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Ruf nach dem neuen Geist

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In dem Organ der sozialistischen Hoch-'schuljugend „Der Strom“, 2. Maiheft, fragt der Verfasser, worin doch wohl der neue Geist bestehe, der allenthalben angerufen und beschworen wird, um die neue Zeit, den neuen Menschen zu formen. Mit Notwendigkeit ergibt sich, daß die Jugend Träger dieses Geistes werden müsse. Er erinnert daran, daß von den Alten zumeist die Politik gemacht werde, der die Jungen dann zum Opfer fallen. Es sei nicht allein getan mit Kongressen und Resolutionen, mit der Versicherung, alles für den Weltfrieden zu tun, wenn die einzelnen Völker doch nicht hinauskommen über Maßnahmen zur Selbsterhaltung, wenn sich jedes einzelne Staatsgebilde verschließe vor dem Menschen anderer Nation, wenn nicht der Gedanke Raum gewinne, daß die Menschheit eine geeinte Familie darstellen müsse.

„Der Sieger von heute“ — heißt es weiter — „wurde der Besiegte von morgen. Das darum, weil es eben in der Gemeinschaft der Menschheit keine einzelnen Völker, sondern nur mehr miteinander auf Gedeih und Verderb verbundene Gemeinschaften gibt. Kriege müssen nicht nur durch Konventionen und Kongresse verurteilt, sondern durch feste internationale Organisationen sämtlicher arbeitenden Menschen jedes Landes und durch den Zusammenschluß der Jugend verhindert werden. Wo ist endlich die starke Brücke, die Jugend mit Jugend verbindet?

Woraus soll der neue Geist be-j t e h e n ? Aus dem sozialen Gefühl jedes einzelnen Menschen? Der Sozialismus beginnt nicht damit, daß man einer sozialistischen Partei beitritt, sondern, daß man das eigene Ich, solange es nur dem bösen Prinzip des Egoismus dient, überwindet.

Der moderne Mensch soll in seiner Nation Jeben, aber sie sei ihm nicht letzte Form — er muß bereit sein, selbst diese Nation zu lassen, das Kreuz auf sich zu nehmen und die Menschheit zu suchen! Er muß wie Dante sagen können, als er verbannt, sein geliebtes Florenz verlassen mußte: ,Meine Heimat ist die ganze Welt!' Nichts darf im modernen Menschen größer sein, als die Liebe zu den Menschen.

Damit aber glauben wir zu einer überraschenden Definition der neuen Geistigkeit gelangt zu sein: sie ist nicht Geist, sondern Liebe. Sie wächst nicht im Wesen aus dem Hirn, sondern aus dem Herzen. Aus dem Herzen wird die Welt neu geboren, durch einen die Völker verbindenden Sozialismus, in Liebe wurzelnd. Der neue Geist ist Lieb e.“

Aus den leider noch zu oft hörbaren Dissonanzen des Parteihaders hebt sich hier eine Stimme ab, die rein erklingt jenseits aller kleinlichen Forderungen für nur eine einzige Klasse. Hier spricht eine Jugend, gereift an dem blutigen Drama der Weltgeschichte der jüngst vergangenen Epodie. Für den gläubigen Menschen lag in den Ereignissen der letzten Zeit der Anruf der höchsten Majestät, sich zu besinnen auf gültige Satzung und ewige Norm. Die Selbstvergottung der vernichteten Machthaber war ein klarer Beweis dafür, daß der Mensch zwangsläufig dem Untergange zu-steuert, wenn er sich selbst zum Maße, aller Dinge macht.

Der lebendig glaubende Christ erfährt in jedem Meßopfer der Kirche die Besinnung auf die Grundlagen seines Seins und Tuns, die in der Abbildlichkeit Gottes gegeben sind. Er weiß es, daß in der Tat die Neugestaltung der Welt , im Kleinen wie im Großen vom Geiste ausgeht, genauer gesagt, von dem Geiste, der die Liebe ist.

Somit ist zunächst einmal die Forderung nach dem neuen Geist kerngesund und entspricht einer Ursehnsucht des Menschen. Um so beglückender wirkt der Durchbruch dieses Verlangens bei einer Jugend, die traditionsgemäß nicht den Geist, sondern den Stoff an den Beginn setzt und die so die Grenzen des Materialismus durch eigenes inneres Ringen überwindet. Es war der philosophische Materialismus, der wiederum die Enge bestimmter Politik erzeugte, die nicht aufsteigen ließ zum Umfassen des ganzen Menschen in seiner vielfältigen Schichtung geistiger und sozialer Stufung.

Hier nun wäre der Ansatz zur Revision einer Grundeinstellung gegeben. Es weitet sich der Blick und sucht den Menschen im Menschen. Jedenfalls wird mit der Frage:' „Wo ist die Brücke, die Jugend mit Jugend verbindet?“ — für eine Generation, und zwar für die bedeutsamste, der Versuch ge- . wagt, über das Trennende hinwegzusehen ' und Gemeinsames zu finden. Ja, in der „Uberwindung des bösen Prinzips, das der Egoismus darstellt“, sehen auch wir den Weg zueinander.

Wir glauben an den Ernst der Jugend, der hier der Aufbau des Abendlandes am Herzen liegt. Sie steht vor den Trümmern einer Welt, die den Geist verraten hatte, einer Welt, deren Grundgefüge aus dem brüchigen Stein des Machtwahns, der Raffgier und krankhafter Selbstüberschätzung bestand.

Man hat die Hirne der Jugend zu betäuben, ihre Herzen zu verhärten gesucht. Sie ist den Worten gegenüber vorsichtig geworden und vorsichtig gegenüber der großen Geste im Scheinwerferlicht. Die Kindheit dieser jungen Menschen entbehrte der Idylle im umfriedeten Heim. Sie haben gesehen, wie sich die Kulissen der Welt verschoben, wie die Bühne sich unheimlich rasch drehte und wie die Völker der Blutrausch entmenschte. Und doch resignieren sie nicht, sie zeugen von unverwüstlicher Lebenskraft und suchen, wie wir mit tiefer Freude feststellen, mit dem ganzen Vermögen ihres Selbst. Es ist die gleiche Jugend, die sich in dem kleinen Gedichtbande „Das tägliche Bemühen“ (Europäischer Verlag, 1946) in ihrer Ernsthaftigkeit gezeigt hat.

Es liegt für uns kein Grund vor, die Reinheit der Absicht zu bezweifeln, um so weniger, da die nähere Bestimmung des Geistes in einer vorurteilslosen, tragenden Bruderliebe gesehen wird.

Wir freuen uns der Entdeckung sozialistischer Jugend, daß der neue Geist die Liebe ist. Es ist der alte, uralte, ewige Geist, der allein imstande ist, die Welt zusammenzuhalten. Der Hinweis auf Dante, der Bezug auf das Kreuz mit der Andeutung, daß der Mensch sich aufmachen müsse, den Menschen auch unter Opfern zu suchen, beweist, daß alle Liebe einen Urgrund hat, führt hin zur Einheit der Liebe in Gott. Es gibt wohl Modalitäten, in denen sich Wahrheit äußert, dennoch gibt es nur eine Wahrheit; es gibt unendlich viele Bilder des Schönen und doch nur eine Schönheit; es gibt so viele Gestalten der Liebe als es Herzen gibt, die diese verströmen wollen, dennoch gibt es nur eine Liebe. Es ist das Eine, das Wahre, das Schöne, das Gute, das die Menschen zu aller Zeit veranlaßt, „den neuen Geist“ zu suchen. Die unstillbare Sehnsucht nach dem Absoluten sucht um so drängender Erfüllung, je stärker Geist und Herz geknebelt waren. Im Trümmerfeld Europas sind Formen zerbrochen, Konventionen begraben, Vorurteile hoffentlich für immer verschüttet. Lassen wir das Vergangene vergangen sein. Freuen wir uns, wenn eine Jugend den alten Geist der Liebe in neue Formen gießen will und helfen wir ihr, ihn zu finden und zu festigen.

Die neue Geistigkeit wächst gewiß nicht aus dem Hirn, wenn man damit eine positi-vistisdi-biologistisdie, spricht materialistische Topographie meint. Sie wächst aus dem schwer übersetzbaren lateinischen „mens“, einem Begriff, der Geist sowohl als Gemüt bedeutet, denken sowohl als sich besinnen. Die Liebe reift in dem Herzen, das vom Geiste befeuert wird. Die Liebe, die diese Jugend meint, ist der Wille, den Bruder im Bruder zu finden, hinweg über Anderssein und andere Lebensform. Es ist die Liebe, die den Andersdenkenden als Einmaligen und Unvergleichlichen und in seiner Art und an seinem Platze wertvollen Exponenten des Menschseins sieht.

Es ist Pfingstgeist. den diese Jugend fordert, der Geist aus dem Welten entstehen und der das Angesicht der Erde erneuert.

Dank der sozialistischen Jugend für das tieferfüllte Wort vom „Neuen Geist“. Wir erinnern sie an ihr eigenes Wort von „idealistischer, opferbereiter Jugend“, die Träger dieses Geistes sein soll und wir erinnern sie an das zweite Wort, daß „einstmals aus den Stürmern und Drängern ehrenwerte Flofräte“ wurden. Es bedarf einer unerschöpflichen Quelle, um sich immer wieder zur Verwirklichung des Entschlusses der Jugendzeit zu regenerieren.

„Der neue Geist“ ist zweifellos die Brücke, die Jugend mit Jugend zu verbinden imstande ist. Wir fordern die, welche dieses Wort gesprochen, auf, die Brücke zu betreten und sie wird sich als tragfähig erweisen, sofern sie aus dem echten Material besteht, das sich in ständigem Gebrauch nidit abnutzt, sondern veredelt und das gegeben wurde mit dem Postulat: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“

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