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Alte und Kranke

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Die Menschen unserer Zeit leiden an dem Mangel an echter Liebe. Liebe wurde zu häufig mit „sich selbst vergessen“, „sich selbst verleugnen“ gleichgesetzt. Unamuno sagt: „In der Geschichte hat man uns nicht gelehrt, liebe dich selbst, uns selbst zu lieben, verstehen wir jedoch nicht.“ Mangel an Selbstliebe führt zu Unsicherheit, Schwermut, Depressionen.

Der Mensch, der sich selbst annimmt, braucht sich nicht zu zerstreuen, abzulenken und unterhalten zu werden. Er hält die Ruhe aus, kann Ruhe finden, sich selbst finden. Und dann kann er auch die anderen lieben. „Liebe ist Hingabe. Und Hingabe ist Gabe von sich selbst. Nur wer sich selbst besitzt, kann sich verschenken, hingeben“, schreibt Josef G. Cascales in dem Buch „Wesentliches für wache Christen“.

Wie aber ist es möglich, daß der Mensch sich selbst annimmt und anerkennt, wenn er Annahme und Anerkennung so wenig erfährt? Wir üben ja alle Kritik, aber Lob und Anerkennung üben wir wenig.

Der Ausweg aus dieser Enge kann gerade für Christen in dieser Zeit der Erwartung das Wissen sein, das uns Lösung aus diesen Fragen - und Erlösung - zukommt, weil uns die Liebe und Menschenfreundlichkeit unseres Gottes in Christus erschienen ist. „Er hat uns zuerst geliebt.“ (1 Johannes 4,19.). Und Er liebt uns jederzeit mit allen unseren Grenzen und Schwächen.

Die Freude und der Jubel aus diesem tief erlebten Wissen kann uns die Kraft geben, uns selbst und auch viele andere anzunehmen und zu lieben.

Lieben heißt hier aber nicht, den anderen einfach so zu akzeptieren, wie er ist. Liebe ist zugleich die große, schöpferische Kraft, die das Gute erweckt.

Alle Menschen brauchen Anerkennung und Aufmerksamkeit. Besonders aber die Kranken. Weil ich selbst in einem Krankenhaus arbeite, möchte ich diese harten Fragen stellen: Sind die Krankenhäuser der Ort, an dem der kranke Mensch Liebe, Sicherheit und Güte erfährt, oder sind es Institutionen, die den Kranken noch mehr verunsichern? Hat unsere Gesellschaft noch Platz für die alten und kranken Menschen, sind wir bereit, noch einen Schwerkranken

in der Familie zu pflegen, oder haben wir diese Menschen „gut untergebracht“, weil sie es „dort besser haben“?

Der Mensch, der sich geliebt weiß, der lebensfrohe Christ, der sich selbst lieben kann, wie er die anderen liebt, der hat die Kraft, die Liebe weiterzuschenken, auch an alte und kranke Menschen.

Die Autorin ist Leiterin einer Schwesternschule in Wien.

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