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Werk eines Gründers

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„Christus lebt, Christus ist nicht eine Gestalt, die vorübergegangen ist, die einmal lebte und dann verschwand und uns nur eine wunderbare Erinnerung und ein ergreifendes Beispiel hinterließ. Nein, Christus lebt. Christus ist der Emmanuel: Gott mit uns.“

Kein anderes Wort als dieses charakterisiert dieses Buch besser, das mit fast eineinhalb] ähriger Verspätung nun auch deutsch erscheint. „Christus begegnen“ umfaßt acht-

zehn Homilien, in denen der Autor, Prälat Josemaria Escrivä de Bala-guer, der Gründer des Opus Dei, die wichtigsten Feste des liturgischen Jahres kommentiert. Es handelt sich tatsächlich um das Werk eines Gründers, nicht eines Theoretikers oder eines Betrachters abstrakter Wahrheiten. Ein Gründer ist immer lebensnah, er schaukelt sich nicht in Theoremen. Seine Gedanken haben Hand und Fuß, seine Anziehungskraft quillt aus der Vitalität eines Geistes, der nach Verleiblichung verlangt, seine Mystik vermählt sich mit der Strenge theologischer Wissenschaft. Ein Gründer offenbart sich sowohl durch seine tiefe, liebenswürdige Menschlichkeit als auch iiurch das Feuer eines von Gott ergriffenen Werkzeuges: darum verflechten sich bei ihm die Sicherheit des Göttlichen mit der kindlichen Demut des „unnützen Dieners“.

Prälat Escrivä de Balaguer ist ein Pionier der Laienspiritualität, ein Bahner weltlicher Wege zur Fülle des christlichen Lebens. Man erkennt es sofort: nicht nur an seinem vertrauensvollen Verhältnis zur Welt, zur Zeit, zur beruflichen Arbeit und zu den sozialen Fragen, sondern auch an seinem Stil, seiner Stimme, seinem erleuchteten Pragmatismus, am Fehlen jeglichen Klerikalismus, an seiner jugendlichen Freude und seiner transparenten Einfachheit. Seine Anforderungen auf menschlicher Ebene sind sauber: Aufrichtigkeit, Arbeitsamkeit, beruflicher Ernst, Aufgeschlossenheit, grenzenloses Verständnis, pünktliche Pflichterfüllung. Seine primär laienhafte Spiritualität kennt keine unmenschliche Erhabenheit, keine skrupelhafte Steifheit, keinen Tatfanatismus. Die leidenschaftliche Beschaulichkeit, die er ohne Verkürzungen in die Welt der Laien einführt, die Heiligkeit, zu der er alle Getauften ermutigt, der Verantwortungssinn für das Schicksal der Kirche und der ganzen Menschheit, den er bei jedem Glied des einen Leibes weckt, die „lächelnde Askese“, zu deren Übung er alle einlädt, entwurzeln niemandem aus der pluralistischen Gesellschaft unserer Zeit, reißen niemanden von den eigenen lebensgeschichtlichen und gemeinsamen Umständen weg und entfernen niemanden aus seiner eigenen familiären, beruflichen und sozialen Funktion. Dadurch wird die Prosa des Alltags umarmt und beseelt, denn man begegnet Christus „auf der Straße“, die zum Ort der Kontemplation und des Dienstes des Laien wird.

Ein Buch also für alle, die sich um ein Leben aus dem Glauben bemühen. Und doch ein Buch, das jede Verallgemeinerung vermeidet, die die Freiheit und die Vielfalt der Situationen des einzelnen in der Welt verkennen oder gar beeinträchtigen könnte. Der in der Welt engagierte Christ kann sich nicht aufs

Kokettieren mit theologischen Streitigkeiten einlassen: der eigenen Got-teskindschaft bewußt — auf der der Geist des Opus Dei beruht —, lebt er das Leben aus dem Grund und vereint in einem Atemzug die höchsten und die einfachsten menschlichen Ideale mit der tiefsten Sehnsucht nach dem „ganz anderen“, er „weint mit den Weinenden und freut sich mit den Fröhlichen“, weil er nicht sich selber lebt, sondern Christus, und mit Ihm und durch Ihn die Welt zu retten hat.

Erstaunlich an diesem Buch die nahtlose Verbindung der Festigkeit der kristallklar dargestellten katholischen Lehre und der Freiheit der Gewissen, des ideologischen und faktischen Engagements in den Weltdingen, die den Leser fasziniert und — menschlich betrachtet — die weltweite Verbreitung dieser äußerst profilierten Frömmigkeit erklärt. Bekanntlich hat ein anderes Werk des Verfassers — „Der Weg“ — bereits eine Zweieinhalb-Millionen-Auflage in 25 verschiedenen Sprachen erreicht.

Hier geht es vor allem um die Verchristlichung, ja um die Heiligung der weltlichen Strukturen und Unternehmungen von innen her, besonders mittels der beruflichen Arbeit, durch die der Laie am Heilswerk Christi teilnimmt und seine eigentümliche, spezifische Funktion in der Gemeinschaft der Gläubigen erfüllt. Weder Verweltlichung noch Entfremdung sind dem engagierten Christen erlaubt, denn „es hieße den Glauben verstümmeln, wollte man ihn auf eine diesseitige Ideologie beschränken, wollte man ihn zum Wahrzeichen eines politisch-religiösen Programms machen und in seinem Namen, auf Grund einer unerfindlichen göttlichen Bevollmächtigung, andere verurteilen, und dies nur, weil sie anders in Fragen denken, die ihrem Wesen nach vielfältige Lösungen erlauben“. Aber Christus nachfolgen bedeutet auch nicht, „sich in den Tempel flüchten und angesichts der Entwicklung der Gesellschaft, der Ruhmes- oder Greueltaten der Menschen und Völker die Achseln zucken... Es ist der Glaube

an den gestorbenen und auferstandenen Christus, immer und in jedem Augenblick unseres Lebens gegenwärtig, der unser Gewissen erleuchtet und uns antreibt, an den Aufgaben und Problemen der Menschheitsgeschichte teilzunehmen. In dieser Geschichte, die mit der Erschaffung der Welt ihren Anfang nahm und mit der Vollendung der Zeiten enden wird, ist der Christ kein Heimatloser; er ist Bürger der irdischen Stadt, seine Seele ist erfüllt von dem Verlangen nach Gott, dessen Liebe er schon jetzt zu ahnen beginnt und in dem er das Ziel erkennt, zu dem alle Menschen berufen sind“ (Homilie zum Karfreitag).

Der Übersetzer hat sich bemüht, der Unmittelbarkeit und dem Charme der Sprache dieses großen Predigers treu zu sein. Wenn jede Übersetzung immer ein Verrat ist — „traduttore, traditore!“ —, kann sich auch diese Übertragung eines spanischen Sprachjuwels nur in die Vermittlung des Geistes retten. Aber man muß anerkennen, daß diese deutsche Fassung nicht selten die ursprüngliche Glut wiedergibt, als eindeutiges Zeichen des nicht nur literarischen, sondern menschlichfaktischen Mitvollzugs einer Spiri-

tualität für Laien, die sehr gerne Laien sind und Laien bleiben wollen. :

Ein Stichwortverzeichnis erleichtert die Auffindung der zahlreichen Themen, die in diesem Buch angeschnitten werden; ein Register der Schriftstellen, der Kirchenväter, Kirchenlehrer, kirchlichen Lehrschreiben und liturgischen Texte vereinfacht den Gebrauch des Werkes, in dem eine Reihe von Stichen alter Meister ein kostbares Gegengewicht zum Wort bilden.

Diese kurze Buchbesprechung möge niemanden von der Lektüre des Vorwortes ablenken. Es stammt aus der Feder von Alvaro del Por-tillo, dem bekannten Theologen und Konzilsberater, der den Autor seit vielen Jahren kennt und begleitet. Es hebt die wesentlichen Züge der Persönlichkeit hervor, der Verkündigung im allgemeinen und insbesondere der nun veröffentlichten „Betrachtungen in lauter Stimme“, die von einem Priester stammen, „der nur von Gott spricht“.

CHRISTUS BEGEGNEN. Homi-lien. Von Josemaria Escrivä de Ba-laguer. Adams-Verlag, Köln, 1974.

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