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Gib uns heute unser tägliches Brot

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Vater unser, der Du bist in den Himmeln, gib uns heute unser tägliches Brot. Gib uns die Nahrung des Leibes: das Brot aus der Frucht Deiner Schöpfung und der Arbeit unserer Hände. Gib uns heute das tägliche Brot Deiner Liebe. Gib uns heute das tägliche Brot Deines Willens. Gib uns heute das tägliche Brot Deines Wortes. Gib uns heute das tägliche Brot der Hoffnung. Gib uns heute das tägliche Brot der Freude.

Vater unser, der Du bist in den Himmeln, gib uns heute das tägliche Brot Deiner Sen-dung. Laß uns Kinder und Knechte sein, die Du in Dein Werk sendest. Sende uns täglich; sende uns heute. Laß Deines Werkes Werkzeug zu sein uns genießen wie Brot. Ernährend, sättigend, erfreuend sei uns dieses tägliche Brot bereitet. Ais Deine geliebten Kinder wollen wir die Liebe essen und wissen, daß wir nur so gesandt sind, einander zu begegnen.

So selbstverständlich wie das tägliche Brot sind die Liebenden einander., Auch wenn der Hunger der Ferne die Sinne peinigt. Auch wenn die Ferne nie Gegenwart werden will, dennoch, dennoch sind wir Liebende, die einander nahe sind. Wir sind nahe im Geist, fern am Leib. Wir sind nahe im Geist, nahe am Leib. Wie immer Du dieses tägliche Brot uns brichst, Vater, laß es uns so essen, wie Du es uns gibst.

Vater unser,' gib uns heule unser tägliches Brot. Laß es uns dort finden, wo Du es uns geben willst. Jeden Tag das heutige Maß der unmäßigen, maßlosen Liebe, darinnen wir einander begegnen dürfen. Immer wieder neu. Immer wieder erfreut und gestärkt. Immer wieder bis in die Ewigkeit. Denn die Liebe, die Du uns gibst, daß wir in ihr einander begegnen sollen, hat kein Ende. Auch nichc mit dem argen Tode; auch nicht mit der noch ärgeren Ferne! Nie hört Deine Liebe auf. Nie hört sie darum auf, wenn Du uns sendest zu begegnender Liebe. Nie hört dieser Sinn auf in uns zu sein und zu spielen. Dies ist das einzige, was uns auf ewig bindet, wenn Du uns in bloße, in reine Liebe fügst.

Laß uns aufmerken, wenn Deine Liebe kommt. Laß uns merken, wann und wie sie kommt. Laß uns täglich neu merken, wann und wie Deine Liebe ist, mit der Du uns ineinanderfügst.

Der Mann, den Du zu Deinem Bild und Gleichnis schufst, Adam, merkt anders die Liebe als Eva, die Du ihm zur Gefährtin gabst. Täglich begegnet er der Liebe, wenn er liebt; täglich begegnet sie der Liebe, wenn sie liebt. Aber die Sendung aufzuspüren, ist beiden anders gegeben. Wenn die Liebe selbstverständlich und nötig und immer neu wie tägliches Brot ist, so sieht Adam das Antlitz der Eva. Dann ist sie ihm nicht mehr Spiegel, darin er sich selbst sieht und für sich ganz allein sein Dasein bestätigt. Er sieht Eva, ihr eigenstes Antlitz, sieht Schicksal und Ereignis, das auf ihn zukommt. Er merkt, wie eine undurchdringliche, Dir gehörende Einsamkeit sich ihm zeigt, ohne ihm Einlaß gewähren zu können. Denn einsam bleibt der Liebende; einsam bleibt die Geliebte vor dem Lieben des Liebenden. Nur offen ist sie — manchmal wie eine Wunde; manchmal wie ein Märchen.

In dieses Offene hinein gibt Adam die Liebe. Nicht sich. Nicht etwas von ihm. Sie selbst, gesandt als Fülle der offenen Einsamkeit, ohne deren Paradies zu sem. Wunschlos und ohne Begehren ergießt er sich in die Gestalt der Geliebten. Fülle, die strömt. Nur d a! Um zu bewahren, was hier als Wunder oder als Märchen sich bietet. Um zu behüten, was sich ausneigen möchte in unendliches Geben. Um zu verhalten, was sich an Fülle ihm bieten will zu endlosem Besitz. Nur williges Opfer, die Gestalt der Geliebten nicht zu versehren. Williges Opfer, das einsame Du in der harten Einsamkeit zu bestehen. Wie drängt es ihn, diese Wunde zu lindern, die er in der Geliebten gewahrt! Wie wünscht er das Märchen zu durchschreiten bis tausend Schritte über das letzte Wunder hinaus! Aber das Maß der Liebe. Aber das Maß der Zucht. Aber das Brot, das nur tägliche Brot von einem Tag auf den anderen und ohne Vorräte und Klugheit.

Anders gewahrt die Gefährtin die Liebe, anders ißt sie das tägliche, ach, das nur tägliche Brot der Begegnung. Sie ist voller Hingabe. Ohne Verhaltung, es sei denn verhalten zu werden von Adam. Sie ist voller Ergebung, die sie nur mäßigt mit der Verweigerung dessen, den sie so ganz liebt. Ihr ist für das Lieben ein anderes Maß geschenkt. Sie kann das Wesen des Mannes nur dann bestehen, wenn Du, Vater im Himmel, ihr einfällst. Nur durch das Glück, Dein unbeschadetes Kind zu sein. Nur um der Erinnerung willen, von Dir geliebt und gesandt zu sein, vermag Eva zurückzuhalten, was sip hingeben will. Nur durch Dich allein, der sie liebt; nur durch Dich, den sie liebt, Vermag sie sich zurückzunehmen und zu verweigern; will sie das tägliche Brot der Begegnung mit dem Geliebten. Nicht hingegeben, nicht angenommen; nicht ganz zu sein vor dem, der mit seiner Liebe sie traf, das ist ihr Leid. Solches Leid überwindet sie durch Dich, Vater.

Weiß sie gläubig Dich als sendenden Gott, dann wird sie verstehen, wie Liebende in der Begegnung mehr sind als Adam und Eva; wie sie Kinder sind, Kinder des Himmelreiches, Kinder Dein, o Vater unser. Um dieses Reichtums willen wird sie dann die Ergebung finden; sie wird um Deines Reiches willen die Versagung an den Geliebten nicht als Versagen mehr fühlen. Glaubt sie nicht an Dich, der Du die Liebe bist; glaubt sie nicht, gesandt zu sein zur Begegnung, die sich verhält, dann wird sie aus der Liebe ihren Gott machen; sie wird die Liebe fälschen müssen.

Dies sind die Aufmerkenden für ihre Begegnung, in die Du sie sandtest: Adam wird achtsam und bereit zu Opfern; Eva wird das tägliche Brot der Liebe zu Adam in das ewige Brot der Liebe zu Dir verwandeln. Nur so, nur so bestehen beide die Größe, Sinn zu haben und Spiel zu leben.

Warum nur drängen selbst Liebende dazu, anstatt des täglichen Brotes ein dauerndes Brot zu haben? Warum wollen sie volle Scheunen und Schubladen, wo sie doch Liebende sind von Stunde zu Stunde; neue sind von Tag zu Tag; einige sind von Ewigkeit zu Ewigkeit? Ist die Liebe denn nicht genug? Gibt es denn mehr als da zu sein und .Sinn zu leben und selig zu spielen? O der Mensch, der ganze Mensch! Herr und Gott, Vater und Liebe, wie schufst Du den Menschen in doppelter Weise und einziger Würde! Unser Geist soll sich menschlich erweisen; nicht Gott sein; nicht Engel. Menschsein ist Wonne und Würde des Menschen, die Du ihm schufst und die er nun liebt.

Unser Geist will menschlich sein und in den Sinnen sich ausweisen, welchen Sinn es hat, Liebender-Geliebter zu sein. In den Sinnen will sich der Geist den Sinnen des anderen bieten, auf daß er den Geist in seinem Geiste verspüre. Darum will Liebe nicht nur das tägliche Brot als das ewige; darum wollen die Liebenden nicht nur das ewige Brot täglich. Darum wollen Liebe und Liebende auch eine Dauer; gefüllte Scheunen und Garantie in den Sinnen über alle Tage und Jahre der Sinne bis an den Tod.

Dies ist Gesetz für den Menschen, wie Du ihn schufst und liebst. Da aber Dein Wille ihn sandte, daß er Begegnung, nicht Auftrag habe, darum darf er sich nicht in Zwecke binden. Nur Sinn darf er sinnlich ausdrücken; nicht Leistungen sinnenhaft vollziehen. Ewigkeit darf der Liebende ins Zeitliche zeigen; nicht die Dauer der Geschlechter fortsetzen.

Und Du gabst dem Menschen die, Macht, das Ewige unmittelbar in die Sinne zu binden; Du hast die Liebenden befähigt, die Ueber-Dauer der nie endenden Liebe zu zeitigen! Wie Geist an Geist teilnimmt und dies durch die Sprache offenbart — so kündet der Kuß der Offenbarung

der innigen Liebe. Die Mitte zwischen den Sprechenden ist der Mund; der Kuß aber ist die Brücke der Freude, darüber des einen Seele die andere grüßt; darüber die Sinne sich begegnen, weil die Seelen einander begegneten.

Dies allein und nicht das Geschlecht gabst Du den Liebenden: daß Sinn sich sinnlich erweise und Ueberzeitliches wahre.

*Vater unser, gibt uns heute unser tagliches Brot. Gibt uns die Liebe, die zwischen heute und der Ewigkeit nichts besitzt als die Verheißung. Gib uns die menschliche Form dieser Liebe, die nicht dauern darf in der Zeit. Gib uns die Liebe, darin wir Sendung haben, uns zu begegnen.

Wie zwei Ströme laß uns Liebende uns nacheinander sehnen. Dort aber, wo sie sich treffen, gib der Liebe, daß die Ströme sich wandeln in hohen jauchzenden Springquell. Nicht das Lieben sollen wir lieben, sondern die Liebe selbst. Gibt nicht zu, daß Adam sich bloß spiegelt in seiner Gefährtin; aber laß auch nicht genug sein, daß einer des anderen Einsamkeit liebt. Gib den übermäßig Liebenden Freiheit, daß sie die Liebe lieben. Reiß sie über sich hinaus; gib ihrem Lieben verwandelte Richtung; nicht mehr sie selbst sind genug, sondern das Lieben. Laß sie bekennen, daß die Begegnung nur Du sein kannst, Du in dem Reichtum des Himmels, darin die Liebe aus Wesen die Liebe des Heiligen Geistes aufjauchzen läßt.

Da beschenken die Liebenden einander mit einer Gabe, die sie nicht von selbst besitzen; und doch rauben sie nichts, was sie verspenden. Sie selbst, Liebende, sind der Besitz des Liebens — der göttlich gesandten Liebe, des Heiligen Geistes. Den verschenken sie einer dem anderen, Weil Du IHN zu Gabe und Besitz sandtest. Er ist es, den sie meinen und lieben; Ihm der sie besitzt,, verschenken sie einer dem anderen, den Heiligen Geist, dem sie geschenkt sind: damit Er alle ineinanderfüge.

Der Geist, der in den Liebenden die Liebe ist, Er ist gegeben und gibt; Er ist Geschenk und schenkt; Er ist gesandt und sendet; Er ist geliebt und liebt. So fügt er die Liebenden in ihre tiefste Sendung ein, o Vater unser: Er gibt Kraft des Gebens und des Nehmens; Er schafft Bewegende und Bewfegte: Er bildet Liebende und Geliebte aus allen, denen Er zum Inbegriff des Liebens wurde.

Den einen Liebenden durchweht der Heilige Geist, daß er die tägliche, die ständig neue Strecke hin zum Du durcheile; so treibt Er dann ' den anderen Liebenden, das Wehen des Eifers aufzufangen. Wer ist Eifer? Wer ist Fangender des wundersamen Balles der Liebe? Er, nur immer Er selbst ist es, der Geist, der in der Liebe die Liebe ist. Wem Er Kraft des Eilens gibt, der liebt in dieser Kraft; wem er Kraft des Weilens gibt, der liebt durch diese. Keiner ist der Springflut fern, denn beide Liebende nur vermögen ve zu schaffen da sie beide lieben. Aus beiden Liebenden entspringt der Geist der Liebe, da Er der Strom ist, der die beiden treibt, daß sie verströmen; da Er die Stelle ist, wo aus beiden Liebenden die Liebe strahlt, die liebt. Keiner ist der Liebe fern, denn Gottes Heiliger Geist macht Liebende und schafft Geliebte und gibt des Liebens Inhalt, seligen Ueberfluß, sich selbst. O Geist der Liebe, der uns sendet, da Er selbst gesandt ist!

Vater, sieh, wir lieben mit der Ewigkeit die Ewigkeit; mit Sendung sind wir aufeinander hingewandt; und wir begegnen uns, indem wir IHM, dem Geist, begegnen.

Unseres tief gemeinsamen Lebens sind wir uns bewußt, da wir uns küssen: da wir uns einander ausliefern, um Geist in Geist zu offenbaren.

Wir sind, einander liebend, von Wesen zu Wesen da. Gibst du solche Gnade den Liebenden, die Du anderen versagst, so gib Anwesenheit, Nähe und Gegenwart; laß so sie eingebaut sein in das Werk des Ganzen, daß sie einander auch sehen und begreifen dürfen. So Dein versehentliches Lieben aber für die Liebenden Ferne will, daß sie dann an die Freude glauben; die jenseits aller Sinne Sinn hat. Laß sie spüren, daß die Ferne noch ein Uebermaß der Liebe ausdrückt, jenes Maß, das in Bild und Gleichnis und Symbol nicht mehr einzufangen ist.

Liebende sind, die sich begegnen, um einander Sinn des Daseins zu offenbaren und zu sein. Sind sie Liebende, so ist ihr Wesen in der Ewigkeit begründet, und sie essen täglich Brot in jedem Heute. Gib uns heute unsere geliebte Gegenwatt, wenn wir Liebende sind, und laß uns nicht an der Ferne leiden. So Du aber die Ferne für uns bestimmt hast, dann sei sie nicht ein ewiges Brot, sondern ein heutiges Brot, das Du uns täglich neu reichen wirst.

Gepriesen sei das Brot der Liebe. Gepriesen sei die Anwesenheit, die ewig ist. Gepriesen sei die Ferne, die heute ist. Gepriesen sei die Ferne, die täglich ist. Gepriesen sei die Gegenwart, die heute ist und jeden Tag. Gepriesen sei die Gnade, Vater unser, mit der Du uns zu Liebenden beriefst, die gesandt sind, um für einander da zu sein. Gepriesen seist Du, Vater unser, der uns heute unsere tägliche Sendung gabst. Gib uns heute unsere tägliche Liebe.

Aus „Das Vaterunser der Liebenden“, Verlag Herold, Wien.

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