6543431-1947_01_07.jpg
Digital In Arbeit

Von der Metaphysik des Glücks

Werbung
Werbung
Werbung

S)eit langem schon neigen die neueren Zeiten dazu, das äußere Wirken des Menschen immer mehr tmd mehr zu erweitern und das innere Leben zu verengern Es ist der uralte Gegensatz von tätigem und schauendem Leben oder, wie man zuletzt sagen muß, von Stofflichkeit und Geistigkeit im menschlichen Wesen. Der Mensch hat beides in sich, aber das wesensgemäße Gleichgewicht zu finden, das ist die Aufgabe. Dringt der Materialismus ein, wie das.bei uns etwa seit Goethes und Hegels Tode der Fall war, dann drängen alle Kräfte nach außen. Das nach außen gewendete Wirken beherrscht die Gesellschaft und das Bild der Geschichte.

Wird allein das tätige Leben gepflegt und nicht auch das beschauliche, nach innen gewendete, dann entsteht ein doppeltes Unheil: das innere Leben verkümmert und, daraus folgend, der Wert des Menschen verblaßt.

Das Verkümmern des inneren Lebens, das Versäumen der inneren Entwicklung ist der Grundschaden. Dieses Versäumnis ist nichts Geringeres als die Sünde gegen den Geist, und die kann nicht vergeben werden. Warum? Weil sie in nichts anderem besteht, als in einem Nicht-Sein und NichtWerden. Sie ist gleichsam ontologischer Natur; denn wo der Mensch sich dem Geistigen, das ihm als Aufgabe entgegentritt, versagt, also sein eigenes inneres Wachstum, seine eigene innere Ausbildung unterläßt, verneint, dort ict kein Werden, kein Sein. Der Mensch zieht sich dadurch einen Mangel zu, einen Fehlbetrag an seinem Sein, ein Nicht-Sein. Was geschah, wird nimmermehr ungeschehen. Nur wer hat, dem wird gegeben, wer nicht hat, dem wird genommen.

Zugleich hängt auch das Bewußtsein von Wert und Würde des Menschen daran, daß dem tätigen Leben überall ein schauendes, nach innen gekehrtes zugrunde liege. Das echte Handeln folgt auf das geistige Schauen. Was im Schauen angesammelt wird, fließt in Handeln über. So schon beim Erfinder, der durch Einkehr in sich selbst, durch, innere Hingabe an das Werk zum Erfindergedanken kommt, beim Künstler, beim Gelehrten, auch beim Staatsmann und höheren Politiker, der durch Konzentration zum schöpferischen Gedanken kommt. Denn nur im besinnlichen Verhalten, im Schauen, wird der Grund zu einem Innenleben gelegt, wird der Geist entfaltet. Nur im Schauen, gleichviel welcher Art, wird ein Funke höheren Lebens angefacht und damit zugleich dem Menschen zum Bewußtsein gebracht: der unendliche Wert des menschlichen Geistes oder mindestens der Wert, dessen der Mensch fähig ist, erkannt. „Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewänne und nähme doch Schaden an seiner Seele?“ Mit diesen Worten wird die Forderung nach einem schauenden Leben als Grundlage eines tätigen auch von der Sittenlehre her (nicht nur von der mystischen Erfahrung her) begründet.

Die Neigung zur Sünde gegen den Geist und das gründliche Verkennen der hohen Würde des Menschen kann man als die

beiden Mängel, an denen unsere Zeit krankt, bezeichnen, weil sie eine Zeit ist, die nur das tätige Leben anerkennen will. Sie versteht nicht, inwiefern das tätige Leben verarmt und verwildert, wenn es durch das schauende von innen her nicht erleuchtet, erwärmt und geläutert wird; weshalb es auch'für sich allein nicht das Glück bringen kann.

Die Metaphysik des inneren Glücks — darum bemüht sich die materialistische und positivistische Philosophie des letzten Jahrhunderts gar wenig, warum? weil sie gänzlich von dem Bemühen nach äußerem Glück, nach äußerem Erfolg des Handelns beherrscht war Darum kann es auch in solchen Zeiten nur schwer eine echte, hohe Kunst geben, denn diese gründet auf dem Innenleben, welches an das metaphysische heranreicht. Die Metaphysik des inneren Glücks führt überall vom äußeren Wirken auf inneres Schauen zurück, auf ein Schauen, in welchem die Berührung der Ideenwelt, des göttlichen Lebens selbst erstrebt wird und auch zuweilen erreicht werden mag. In dieser Berührung liegt eine Gabe, die alle äußeren Gaben überstrahlt, eine Gabe, welche den geheimnisvollen Zusammenhang von Geber und Empfänger und darum auch von Gabe und Aufgabe, die dem Empfänger mit ihr auferlegt wird, erkennen läßt und stets gegenwärtig macht.

Der Anker unseres Glücks liegt in der Zukunft der menschlichen Seele, welche hienieden schon als inneres Leben erscheint, als unversiegliche Quelle des inneren Glücks. Wem das zu viel gesagt ist, der möge sich bei den großen Meistern Rat erholen. Von Mozart lernen wir, wie das innere Glück beschaffen sei, daß es gleichsam in einer verborgenen höherer, Heiterkeit und Unverletzlichkeit bestehe. Er zeigt in seinen großen Opern einen Umkreis inneren Lebens, um welchen herum die Wirrungen und Leiden des Tages zwar unaufhörlich toben, aber in ihn nicht einzudringen vermögen. Es gibt ein Unberührbares im Menschen; so zeigt uns Mozart zum Beispiel im Kyrie der Krönungsmesse, welches in innerer Verzückung verharrt, während draußen der Donner grollt (im „Herr erbarme dich“ des Textes). Ein anderer Meister, dessen Worte über die Jahrhunderte hin leuchten, als wären sie von heute, Eckehart, sagt in einer seiner lateinischen Predigten (Benz, 1937, S. 69 f.): „Allen Kreaturen zu entwerten und ,durch Widerwärtiges nicht geknickt zu sein' sei leicht, ,weil über dem Schmecken des Geistes alles Fleisch vergeht'.“ Der altchinesische Weise Lao-tse lehrte vor über zweitausend Jahren:

„Nur wer an seinen Leiden leidet,

wird frei von Leiden.“

(Deutsch von Wilhelm, Nr. 7K)

Also nur, wer das Leiden als eine innere Unvollkommenheit empfindet, kann sich davon befreien. Und im gleichen Sinne (Nr. 55):

„Den Frieden erkennen, heißt ewig sein, Die Welt erkennen,. heißt weise sein, Das (göttliche) Leben mehren, nennt man Glück.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung