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Von innen her verwandelt

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Uber Jahrhunderte und Generationen hinweg hat sich immer wieder herausgestellt, daß Leiden eine besondere Kraft in sich birgt, die den Menschen innerlich Christus nahebringt, eine besondere Gnade also, ihr verdanken viele Heilige, wie zum Beispiel der hl. Franziskus, der hl. Ignatius von Loyola u. a., ihre tiefe Umkehr. Frucht einer solchen Umkehr ist nicht nur die Tatsache, daß der Mensch die Heilsbedeutung des Leidens entdeckt, sondern vor allem, daß er im Leiden ein ganz neuer Mensch wird. Er entdeckt gleichsam einen neuen Maßstab für sein ganzes Leben und für seine Berufung. Diese Entdeckung ist eine besondere Bestätigung für die Größe des Geistes, der im Menschen auf unvergleichliche Weise den Leib überragt. Wenn dieser Leib schwerkrank ist und völlig darniederliegt, wenn der Mensch gleichsam unfähig zum Leben und Handeln geworden ist, treten seine innere Reife und geistige Größe um so mehr hervor ...

Diese innere Reife und geistige Größe im Leiden sind gewiß Frucht einer echten Umkehr und eines besonderen Zusammenwirkens mit der Gnade des gekreuzigten Erlösers. Er selbst ist es, der durch seinen Geist der Wahrheit, den Tröstergeist, mitten in den menschlichen Leiden wirksam ist. Er verändert gleichsam den Kern des geistlichen Lebens, indem er dem leidenden Menschen einen Platz in seiner Nähe zuweist. Er lehrt — als Meister und Seelenführer — den leidenden Bruder und die leidende Schwester diesen wundersamen Austausch, der sich im Herzen des Erlösungsgeheimnisses vollzieht.

An sich ist das Leiden eine Erfahrung von Übel. Christus hat daraus jedoch die festeste Grundlage für das endgültig Gute gemacht, das heißt, für das Gut des ewigen Heiles. Mit seinem Leiden am Kreuz hat Christus die Wurzeln des Übels selbst erreicht: die Wurzeln der Sünde und des Todes. Er hat den Urheber des Bösen, den Satan, und seine dauernde Auflehnung gegen den Schöpfer besiegt. Vor dem leidenden Bruder und der leidenden Schwester erschließt Christus die Horizonte des Gottesreiches und breitet sie schrittweise vor ihnen aus: eine zu ihrem Schöpfer bekehrte Welt...

Langsam, aber wirksam führt Christus den leidenden Menschen in diese Welt, in dieses Reich des Vaters ein, und dies gleichsam von der Mitte seines Leidens selbst her. Denn das Leiden kann nicht mit Hilfe einer Gnade von außen, sondern nur von innen her verwandelt und verändert werden. Durch sein eigenes heilbringendes Leiden ist Christus ganz in der Mitte eines jeden menschlichen Leidens zugegen und vermag von dorther mit der Macht seines Geistes der Wahrheit, seines Tröstergeistes, zu wirken. *

Dieser innere Prozeß vollzieht sich jedoch nicht immer auf die gleiche Weise. Oft ist sein Beginn und erster Verlauf mit Schwierigkeiten verbunden. Schon der Ausgangspunkt ist unterschiedlich, verschieden ist die Bereitschaft, die der Mensch bei seinem Leiden zeigt. Man darf jedoch voraussetzen, daß jeder fast immer mit einem typisch menschlichen Protest und mit der Frage nach dem „Warum" in sein Leiden eintritt. Ein jeder fragt sich nach dem Sinn des Leidens und sucht auf seiner menschlichen Ebene eine Antwort auf diese Frage. Gewiß richtet er diese Frage auch wiederholt an Gott und an Christus. Darüber hinaus kann er nicht übersehen, daß derjenige, an den er seine Frage richtet, auch selbst leidet und ihm vom Kreuz herab, aus der Mitte seines eigenen Leidens her, antworten will.

Doch manchmal braucht es Zeit, sogar lange Zeit, bis diese Antwort innerlich wahrgenommen werden kann. Denn Christus antwortet nicht direkt, und er antwortet nicht in abstrakter Weise auf diese Frage des Menschen nach dem Sinn des Leidens. Der Mensch hört seine rettende Antwort erst, wenn er selbst mehr und mehr an den Leiden Christi teilnimmt.

Die Antwort, die er durch diese Teilhabe auf dem Weg der inneren Begegnung mit dem Meister erhält, ist ihrerseits mehr als eine nur abstrakte Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Leidens. Sie ist in der Tat vor allem ein Ruf. Sie ist eine Berufung. Christus erklärt nicht in abstrakter Weise die Gründe des Leidens, sondern sagt vor allem: „Folge mir!" Komm! Nimm mit deinem Leid teil an dem Werk der Erlösung der Welt, die durch mein Leiden vollbracht wird! Durch mein Kreuz!

Zum Gehen mit den Augen und zum Schauen mit dem Herzen wollen die prachtvoll fotografierten Kreuzgänge dieses Bandes den Betrachter einladen, er soll meditierend die Atmosphäre bemerkenswerter romanischer und gotischer Kreuzgänge in sich aufnehmen. Im ersten Teil des Textes erzählt Josef Sudbrack vom inneren Weg eines jungen Mönches, im zweiten Teil gibt Karl Kolb kunsthistorische Erläuterungen über die architektonische Gestaltung der Kreuzgänge.

KREUZGANGE. Ordnungen des Lebens. Von Josef Sudbrack und Karl Kolb. Echter-Verlag. Würzburg 1983. 95 Seiten, geb., öS 1873.

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