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Das Kreuz mit dem Kreuz

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Auch die Calvinisten bekennen Jesus Christus als den „Gekreuzigten” und sägen mit dem Apostel Paulus: „Die Rede vom Kreuz ist ein Unsinn für die, die verloren gehen; für uns aber, die wir selig werden, ist sie eine Gotteskraft.”

Aber in den evangelischen Kirchen der calvinistischen Tradition wird man vergeblich ein Kreuz suchen, denn das Bilderverbot, das 2. Gebot also, verbietet es. Damit wird zugleich verhindert, daß das Kreuz zum Einrichtungsgegenstand oder zum Schmuckstück verharmlost wird. Ein Kreuz um den Hals zu tragen, das ist so, als würde jemand

eine kleine goldene Guillotine um den Hals tragen, ein silbernes Gaskammerl oder einen kleinen elektrischen Stuhl. Dazu paßt dann auch die lässige Art, wie heutzutage bereits Wehwehchen und Kleinstprobleme als „Kreuz” bezeichnet werden. Auch Sätze bestimmter frommer Leute wie „Jesus ist für mich am Kreuz gestorben. Seit ich das weiß, bin ich wieder froh!” muten eher gefühllos und unmenschlich an. Man versteht den Ausspruch eines Christen aus der Dritten Welt: „Was müßt ihr für schreckliche Leute sein, daß in eurem Versammlungsraum ein Galgen hängt.” Und widerwärtig wird es, wenn kirchen-

leitende Personen die Schwierigkeiten, die sie mit den Gläubigen haben, mehr oder weniger vorsichtig um den Brei herumredend, mit der Passion Christi vergleichen.

Christus ist am Kreuz nicht für sich allein gestorben, sondern damit die anderen leben können. Wer könnte das abbilden? Begriffen hat es wohl als Erster der zum Tod verurteilte Barrabas: er war die Premiere der Erlösung. Schade, daß Barrabas nicht im Glaubensbekenntnis steht. Der Zweite, der die Bedeutung des Kreuzestodes Christi begriffen hat, intellektuell, also theologisch, war der Expharisäer Paulus. Für ihn ist

Christus „im Kopf” auferstanden, denn „die wahren Abenteuer sind im Kopf”.

Sicher wollte dieser Christus nicht, daß sich ihn die Christen um den Hals hängen, bis er ihnen zum Hals heraushängt. Aber wollte er, daß sie so leben, daß sie selbst in Kreuzesnähe geraten? Und so sind auch unzählige Menschen, Christen und vor allem Juden, Menschen vieler Beligionen und politischer Überzeugungen freiwillig oder vergewaltigt gestorben, daß andere leben können. Seltsam, denn wahrscheinlich hat Christus gehofft, daß sein Kreuzestod der letzte sein würde.

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