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„Zu lieben ohne Maß“ - Liebe ist ein Geschenk

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Ich weiß nicht, was Liebe ist. Ich weiß aber, daß Gott die Liebe ist. Ich weiß, was nicht Liebe ist — aber als solche gilt: das bloße unverbindliche Nettsein zueinander, das Ersetzen wirklicher Hingabe an den anderen durch ein Geschenk oder Almosen. Ich weiß leider, daß Caritas Liebe heißt und daß die institutionelle Caritas die institutionsgewordene Liebe sein will, dieses Ideal aber oft verfehlt.

Wenn ich auch nicht weiß, was Liebe ist, so weiß ich, daß der Liebende sein Zentrum im anderen hat, den er liebt, nicht in sich. Und wenn der andere Gott ist, und Gott die Liebe ist und Gott zugleich liebeshungrig ist, das heißt, geliebt sein will, dann ist es eine Lebensaufgabe, ihn zu lieben - eine Aufgabe, die man nie zufriedenstellend bewältigen kann.

„Das Maß, ihn zu lieben, ist, ihn zu lieben ohne Maß.“ Gott zu lieben aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele, mit allen Kräften, ist eine übermenschliche Aufgabe, die uns gestellt ist. Der Versuch, sie zu erfüllen, macht allerdings glücklich, weil man sein Zentrum nicht in sich hat, sondern in Ihm.

Ihn lieben heißt aber auch, lieben, was Er liebt und wen Er liebt:

die ganze Schöpfung, die Natur lieben, die er gemacht hat und die von ihm spricht: auch die Menschen lieben, die er nach seinem Ebenbild geschaffen und für die er aus Liebe seinen Sohn hingegeben hat.

Johannes sagt: Wie kann man Gott lieben, den man nicht sieht, wenn man den Nächsten nicht liebt, den man sieht? Wir fühlen uns versucht, ihm zu antworten: Es ist leichter, Gott zu lieben, den man nicht sieht, als den Nächsten, den man sieht, gerade weil man ihn sieht, weil man seine Schwächen und Fehler sieht und weil man nicht nur sieht, sondern zu spüren bekommt, daß der eine nicht liebt, sondern haßt oder, was ja noch ärger ist, einem gegenüber gleichgültig ist. Wie soll ich den lieben?

Die eigentliche christliche Liebe ist, daß wir einander lieben, wie er uns geliebt hat. Und er hat uns geliebt, als wir noch seine Feinde waren. Seine Liebe war nicht die Antwort auf irgend etwas, was in uns schön, gut oder attraktiv ist, sondern sie macht das, was in uns häßlich, schlecht und unattraktiv ist, erst schön, gut und attraktiv.

Trotz aller Unterschiede zwischen Nettsein, Verliebtsein, Freundschaft und christlicher Liebe - sie alle hängen zusammen, und auch die höchste Form der Liebe, die Erfüllung des neuen Gebotes, zu lieben, wie Christus uns geliebt hat, ist nicht etwas, was wir aus eigenem zustandebringen.

Es wird uns als Geschenk ange- boten. Aber wir können das Geschenk auch zurückweisen oder in eine Schublade legen und uns als Realisten, die wir sind, wichtigeren Aufgaben widmen.

Der Autor ist Präsident der Caritas Österreich.

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