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Geheimnis eines Bundes: Ganz gewöhnlich lächeln

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„Dieses Opus Dei, sind das die politischen Brigaden des Vatikans oder die päpstliche Freimaurerei?“ fragte ein Sowjetprofessor an der Moskauer Lomonossow-Universität; die Frage erhob sich nach einem Symposion katholischer Ethiker mit marxistischen Atheismus-Spezialisten. Sie erhebt sich auch zum 2. Oktober 1978, dem Goldjubiläum dieses Institutes, das anders ist als eine säkulare Kongregation, anders als ein monastischer Orden im Alltagskleid, anders als ein frommer Verein, abseits von den Strukturen der universalen Kirche. .

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„Dieses Opus Dei, sind das die politischen Brigaden des Vatikans oder die päpstliche Freimaurerei?“ fragte ein Sowjetprofessor an der Moskauer Lomonossow-Universität; die Frage erhob sich nach einem Symposion katholischer Ethiker mit marxistischen Atheismus-Spezialisten. Sie erhebt sich auch zum 2. Oktober 1978, dem Goldjubiläum dieses Institutes, das anders ist als eine säkulare Kongregation, anders als ein monastischer Orden im Alltagskleid, anders als ein frommer Verein, abseits von den Strukturen der universalen Kirche. .

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Das Mißverständnis fächert sich auf: in ein kirchliches, in ein politisches, in ein menschliches. Sind es die Reaktionären, die Lefebvristen, die Sektierer, durch Standort und Arroganz „segregiert“ vom Volke Gottes? Sind es die Unduldsamen im Rausohe der postkonziliaren pluralistischen Freiheit? Oder vielleicht doch die schwarzen Gnostiker, die Logenbrüder des Heiligen Stuhles, theokratisch, elitär, wenn nicht anti-, so doch ademokratisch, oligarchisch sendungsbewußt, Kryptoemissäre in die lateineuropäischen Regierungen, in die Fabrikshallen, in die Operationssäle, Advokaturskanzleien und technischen Studios?

Formuliert man positiver und sucht nach den Antworten aus dem Selbstverständnis des „Werkes Gottes“, so konturieren sich andere Perspektiven: die scharfe und selbstbewußte Abgrenzung zu den Sektierern des Ungehorsams, die sich um den französischen Renegaten-Alterzbischof gruppieren; der ausgeprägte, unaufdringliche „consensus eccle-siae“, das Mitfühlen aus dem Herzen mit der universalen Kirche, die Treue zur patristischen Weisheit: Wo der Träger des Petrusamtes, da die Kirche Christi.

Die Arbeit des Alltags heiligen

Fragt man den Vater dieses Werkes und befragt man sein Leben und seine „Doktrin“, so lüftet und lichtet sich das „Geheimnis“: „die gewöhnliche Arbeit zu heiligen“. Ein Geheimnis? Nicht im Sinne der Arkan-disziplin, jedoch als innerstes Lebensprinzip des Getauftseins und der Gotteskindschaft. Warum aber dann die apostrophierte Geheimnistuerei, warum die unaufdringliche Verborgenheit der Mitglieder des Werkes im täglichen Leben und seinen Begegnungen? Warum kein „Zeichen“, kein Abzeichen, keine Auszeichnung des inneren Preises, kein Vorzeichen, wie die anderen Kommunitäten des Gottesvolkes?

Um des Geheimnisses willen. Der Antwort, der Entschlüsselung, der Lösung wegen. Weil Christus, als Quelle des Lichtes, aus dem Christen zuvor aufstrahlen möge, bevor die Chiffre „Mensch-Christ“ ihren Stellenwert beansprucht Das Christenbild des Werkes gleicht nicht dem Menschen, der Christus trägt wie ein kostbares Kleid. Es gemahnt vielmehr an das feuerdurchglühte, graue, schiefrige Quarz, das in den Flammen des göttlichen Geistes transparent, hauchdünnes, spiegelndes Glas geworden ist.

Damit wird das Gespräch über das Opus Dei zu einer ganz gewöhnlichen Verdeutlichung: der Arzt am Operationstisch vollzieht Gottes Werk, wenn er den gotterschaffenen und kostbaren menschlichen Leib vom Leiden befreit. Der Jurist am Katheder, im Advokatensessel, am Vorsitz des richterlichen Senats spricht aus dem göttlichen Rechte Recht durch irdische Normen und filtert sie im Gewissen aus brüderlicher Liebe. Der Techniker am Reißbrett des Architektenstudios erbaut das irdische Haus in der Liebe, Gottes herrliche Welt mitvollziehend zu bereichern. Der Arbeiter an der Walzwerkstrecke

des Hochofens wird zum Mitgestalter der härtesten Materialien der Natur, die eingebunden werden in den Lobpreis des Psalmisten. Die Verkäuferin verhökert nicht Textilien, um des Jobs willen: sie spendet Freude einem Menschen, der als Ebenbild Gottes Freude haben sollte an den Dingen des Lebens, die untrennbar mit der Kultivierung der Persönlichkeit verbunden sind.

Und das ist wesentlich: der Arzt, der Advokat, der Lehrer, der Baumeister, das Ladenmädel und der Kfz-Mechaniker tun nichts anderes, als alle anderen: sie vollziehen das Gewöhnliche. Dieses Gewöhnliche wird zum Geheimnis durch das Tauchbad der Absicht, der Meinung, der Intention der „Heiligung“. Des Wollens des Opus-Dei-Menschen, einer unheilen Welt, im Fiebertaumel der Unsicherheiten, das Heile und die Heiligung mit-er-leben zu lassen. Er identifiziert die ganze Schöpfung mit ihrem Urheber und Herrn. Nicht in der Nebulosität des Pantheisten, der die Eichenbäume adoriert, sondern im begnadeten Wissen der Einheit der Schöpfung mit Dem, durch Den alles geschaffen ist und in Dem der Mensch atmet und ist.

So gipfelt der „Bildungsprpzeß“ des Werkes an seinen Mitarbeitern im vollen Erfassen der „Ebenbildlichkeit“ und ihrer einfachen Realisierung im plötzlich leuchtenden Alltag; daher auch das unerklärlich scheinende Phänomen: dieses schier unmotivierte Strahlen aus der Haltung, aus den Gesten, aus den Augen der Mitglieder des Werkes. Diese unverständliche Gelassenheit, als wolle man alles sein und laufen lassen wie es kommen mag. Dieser „way of life“ der Opus-Dei-Leute entbehrt weder der schwieligen Hände des Arbeiters noch der Konzentration intellektuellen Bemühens zur Weltgestaltung. Ihre Simplizität wie ihre Eleganz und kultivierte Lebensart, ihre bäuerliche Unbeholfenheit wie ihre Ruhe an den gesellschaftspolitischen Schaltstellen, die mitunter zum Prüfstein werden, bezeugen diesen inneren Vorgang des „Leuchtendwerdens“!

Aus den sich lichtenden Nebeln

des auslaufenden zwanzigsten Jahrhunderts erhebt sich klar profiliert die Heiligengestalt dieses Säkulums: der Vater des Werkes, Josemaria Es-crivä de Balaguer, der am 26. Juni 1975 diese Welt verlassen hat. Er überwindet den schmerzlichen Dualismus dieser Welt. Der Arzt-Historiker Peter Berglar hat es durchdacht und formuliert: die christliche Spiritualität ist das ganze Mittelalter hindurch und bis in unsere Zeit hinein von Zweigleisigkeiten bestimmt worden, von einem unverbundenen Nebeneinander von Weltzugewand-heit, vita activa, Laien-Weg einerseits und Weltflucht, vita contemplativa, Kleriker- und Religiösen-Weg anderseits. Jener war der gewöhnliche, dieser der auserwählte, jener der durchschnittliche, dieser der vollkommene Weg. Was solche Abtrennung für die Christenheit bedeutet hat, beginnen wir erst langsam zu begreifen; und die ungeheure Tragweite, die in der Uberwindung dieser Trennung liegt, wird noch kaum geahnt.

„Mir geht es“, sagt der spanische Monsignore schon 1928, „um das innere Leben gewöhnlicher Christen, die in einer offenen Welt frische Luft atmen und auf der Straße, bei der Ar-

beit, in der Familie, in ihrer Freizeit den ganzen Tag über Christus vor Augen haben.“ Jahre später bekennt der „Vater“, der im Zentrum des Opus zu Rom seine letzte Ruhestätte gefunden hat: „Das weite Feld unserer christlichen Berufung, diese Einheit des Lebens, deren Nerv die Gegenwart Gottes, unseres Vaters ist, kann und muß eine tägliche Wirklichkeit sein.“

Wie dies einer Welt verdeutlichen, der das Sensitorium zu mangeln scheint, einer „Fluchtenwelt“: in die Sexualität, in die Drogen, in den Tod? Was prägt den Vater des Opus und seine Kinder? Wo werden Leuchtspuren deutlich, Chiffren entschlüsselt? Benedikt von Nursia ortet seine stabile Spiritualität in der Tugendmitte, Franziskus im kühnen Höhenflug einfachen, anspruchlosen, aber seraphisch-liebenden Zeugnisses. Dominikus brachte des Menschen Königstugend, die Vernunft, in seinen Söhnen zu hohem Glänze, Ignatius die „acies ordinata“ im Dreiklang des Exerzitiums von „Gott - Mensch - Schöpfung“.

Josemarie Escrivä de Balaguer proklamierte ohne Manifest, ohne Botschaft das Lächeln. Nicht das Lachen über, sondern das Lächeln an und für den Menschen. Aus dem grenzenlosen Glück der vollkommen alltäglichen Einigkeit und Innigkeit mit dem dreifaltigen Gotte. Aus der täglichen Eucharistie, nach der nichts wirklich Wichtiges, Ge-Wichtiges mehr passieren kann; aus dem Gespräch mit der Madonna, der Mutter. Und aus jenem mit Ihm, als das Christen das Gebet verstehen. Daher das Schweigen unter den „lauten

Wortmeldungen in Welt und Kirche“. Daher die begnadete Selbstverständlichkeit.

Am Tage vor dem Konklave, dem 24. August 1978, hielt ein schlichtes Mietauto vor dem Gebäude in der Viale Bruno Buozzi, vor dem Hause des Generalpräsidenten des Opus Dei. Dem Wagen entstieg ein geistlicher Herr in schwarzer Soutane, an der nur ein schmaler roter Kragenstreifen den Kardinal verriet. Albino Kardinal Luciani lebte aus dem Geheimnis, das 100 Millionen Menschen an den TV-Empfängern zwei Tage später „so sympathisch“-finden werden: aus dem Geheimnis des Lächelns, das jede Arbeit heiligt. Auch die ganz gewöhnliche Arbeit als Hirte der ganzen Welt.

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