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Leid, durch Leid erlöst

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Das Leid in seinen vielfältigen For- Zeit, die eigenartiger Weise Jesus mit men ist eines der großen Menschheitsprobleme. Alle großen Religionen und Philosophien wollen den Menschen helfen, das Leid zu beseitigen oder es wenigstens so zu interpretieren, daß der Mensch damit leben kann.

Wię verhält sich Jesus zum Leid?

Jesus wendet sich dem Menschen, der Leid erfährt, zu; gleichgültig, ob diese Not geistig, seelisch oder körperlich ist Er will den Menschen von all dem befreien, was sein Leben vermindert und zerstört. Dadurch wird er zur Hoffnung der „Armen”. Dadurch fasziniert er durch alle Generationen immer neu Menschen, die sich von der Not ihrer Mitmenschen ergreifen lassen. Deswegen findet er auch heute, selbst unter den Atheisten, seine Verehrer. Jesus hat sich so für seine Mitmenschen eingesetzt, daß er selbst sein Leben nicht schonte.

Nicht wenige übersehen in unserer der Kritik weitgehend verschont, das Ärgernis des Kreuzes. Sie bleiben mit ihrem Denken vor dem Kreuz stehen und folgen nicht in die Krise, in die das Kreuz führt. - Was nützt die Revolution der Herzen, was nützt die selbstloseste Humanität, was das Vertrauen auf Gott, wenn die Gegenkräfte sich als stärker erweisen, die Welt sich kaum verändert und jene Menschen, die ähnlich wie Jesus leben, letztlich scheitern?

Wer sich nicht ärgert, kommt schwer zum rechten Glauben. Die Jünger Jesu haben das Ärgernis des Kreuzes intensiv erlebt. Angesichts der Ereignisse des Karfreitags ist ihr Glaube zerbrochen: „Wir hatten gehofft…” Sie mußten auf eine neue Weise wieder zum Glauben an Jesus finden. Für sie wird das Kreuz ein Wendepunkt zu einem neuen, geläuterten Glauben. Im Lichte der Auferstehung sehen sie das Leben Jesu und seinen Tod neu. Das Kreuz, dieses Zeichen des Unheils, wird zum Zeichen des Heils. Das Leid und der Tod Jesu am Kreuz verlieren ihre rein negative Macht und werden zum Weg der Erlösung. „Mußte denn nicht der Messias dies leiden, um so in seine Herrlichkeit einzugehen?”

Leid wird durch Leid erlöst. Gott geht in Jesus nicht den Weg der Macht, sondern der Ohnmacht. Er ist dort, wo der Mensch leidet, damit ihn der Mensch antreffen kann. Er geht den Weg der selbstlosen Liebe. Leid wird nicht dadurch in der Welt beseitigt, daß sich Jesus — und nach ihm die Christen - vom Leid freihalten, sondern indem sie bereit sind, zusätzliches Leid auf sich zu nehmen, das sich aus dem Weg konsequenter Liebe ergibt. Dadurch allein werden die Teufelskreise zerbrochen und wird Versöhnung unter den Menschen und zwischen Gott und den Menschen möglich.

Jesus ist diesen Weg gegangen. Er stand zu den Menschen, auch wenn sie ihn ablehnten und verfolgten; als er nichts mehr für sie tun konnte, ist er für sie gestorben. Er stand aber auch zu Gott, seinem Vater; er vertraute auch dann, wenn er sich von ihm verlassen fühlte. Das Leid fordert in Jesus alle Kräfte des Guten, der Liebe und des Vertrauens heraus. Dieser Weg führt ihn in die „Herrlichkeit Gottes”. Das Kreuz wird zum Weg des Heiles für Jesus und auch für die Menschen.

Denn die Jünger Jesu erkannten, daß das Schicksal Jesu ihr eigenes Schicksal ist. Er ist der neue Adam, in ihm beginnt eine neue Menschheit; er ist der „Erstgeborene der Toten”, dem die übrigen folgen. Er hat die Mächte des Negativen überwältigt und den Zugang zu Gott eröffnet. In seinem Namen ist Heil, Erlösung, Befreiung. Das sind Grunderkenntnisse der ersten christlichen Gemeinden.

Aber Erlösung gibt es nicht ohne Mühe des Menschen. Erlösung verwirklicht sich auch durch Nachfolge; auch durch die Nachfolge des Kreuzes. Das Wort: „Leid, durch Leid erlöst” gilt nicht nur für Jesus, sondern auch für die Christen. So gibt es für den Christen kein leidfreies Leben. Wer ähnlich wie Jesus lebt, die Teufelskreise des Bösen durchbricht und sich der Not der Menschen öffnet, gerät selbst ins Leid. Aber dieses Leid ist nicht sinnlos, es befreit und erlöst.

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