zehrt an meiner Lebenskraft, die Anonymität der Verhältnisse macht meinen Selbstwert zunichte. Mein ganzes Leben steht im Zeichen des Verlustes. Und was die Bezwingung meiner Begierden anlangt, so leide ich mehr unter meiner Schwäche als unter einem Uberschuß an Kraft.

Wenn ich sündige, dann eher aus Angst, Enttäuschung und Einsamkeit als aufgrund meiner unbeherrschten Leidenschaften!

Vermutlich hätte sich der Beschwerdeführer noch zutreffender, als er es selbst vermochte, in der Stelle aus Sören Kierkegaards Wiederholungsschrift (von 1843) ausgedrückt gesehen, an der er seinem „stummen Mitwisser“ gesteht:

Mein Leben ist zum Äußersten gebracht; es ist ohne Salz Und Sinn. Man steckt den Finger in die Erde, um zu riechen, in welchem Land man ist. Ich stecke den Finger ins Dasein: es riecht nach — Nichts. Wo bin ich? Wie bin ich in diese Welt hereingekommen? Wer hat mich hineingestellt und einfach stehenlassen? Wer bin ich?

Damit ist der trennende Graben vollends aufgerissen. Nun wird aber auch klar, warum das Angebot der Nachfrage nicht mehr entspricht. Obwohl die Kirche schon seit längerem über das schwindende, bei vielen fast schon erloschene Sündenbewußtsein besorgt ist, sucht sie den Anknüpfungspunkt für ihr Heilsangebot noch immer in dem gestörten Verhältnis des Menschen zum göttlichen Willen und damit im Komplex Sünde. Doch der heutige Mensch schreit nicht mehr mit dem von seiner Sündennot umgetriebenen Martin Luther nach dem vergebenden, dem „gnädigen“ Gott; vielmehr sucht er wie der sinkende Petrus nach der rettenden Heilandshand, die ihn dem drohenden Abgrund entreißt.

So erledigt sich die Frage, ob der heutige Mensch für die christliche Botschaft überhaupt noch ansprechbar ist. Er ist es wie seit langem nicht mehr; denn der Abgrund, den er unter sich fühlt, ist der seiner Angst und Einsamkeit. Und die treiben ihn geradewegs in die Arme dessen, der sich wie in der ersten Stunde so auch heute noch den Bedrückten, Bedrängten und Geängsteten als Helfer und Retter zuwendet. Es käme nur darauf an, daß ihnen im Wort der Kirche die Rettergestalt Jesu so klar und greifbar wie nur möglich entgegenträte.

Aber müßte die Kirche da nicht gerade von dem abrücken, was ihr vordringlich angelegen ist: von der Verkündigung des göttlichen Leb nsgesetzes und seiner Anwendung auf den öffentlichen wie den privaten Bereich? Sie müßte es nicht; sie müßte nur deutlicher, als es in vielen Äußerungen geschieht, hervorheben, daß sie dieses Gesetz nicht im Namen eines fordernden und drohenden, sondern des bedingungslos liebenden Gottes geltend macht, also des „neuen Gottes“ Jesu, der nicht nur liebt, sondern „die Liebe“ ist. Hier liegt, wenn irgendwo, der Kern des gegenwärtigen Zerwürfnisses, aber auch der Ansatzpunkt für seine Uberwindung. Was den heutigen Menschen zurückschreckt, ist die Konfrontation mit einem Gebot, das Forderungen erhebt, ohne ihm zu ihrer Erfüllung zu verhelfen.

Eine ganz andere Sachlage ergibt sich für ihn jedoch, wenn er im Grunde der Forderung den Botschafter der Liebe entdeckt. Dann erkennt er, daß der Forderung die Hilfe vorangeht. Denn bevor Jesus von der „Last“ spricht, die er den^hm Nachfolgenden auferlegt, ruft er sie mit seinem liebevoll-gebieterischen „Her zu mir!“ zu sich, um ihnen die „Ruhe“ der Befestigung und Stärkung durch ihn zuzusichern.Wenn man sich fragL warum sich das Christentum in der ihm so feindselig begegnenden Antike durchzusetzen vermochte, wird man befriedigend nur antworten können: Weil es in einer von Schicksalsangst bedrückten Welt die Tür der Hoffnung aufstieß und weil es über einer von Haß verfinsterten Gesellschaft die Sonne der Liebe aufgehen ließ. Nicht anders stellt sich seine Lage in der gegenwärtigen Lebenswelt dar, die von Ängsten heimgesucht, von Mauern zerschnitten, von Mißtrauen vergiftet ist und die gerade deshalb nach Liebe hungert.

Ihr kann sich das Christentum nicht wirkungsvoller als durch den Nachweis verständlich machen, daß ihr Gott in der Gestalt und Botschaft Jesu das Antlitz seiner bedingungslosen, unwiderruflichen Liebe zuwandte, und daß die Sache des Menschen gerettet ist, wenn es ihm nur gelingt, sich zu dieser Gewißheit zu erheben und im Angesicht der Liebe Gottes zu leben. Eben dies aber ist der Kern des Glaubens, wie ihn der Erste Johannesbrief mit dem bewegenden Wort freilegt:

Wir haben an die Liebe geglaubt (und das besagt: uns der Liebe anvertraut), die Gott zu uns hegt (1 Joh 4J.6).

Nur einem völlig verwirrten Denken kann es so vorkommen, als sei damit einem verbilligten und zu „herabgesetzten Bedingungen“ angebotenen Christentum das Wort geredet. Das Gegenteil trifft zu; denn es ist unendlich viel anspruchsvoller, im Angesicht des liebenden Vaters zu leben, als in der Distanz zu einem Gott, der uns einmal erbarmungs-voll an sich zieht und uns dann wieder, mit Goethe gesprochen, aus seiner bergenden Nähe „entläßt“. Und es ist vor allem schwerer, den Glauben an die Liebe Gottes gegen die Erfahrung einer von Enttäuschungen, Bitterkeiten und Brutalitäten erfüllten Welt durchzuhalten.

Aber das ist nicht erst unser Problem; vielmehr war es schon die dem Begründer des Glaubens, Jesus, auferlegte Prüfung. Es trifft sich seltsam, daß gerade die neueste christologische Forschung zur Erkenntnis gelangte, daß Jesus seinen Tod als die opfervolle Besiegelung des von ihm errichteten Gottesbildes begriff und auf sich nahm. Insofern kommt wirklich alles darauf an, die christliche Verkündigung auf ihn zurückzu-beziehen und ihn als ihre lebendige Mitte aufscheinen zu lassen. Dann werden auch die mit ihr erhobenen Forderungen erfüllbar, weil er nur das gebietet, wozu er ermutigt und verhilft. •

Der Autor ist Inhaber des Romano-Guardini-Lehrstuhls an der Universität München.

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