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Liebe läßt sich nur bewahren, indem man sie verschenkt

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1. Ein Glück, das wir für uns allein suchen, ist nirgends zu finden; denn ein Glück, das sich verringert, wenn wir es mit anderen teilen, ist nicht groß genug, um uns glücklich zu machen.

In der Befriedigung unseres Ich liegt ein trügerisches Augenblicksglück, immer aber führt es zu Leiden, weil es unseren Geist einengt und abstumpft. Echtes Glück findet sich in selbstloser Liebe, die in dem Maße wächst, in dem sie mitgeteilt wird. Der Mitteilbarkeit der Liebe ist kein Ende gesetzt, darum ist die Glücksmöglichkeit solcher Liebe unbegrenzt. Unendliche Selbstmitteilung ist das Gesetz von Gottes innerem Leben. Und die Mitteilung unseres Selbst hat Er zum Gesetz unseres Wesens gemacht, so daß wir uns selbst am tiefsten lieben, wenn wir andere lieben. In uneigennützigem Handeln erfüllen wir die Möglichkeiten unseres Seins und Tuns am besten.

Dennoch gibt es kein Glück unter Zwang. Für die Liebe ist bloßes Geben und Nehmen nicht genug; sie will in Freiheit geben und nehmen. Das heißt, sie will verschenkt, nicht nur angenommen werden. Selbstlose Liebe, die an einen selbstsüchtigen Empfänger verschwendet wird, schafft kein vollkommenes Glück. Nicht weil Liebe Erwiderung oder Lohn fordert, sondern weil sie im Glück des Geliebten beruht. Und wenn der Geliebte die Liebe selbstsüchtig empfängt, ist der Liebende nicht befriedigt. Er erkennt, daß es seiner Liebe nicht gelungen ist, den Geliebten glücklich zu machen. Er hat seine Fäh keit zu ‘selbstloser Liebe nicht wecken können So entsteht das Paradox, daß selbstlose Liebe nur in einer ebenso erwiderten Liebe ganz zur Ruhe kommen kann. Denn sie weiß, daß wahrer Friede nur in selbstloser Liebe zu finden ist. Um des Geliebten willen ist selbstlose Liebe bereit, sich selbstlos lieben zu lassen. Dadurch wird sie selber vollkommener.

Die Gabe der Liebe ist die Gabe, Liebe auszuströmen und aufzunehmen, darum kommt schenkende Liebe erst zu voller Wirksamkeit im Empfangen. So kann man Liebe nur bewahren, indem man sie verschenkt, und sie läßt sich nur vollkommen verschenken, wenn sie zugleich empfangen wird.

2. Liebe zieht nicht nur das Wohl des anderen dem eigenen vor, sie vergleicht die beiden nicht einmal. Sie kennt nur ein Wohl: das des Geliebten, das zugleich das eigene ist. Liebe teilt das Wohl mit einem anderen nicht, indem sie es zerteilt, sondern indem nie sich mit dem anderen identifiziert, so daß sein Wohl zum eigener Trird. Ein und dasselbe Wohl in seiner Ganzhdt wird von zwei Menschen in einem Geiste genossen, nicht halbiert und auf zwei Seelen verteilt. Wo Liebe wahrhaft und uneigennützig ist, kommt der Liebende gar nicht darauf, sich zu fragen, ob er irgend etwas von dem, was er seinem Freund zugedacht hat, besser für sich selbst verwenden könnte. Liebe sucht ihr ganzes Wohl im Wohl des Geliebten, und solch Wohl zu zerteilen, hieße die Liebe verringern. Eine solche Teilung würde nicht nur das liebende Handeln schwächen, sondern dadurch auch die Freude daran mindern. Denn Liebe sucht nicht eine Freude, die aus der Wirkung folgt — ihre Freude liegt in der Wirkung selbst, nämlich dem Wohl des Geliebten. Wenn also meine Liebe lauter ist. so brauche ich nach keiner Befriedigung für sie zu trachten. Liebe trachtet nur nach einem: nach dem Wohl des geliebten Wesens. Sie läßt all die anderen zweitrangigen Wirkungen unbeachtet. Liebe ist darum ihr eigener Lohn.

3. Wer einen anderen liebt, wünscht das, was wahrhaft gut für ihn ist. Solche Liebe muß sich auf Wahrheit gründen. Eine Liebe, die zwischen wohl und übel nicht unterscheiden kann, ron- dern blind liebt, um der bloßen Liebe willen, ist mehr Haß als Liebe. Blind lieben heißt selbstsüchtig lieben, denn das Ziel solcher Liebe ist nicht der wahre Nutzen des Geliebten, sondern die Liebesregung in unserer eigenen Seele. Solche Liebe erscheint auch gar nicht als Liebe, solange sie nicht vorgibt, das Wohl des Geliebten zu suchen. Da sie aber nicht nach der Wahrheit fragt und gar nicht die Möglichkeit in Betracht zieht, daß sie in die Irre gehen könnte, erweist sie sich als selbstsüchtig. Sie sucht nicht den wahren Nutzen des Geliebten, ja nicht einmal den eigenen. Es liegt ihr nichts an der Wahrheit, sondern nur an sich selbst. Sie erklärt sich mit einem Scheingut zufrieden: nämlich mit der Erregung der Liebe um ihrer selbst willen, ohne Rücksicht auf ihre gute oder schlechte Wirkung.

Wenn solche Liebe sich auf der Ebene körperlicher Leidenschaft bewegt, läßt' sie sich leicht als das erkennen, was sie ist. Sie ist selbstsüchtig, und darum nicht Liebe. Die Liebenden kommen über das Verlangen ihres Körpers nicht hinaus, ja, im allgemeinen bemühen sie sich selbst mit guten Gründen zu täuschen. Sie folgen einfach ihrer Leidenschaft. Da sie sich nichts vormachen, sind sie ehrlicher, aber auch unglücklicher als jene, die vorgeben, auf geistiger Ebene zu lieben, ohne sich darüber klarzuwerden, daß ihre „Selbstlosigkeit“ nur eine Täuschung ist.

4. Wahrhafte Liebe ist weder schwach noch blind. Sie ist vom Wesen her klug, gerecht, maßvoll und stark. Solange alle unsere anderen Tugenden sich nicht mit ihr verbinden, ist unsere Liebe nicht echt. Niemand, der einen anderen wahrhaftig lieben möchte, wird willens sein, ihn im Irrtum zu lieben. Wenn wir andere Menschen überhaupt lieben wollen, müssen wir entschlossen sein, sie richtig zu lieben. Sonst ist unsere Liebe Selbstbetrug.

Der erste Schritt zu selbstloser Liebe ist die Erkenntnis, daß unsere Liebe sich täuschen kann. Zuallererst müssen wir unsere Liebe läutern durch Verzicht auf den Genuß der Liebe um ihrer selbst willen. Solange Genuß unser Ziel ist, sind wir unehrlich gegen uns selbst und gegen jene, die wir lieben. Wir suchen nicht ihr Wohl, sondern unser eigenes Vergnügen.

5. Es ist also klar, daß wir, um andere richtig lieben zu können, zuerst die Wahrheit lieben müssen. Und da es in der Liebe um wirkliche und konkrete menschliche Beziehungen geht, so ist die Wahrheit, die wir lieben müssen, wenn wir unsere Brüder lieben wollen, keine abstrakte Theorie. Es ist die sittliche Wahrheit, die in unserem Schicksal und dem ihren sich verkörpern und ins Leben treten will. Diese Wahrheit ist mehr als der kalte Begriff einer Verpflichtung gemäß sittlichen Geboten. Die Wahrheit, die wir in der Liebe zu unseren Brüdern lieben müssen, ist die konkrete Bestimmung und Heiligung, die durch die Liebe Gottes ihnen zugedacht ist. Wer einen anderen wirklich liebt, ist nicht nur von dem Wunsch bewegt, ihn in dieser Welt zufrieden und gesund und erfolgreich zu sehen. Mit etwas so Unvollkommenem kann Liebe sich nicht begnügen. Wenn ich meinen Bruder lieben will, muß ich irgendwie tief in das Geheimnis von Gottes Liebe für ihn eindringen. Ich darf nicht nur von menschlicher Zuneigung getrieben sein, sondern von jener göttlichen Zuneigung, die sich uns in Jesus offenbart und die unser eigenes Leben durch die Ausgießung des Heiligen Geistes in unser Herz reich macht.

Die Wahrheit, die ich in der Liebe zu meinem Bruder liebe, kann nichts bloß Philosophisches und Abstraktes sein. Sie muß gleichzeitig übernatürlich und konkret, wirklich und lebendig sein. Und diese Worte meine ich nicht im metaphorischen Sinn. Die Wahrheit, die ich in meinem Bruder lieben muß, ist Gott selbst, der in ihm lebt. Ich muß das Leben des in ihm atmenden Geistes Gottes suchen. Und ich kann dieses geheimnisvolle Leben nur durch das Wirken des gleichen Heiligen Geistes wahrnehmen, der in den Tiefen meines eigenen Herzens lebt und handelt.

6. Diese heilige Liebe läßt mich nach weit mehr streben als nach der Befriedigung meiner eigenen Wünsche, selbst wenn diese aut das Wohl der anderen abzielen. Sie muß mich auch zum Werkzeug der Vorsehung in ihrem Leben machen. Ich muß von der Erkenntnis überzeugt und durchdrungen sein, daß sie vielleicht ohne meine Liebe nicht das erreichen könnten, was Gott ihnen zugedacht hat. Mein Wille muß das Werkzeug von Gottes Willen werden, das ihnen hilft, ihre Bestimmung zu erfüllen. Meine Liebe muß ihnen zum „Sakrament“, zum Gnadenvermittler der geheimnisvollen und unendlich selbstlosen Liebe Gottes für sie werden. Meine Liebe muß für sie das Werkzeug nicht meines Geistes, sondern des „Heiligen Geistes“ sein. Die Worte, die ich zu ihnen rede, dürfen keine anderen als die Worte Christi sein, der sich herabläßt, sich ihnen in mir zu offenbaren.

Solche Auffassung heiliger Liebe gehört vor allem dem Priester zu. Sie hängt mit der Gnade der Weihe zusammen. Sie ist sozusagen vom Priestertum nicht zu trennen, und der Priester kann nicht im Frieden mit sich selbst und mit Gott sein, wenn er nicht versucht, die anderen mit einer Liebe zu lieben, die nicht bloß seine, sondern Gottes Liebe ist. Nur diese heilige Liebe, stark und sicher wie der Geist Gottes selbst, kann uns vor der jammervollen Verirrung bewahren, andere mit einer Liebe zu überschütten, die sie in die Irre führt und sie verleitet, das Glück dort zu suchen, wo es niemals zu finden ist.

7. Um andere mit ganz heiliger Liebe lieben zu können, muß ich wahr gegen sie, gegen mich selbst und gegen Gott sein.

Die, wahren Interessen eines Menschen sind zugleich vollkommen seine eigenen und Gemeingut des ganzen Reiches Gottes. Denn sie laufen alle in Gottes Plänen für seine Seele zusammen. Das Schicksal eines jeden von uns ist vom Herrn dazu bestimmt, in das Schicksal Seines ganzen Reiches einzugehen. Und je vollkommener wir selbst sind, um so mehr sind wir befähigt, zum Wohle der gesamten Kirche Gottes beizutragen. Denn jeder Mensch vollendet sich durch die Tugenden der Gotteskindschaft, und diese Tugenden zeigen sich in jedem anders, da sie im Leben eines jeden der Heiligen unter einer anderen Kette providentieller Umstände zutage treten.

Wenn wir einander wahrhaft lieben, wird unsere Liebe von hellsichtiger Klugheit begnadet sein, die die Absichten Gottes mit jeder einzelnen Seele erkennt und achtet. Unsere Liebe füreinander muß in einer tiefen Hingabe an die göttliche Vorsehung wurzeln, in einer Hingabe, die unsere eigenen beschränkten Pläne in die Hände Gottes überantwortet und nur darnach trachtet, an dem unsichtbaren Werk teilzunehmen, aus dem Sein Reich sich bildet. Nur eine Liebe, die die Absichten der Vorsehung spürt, kann sich völlig mit Gottes providen- tiellem Wirken in den Seelen vereinen. Gläubige Unterwerfung unter Gottes geheimes Wirken in der Welt erfüllt unsere Liebe mit kindlicher Frömmigkeit, das heißt, mit übernatürlicher Ehrfurcht. Diese Ehrfurcht, diese kindliche Frömmigkeit verleiht unserer Liebe gottesdienstlichen Charakter, ohne den sie nie eine heilige Liebe sein kann. Denn Liebe darf die Wahrheit im Leben derer, die um uns sind, nicht nur suchen, sie muß sie dort finden. Wenn wir aber die Wahrheit gefunden haben, die unser Leben formt, haben wir mehr gefunden als eine Idee. Wir haben eine Person gefunden. Wir sind auf das Handeln des Einen gestoßen, der noch verborgen ist, dessen Werk Ihn aber als heilig und anbetungswürdig kundtut. Und in Ihm finden wir auch uns selber.

8. Selbstsüchtige Liebe achtet selten das

Recht des Geliebten auf autonome Persönlichkeit. Sie ist weit davon entfernt, das wahre Wesen des anderen zu achten und ihm Raum zu Wachstum und Entwicklung in seiner eigenen Art zu gewähren. Vielmehr sucht sie ihn in Abhängigkeit von sich selbst zu halten. Sie be- harrt darauf, daß er sich ihr anpassen soll, und versucht das auf jede mögliche Weise zu erreichen. Selbstsüchtige Liebe welkt und stirbt, wenn sie nicht durch Beachtung von seiten des Geliebten am Leben erhalten wird. Wenn wir so lieben, sind unsere Freunde nur dazu da, damit wir sie lieben können. In der Liebe versuchen wir Hätschelwesen aus ihnen zu machen, sie uns gefügig zu erhalten. Solche Liebe fürchtet nichts mehr als das Entgegenkommen des Geliebten. Sie fordert seine Abhängigkeit, weil das notwendig ist, um unsere eigenen Gefühle zu mähren.

Selbstsüchtige Liebe erscheint oft selbstlos, weil sie bereit ist, dem Geliebten jedes denkbare Zugeständnis zu machen, um ihn gefangenzuhalten. Aber es ist die äußerste Selbstsucht, das Höchste in einem Menschen zu kaufen, seine Freiheit, seine Ganzheit, seine eigene autonome Würde als Person, um den Preis von weit geringeren Gütern. Solche Selbstsucht ist um so abscheulicher, wenn sie ihre Zugeständnisse selbstgefällig genießt, in der Illusion, es seien lauter Akte selbstloser, wahrer Liebe.

Eine Liebe, die wirklich selbstlos ist, die ehrlich die Wahrheit sucht, macht darum dem Geliebten keine uneingeschränkten Zugeständnisse.

Möge Gott mich vor der Liebe eines Freundes bewahren, der niemals wagt, mich zurecht zuweisen. Möge Er mich vor dem Freunde bewahren, der nach nichts anderem trachtet, als mich zu ändern und zu verbessern. Aber am allermeisten möge Er mich vor dem bewahren, dessen Liebe nur durch Zurechtweisung befriedigt wird.

Wenn ich meine Brüder in der Wahrheit liebe, wird meine Liebe nicht nur wahr gegen sie sein, sondern auch gegen mich selber.

Ich kann ihnen nicht treu sein, wenn ich nicht mir selber treu bin.

„Der Herr prüft den Gerechten und den Gottlosen, wer aber das Unrecht liebt, haßt seine Seele" (Ps. 10, 6).

„Unrecht“, das ist ungleiches Maß, Ungerechtigkeit, die mehr für sich verlangt, als ihr zusteht, und anderen weniger gibt, als sie empfangen sollten. Wenn ich mich selbst mehr liebe als andere, bin ich gegen mich ebenso unwahr wie gegen sie. Je mehr ich versuche, andere auszunutzen, um sö weniger bin ich Mensch, denn die Gier, zu besitzen, was mir nicht zusteht, verengt und mindert meine eigene Seele.

Der Mensch, der sich selbst zu sehr liebt, ist darum unfähig, irgend jemand wirklich zu lieben, einschließlich seiner selbst. Wie kann er dann hoffen, einen anderen zu lieben?

„Ein ungerechter Mensch verlockt seinen Freund und führt ihn auf einen unguten Weg fSpr. 16, 29).

9. Wahre Liebe lehrt uns, daß Freundschaft etwas Heiliges ist und daß es weder liebevoll noch heilig ist, unsere Freundschaft auf Unwahrhaftigkeit zu gründen. In gewissem Sinne können wir allen Menschen Freund sein, weil es keinen Menschen auf der Welt gibt, mit dem wir nicht irgend etwas gemeinsam haben. Aber es wäre falsch, zu viele Menschen als vertraute Freunde zu behandeln. Man kann nur mit sehr wenigen vertraut sein, weil es nur sehr wenige auf der Welt gibt, mit denen wir nahezu alles gemeinsam haben.

Liebe muß also dem geliebten Wesen und sich selbst und auch dem eigenen Gesetz treu sein. Ich bin mir selbst nicht treu, wenn ich rorgebe, mehr als es tatsächlich der Fall ist, mit jemand gemein zu haben, den ich vielleicht nur aus einem selbstsüchtigen und unwürdigen Grunde gern habe.

Dennoch gibt es einen allumfassenden Grund zur Freundschaft mit allen Menschen: wir alle sind von Gott geliebt, und mein Wunsch müßte es sein, daß alle Ihn mit ganzer Kraft lieben. Aber die Tatsache bleibt wahr, daß es mir auf dieser Welt nicht möglich ist, tief in das Geheimnis ihrer Liebe zu Ihm und Seiner Liebe zu ihnen einzudringen.

Große Priester, Heilige wie der Pfarrer von Ars, die in die verborgene Tiefe von Tausenden von Seelen geblickt haben, blieben dennoch Menschen mit nur wenigen vertrauten Freunden. Niemand ist einsamer als ein Priester mit einer großen Beichtgemeinde. Durch die Geheimnisse seiner Mitmenschen ist er isoliert in einer furchtbaren Einöde.

10. Nach allem Gesagten bleibt die Wahrheit übrig, daß es unsere Bestimmung ist, einander zu lieben wie Christus uns geliebt hat. Jesus hatte auf Erden wenige nahe Freunde, dennoch liebte und liebt Er alle Menschen und ist für jeden, der in diese Welt kommt, der vertrauteste Freund. Das Leben aller Menschen, denen wir begegnen und die wir kennen, ist in unser eigenes Schicksal verwoben, zusammen mit dem Schicksal vieler, die wir auf dieser Welt nie kennen werden. Aber bestimmte von ihnen, sehr wenige, sind unsere nahen Freunde. Weil wir mit ihnen mehr gemeinsam haben, sind wir imstande, sie mit einer eigenen selbstlosen Vollkommenheit zu lieben, denn wir haben mehr miteinander zu teilen. Sie sind untrennbar von unserem eigenen Schicksal, darum ist unsere Liebe zu ihnen besonders geheiligt: eine Kundgebung Gottes in unserem eigenen Leben.

11. Vollkommene Liebe zollt Gotte Freiheit höchsten Lobpreis. Sie preist seine Macht, sich denen zu schenken, die Ihn rein lieben, ohne diese Liebe in ihrer Reinheit zu vergewaltigen. Ja, noch mehr: selbstlose Liebe, die von Gott die Gabe Seiner Selbst empfängt, wird durch eben diese Gabe befähigt, in vollkommener Reinheit zu lieben. Denn Gott selber ist der Urheber der Reinheit und der Liebe derer, die Ihn und einander mit vollkommener Liebe lieben.

Man darf sich Gottes Liebe nicht als hungriges Verlangen vorstellen. Sie ist das Gastmahl des Himmelreichs, zu dem viele von dem großen König geladen waren. Viele konnten zu dem Gastmahl nicht kommen, weil sie etwas anderes begehrten, etwas eigenes — ein Landgut, ein Weib, ein Joch Ochsen. Sie wußten nicht, daß ihnen, hätten sie zuerst das Gastmahl und das Reich gesucht, alles andere dazugegeben worden wäre.

Heilige Liebe hungert nicht. Sie ist das j u g e convivium — das ewige Gastmahl, bei dem es keine Uebersättigung gibt, ein Fest, bei dem es mehr unsere Speise ist, anderen zu dienen, als uns selbst zu nähren. Es ist auch ein Gastmahl der Klugheit, in dem wir untereinander nach rechtem Maß zuzuteilen wissen.

„Und der Herr sprach: Wer ist wohl der treue und kluge Verwalter, den der Herr über sein Gesinde setzt, damit er ihnen zur rechten Zeit den angemessenen Unterhalt reiche? Selig der Knecht, den der Herr, wenn Er kommt, bei solchem Tun findet“ (Luk. 12, 42—43).

Wer aber andere mit heiliger Liebe speist, der speist sie mit dem Brot des Lebens, nämlich mit Christus, und Er lehrt sie auch die Liebe, die keinen Hunger kennt.

„Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu Mir kommt, wird nicht hungern, und wer an Mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten“ (Johannes 6, 35).

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