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DIE CHRISTLICHE AUFFASSUNG VON DER ENTWICKLUNG

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Entwicklung ist nicht einfach gleichbedeutend mit wirtschaftlichem Wachstum. Wahre Entwicklung muß umfassend sein, sie muß den ganzen Menschen im Auge haben und die gesamte Menschheit, wie ein Fachmann auf diesem Gebiet geschrieben hat: „Wir lehnen es ab, die Wirtschaft vom Menschlichen zu trennen, von der Entwicklung der Kultur, zu der sie gehört. Was für uns zählt, ist der Mensch, der einzelne, die Gruppe von Menschen bis zur gesamten Menschheit15.“

Nach dem Plan Gottes ist jeder Mensch gerufen, sich zu entwickeln; denn das ganze Leben ist Berufung. Von Geburt an ist allen keimhaft eine Fülle von Fähigkeiten und Eigenschaften gegeben, die Frucht tragen sollen. Ihre Entfaltung, Ergebnis der Erziehung durch die Umwelt und persönlicher Anstrengung, gibt jedem die Möglichkeit, sich auf das Ziel auszurichten, das ihm sein Schöpfer gesetzt hat. Mit Einsicht und Willen begabt, ist der Mensch für seinen Fortschritt ebenso verantwortlich wie für sein Heil. Unterstützt, manchmal auch behindert durch seine Erzieher und seine Umwelt, ist jeder seines Glückes Schmied, seines Versagens Ursache, wie immer auch die Einflüsse sind, die auf ihn wirken. Jeder Mensch kann durch seine geistige und willentliche Anstrengung als Mensch wachsen, mehr wert sein, mehr sein.

Dieses Wachstum ist nicht seinem freien Belieben anheimgestellt. Wie die gesamte Schöpfung auf ihren Schöpfer hingeordnet ist, so ist auch das geistbegabte Geschöpf gehalten, von sich aus sein Leben auf Gott, die erste Wahrheit und

Wachstum in unserem Menschsein die Summe unserer Pflichten. Mehr noch, dieser durch persönliche und verantwortungsbewußte Anstrengung zur Ausgewogenheit gekommene Mensch ist über sich hinausgerufen. Durch seine Eingliederung in Christus, das Leben, gelangt er zu einer neuen Entfaltung, zu einem Humanismus jenseitiger, ganz anderer Art, der ihm eine umgreifende Vollendung schenkt: das ist das letzte Ziel und der letzte Sinn menschlicher Entwicklung.

Der Mensch ist aber auch Glied der Gemeinschaft. Er gehört zur ganzen Menschheit. Nicht nur dieser oder jener, alle Menschen sind zur vollen Entfaltung berufen. Die Kulturen entstehen, wachsen, sterben. Aber wie jede Woge der steigenden Flut weiter als die vorhergehende den Strand überspült, schreitet auch die Menschheit auf dem Weg ihrer Geschichte voran. Erben unserer Väter und Beschenkte unserer Mitbürger, sind wir allen verpflichtet, und jene können uns nicht gleichgültig sein, die nach uns den Kreis der Menschheitsfamilie' Veiten. Die unbestreitbare Solidarität aller, eine Gabe an uns, ist auch eine Verpflichtung.

Die Entfaltung des einzelnen und der Gemeinschaft wäre in Frage gestellt, wenn die wahre Hierarchie der Werte abgebaut würde. Das Streben nach dem Notwendigen ist rechtens, und die Arbeit, es zu beschaffen, ist Pflicht: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen10.“ Aber der Erwerb zeitlicher Güter kann zur Gier führen, zum Verlangen, immer mehr zu besitzen, und zur Versuchung, seine Macht auszudehnen. Die Habsucht der einzelnen, der Familien, der Völker kann die Armen und die Reichen packen und bei den einen wie den andern einen erstickenden Materialismus hervorrufen.

Mehr haben ist also weder für die Völker noch für den einzelnen das letzte Ziel. Jedes Wachstum hat seine zwei Seiten-. Unentbehrlich, damit der Mensch mehr Mensch sei, sperrt es ihn wie in ein Gefängnis ein, wenn es zum höchsten Wert wird, der dem Menschen den Blick nach oben versperrt. Dann verhärtet sich das Herz, der Geist verschließt sich, die Menschen kennen keine Freundschaft mehr, nur das eigene Interesse, das sie gegeneinander aufbringt und entzweit. Das ausschließliche Streben nach Besitz verhindert das innere Wachstum und steht dessen wahrer Größe entgegen: für die Nationen Wie für den einzelnen ist die Habsucht das deutlichste Zeichen moralischer Unterentwieklung.

Die Entwicklungshilfe braucht immer mehr Techniker. Noch nötiger freilich hat sie weise Menschen mit tiefen Gedanken, die nach einem neuen Humanismus Ausschau halten, der den Menschen von heute sich selbst finden läßt, im Ja zu den hohen Werten der Liebe, der Freundschaft, des Gebets, dar Betrachtung“. So kann sich die wahre Entwicklung voll und ganz erfüllen, die für den einzelnen, die für die Völker der Weg von weniger menschlichen zu menschlicheren Lebensbedingungen ist.

Weniger menschlich: das sind die materiellen Nöte derer, denen das Existenzminimum fehlt; das sind die sittlichen Nöte derer, die vom Egoismus zerfressen sind. Weniger menschlich: das sind die Züge der Gewalt, die im Mißbrauch des Besitzes oder der Macht ihren Grund haben, in der Ausbeutung der Arbeiter, in der Ungerechtigkeit von Geschäften. Menschlicher: das ist der Aufstieg aus dem Elend zum Besitz des Notwendigen, der Sieg über die sozialen Mißstände, die Erweiterung des Wissens, der Erwerb von Bildung. Menschlicher: das ist das deutlichere Wissen um die Würde des Menschen, das Ausrichten auf den Geist der Armut18, die Zusammenarbeit zum Wohle aller, der Wille zum Frieden. Menschlicher: das ist die Anerkennung letzter Werte und die Anerkennung Gottes, ihrer Quelle und ihres Zieles von seaten des Menschen. Menschlicher: das ist endlich vor allem der Glaube, Gottes Gabe, angenommen durch des Menschen guten Willen, und die Einheit in der Liebe Christi, der alle gerufen hat, als Kinder am Leben des lebendigen Gottes teilzunehmen, des Vaters aller Menschen.

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