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Theologie des Laientums

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Ein Buch von ganz ungewöhnlicher Kühnheit. Man muß schon vorausschicken, daß es von einem Professor der Dogmatik an der katholischen Universität in Löwen und einem Prälaten der Kirche stammt: das es bereits in sechs Sprachen vorliegt, das heißt, daß es sechsmal und mit dieser deutschen Ausgabe achtmal die 2ensür der Kirche passiert hat, um sich nicht schockieren tu lassen von dem. was da zu lesen ist. Daß es für das deutsche Sprachgebiet durch die Redemptoristentheologen von Gars, die allgemach zu einem theologisch führenden Element der Kirche in Deutschland geworden sind, bereitgestellt und, besonders was Literatur anlangt, ergänzt wurde, empfiehlt es in besonderem Maße.

Das Ereignis dieses Buches und, nach ihm, dieser Weltstunde, ist, religiös gesehen, das Erwachen des Laien in der Kirche, seine Besinnung auf seine sakramentale Mitgift und Haltung. Dieser katholische Laie von heute ist keine Neuauflage der „Pseudoreligiosität der Aufklärung und Romantik“ (S. 11): er hört auch auf, „Christ zweiter Klasse" zu sein (S. 84). Das Wort von „Hirt und Herde", verstanden als „abgekapselte Hierarchie", und ihr gegenüber die passiven Lämmer, rückt aus einem falschen Lichte heraus. Der Laie nimmt das Wort des Heiligen Vaters Pius XII. ernst: „Wir gehören nicht nur zur Kirche, wir sind die Kirche“ (S. 15). Die „priester- liche Gewalt bedeutet keine Mauer ... In Christus ist jede Scheidewand niedergerissen" (S. 16). Dieses bewußte Laientum ist durchaus nicht Antiklerikalismus, der sich seit Jahrzehnten bis tief in die kirchliche Laienwelt hineinfraß, noch weniger „Laizismus“ im Sinne Pius’ XI. (Ausschluß des Religiösen aus der Welt), sondern das Gegenteil von diesem: Durchheiligung der Welt. Parallel dazu ersteht eine neue Ekklesiologie. Die bisherige Lehre von der Kirche, entstanden im Widersprach gegen die Reformation, ist weithin die Verteidigung des Episkopats und des päpstlichen Primats, also „eine Lehre von der Hierarchie geblieben“ (S. 30). Die Definition der Kirche bei Bellarmin, die dem Laien nur die Rolle des Gehorsams zuspricht, ist überholt. Die Kirche ist ein Organismus der Gnade und Wahrheit, der vom Lebensaustausch der geistlichen Güter lebt. „Die Hierarchie ist für den Leib und seine Förderung da und nicht umgekehrt" (S. 50). „Jedes Glied, gleich, welchen Rang es einnimmt, hat eine besondere, unersetzbare Aufgabe“ (S. 49). „In der Gemeinschaft der Heiligen werden die letzten bisweilen die ersten sein. Die Geistlichen haben die Heiligkeit eben nicht gepachtet" (S. 46). „Autorität verkörpert Tradition mit der Erfahrung und Reife, der Geist strebt nach Verjüngung. Er führt zu den Quellen zurück" (S. 51).

Die Theologie des Laientums gründet in der Taufe und Firmung und ist mit dem allgemeinen Priestertum gegeben. Wann die Laien nicht mehr mitsprechen können, dann treten sie beiseite und entfremden. „Passivität ist die schlimmste Form von Widerstand" (S. 59). „Sobald der Klerus seine Geisteskraft und Lebendigkeit einbüßt, entsteht die Versuchung, ihn fallen zu lassen, eine Versuchung, der der Protestantismus erlegen ist“ (S. 52). Pius XII. ruft die Laien auf: „Mut zur Initiative!" „Nicht der Gehorsam, sondern die Liebe ist die Haupttugend des Christentums“ (S. 67). Aber keine falsche Freiheit I „Die Freiheit des Gewissens hat durch die Reformation in gar nichts gewonnen. Nur der Gehorsam macht frei und erlöst von den Ketten des Eigensinns“ (S. 71). Das nächste Wirkfeld der erwachten Laien ist das weite Missionsland Europa. Ist das Zeugnis, und das ganz an der vordersten Front, wo die Priester gar keine Möglichkeit haben, hinzukommen. Sie stehen in der Wirklichkeit der Welt und nehmen sie darum ganz ernst. Die Wissenschaft, der Staat, die Gesellschaft, die Wirtschaft sind ihre gegebenen Herrschaftsbereiche. „Die zeitlichen Werte müssen in die gesamte Lebensauffassung des Glaubens einbezogen und. bei voller Wahrung des Eigenwertes, dem letzten Ziele untergeordnet werden" (S. 91). Hier weiß der Laie allein Bescheid. Der katholische Laie muß darum auch unterscheiden. ..Allzuoft theoretisieren die Theologen und selbst die Bischöfe ziemlich an der konkreten Wirklichkeit vorbei“ (S. 159).

In seiner Stellung zum Priester bedarf der Laie eigener Verantwortung und genügender Handlungsfreiheit. Der gläubige Laie weiß, daß Freiheit nicht Bindungslosigkeit ist oder Anarchie sein kann. Das Paradox, das schon außerhalb des christlichen Bereiches gilt, heißt: freie Entscheidung für die gottgegebene Ordnung. — Für das Heilsereignis, in das heute die Laien von der Vorsehung angefordert werden, hat die Generation zwischen den beiden Weltkriegen das Wort „Inkarnation" gefunden. Wie die zweite göttliche Person Mensch geworden ist und als mystischer Leib und Wanderer durch die Zeit in jeder Taufe immei wieder Mensch wird, so müssen die abgestorbenen Glieder und Provinzen des Reiches Gottes wiedergeboren werden in Christus. Nicht nur Heiligung der einzelnen ist die Losung, sondern Durchhejligung des ganzen Leibes, der Umwelt, aller sozialen Strukturen, Wiederver- christlichung der Oeffentlichkeit, des Staates. Das ist durchaus nicht Klerikalismus, eher das Gegenteil: verantwortliche Führung des öffentlichen Lebens durch die Laien des Glaubens. Aufbau einer neuen, christlichen und humanen Ordnung (S. 340). Gegensatz dazu ist die Desintegration: die rein auf sich zurückgezogene Kirche, die sich aus der Welt, die dem Fürsten dieser Welt immer zugehörig sein wird, heraushält. So hat es die Ostkirche gehalten und hält es heute so.

Der Reichtum an Anregung und Aufregung, der in diesem Buch niedergelegt ist, ist damit nur angedeutet. Und das, damit er gehoben wird. Die Fülle der Literaturangaben zu dieser Frage wurde von den deutschen Uebersetzern in einem nirgendwo vorfind- baren Ausmaß vervollständigt. Auffallend kurz kommt dabei die österreichische weg. Natürlich mit Ausnahmen. Daß vom Wiener Seelsorgeinstitut in den Jahren 1933 bis 1937 eine Zeitschrift erschien, die den Titel dieses Buches trug (später „In heiliger

Sendung“) und welche auch in seinem Sinne wirkte, ist nicht einmal vermerkt. Auch die vielen Tagungsberichte des Wiener Seelsorgeinstitutes fehlen. Die „Kirchenväter" der hier gebotenen Laientheologie (das ist keine Kritik, sondern eine Wertansage) sind die vorandrängenden Theologen unter den französischen Dominikanern und Jesuiten.

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