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Gedanken der Stille
Es ist leicht, den Armen zu sagen, sie sollten ihre Armut als Gottes Willen hinnehmen, wenn du selber warme Kleider hast und reichlich zu essen, ärztliche Fürsorge, ein Dach über dem Kopf und keine Sorgen wegen des Mietzinses. Willst du jedoch, daß sie dir glauben sollen, so versuche, ihre Armut mit ihnen zu teilen und sieh zu, ob du dann selbst dein Armsein als Gottes Willen zu begreifen vermagst!
Eines der ersten Dinge, die du lernen mußt, wenn du ein Beschauender werden willst, ist, dich nicht in die Angelegenheiten anderer einzumischen. Nichts wirkt verdächtiger bei einem im Rufe der Heiligkeit lebenden Menschen als ein allzu stürmisches Begehren, andere zu bekehren. Es ist ein schweres Hindernis für innere Sammlung, wenn du darauf versessen bist, diejenigen zu leiten, deren Leitung dir nicht anvertraut ist, die zu reformieren, deren Besserung dir nicht aufgetragen wurde, und solche zurechtzuweisen, die deinem Urteilsspruch nicht unterstehen. Wie kannst du deine innere Ruhe bewahren, wenn du dergleichen tust? Kümmere dich so wenig wie möglich um die Fehler anderer und überhaupt nicht um ihre natürlichen Schwächen und Eigenheiten.
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Ein katholischer Dichter sollte ein Apostel sein, indem er vor allem Dichter ist, und nicht trachten, Dichter zu sein, indem er vor allem Apostel ist. Denn wenn er als Dichter vor die Menschen tritt, beurteilt man ihn zuerst als Dichter, und ist er kein guter Dichter, so macht man sich über sein Apostolat lustig.
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Unser Geist gleicht einer Krähe, die alles Glänzende aufpickt, auch wenn sie ihr Nest mit allen harten Metallstücken noch so unbehaglich macht.
Der Begriff „Tugend“ hat nichts Lockendes für die Menschen unserer Tage, weil ihnen nichts mehr daran liegt, gut zu werden. Gleichwohl horcht mancher vielleicht ein wenig auf, wenn man ihm sagt, der hl. Thomas habe die Tugenden als „Gewohnheiten des praktischen Verstandes“ bezeichnet. Denn alles, wovon sie denken, es könnte sie gescheiter machen, freut die Menschen unserer Tage.
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Es kommt manchmal vor, daß gerade Menschen, die am heftigsten über das Böse und die Bestrafung des Bösen predigen und die sich fast mit nichts anderem zu beschäftigen scheinen als mit der Sünde, eigentlich erfüllt sind von tiefem Haß gegen i,hre Mitmenschen. Sie finden, die Welt würdige sie nicht nach Verdienst, und so rächen sie sich auf diese Weise.
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Gott schenkt uns seine Freude nicht für uns allein, und könnten wir ihn für uns allein besitzen, so besäßen wir ihn überhaupt nicht. Eine Freude, die nicht aus unsern Seelen überströmt und auch andern dazu verhflft, sich Gottes zu erfreuen, kommt nicht von Gott. (Denke darum aber nicht, du müßtest selbst gewahr werden, wie sie in die Seelen anderer überfließt. Im Haushalt seiner Gnade teilst du vielleicht seine Gaben mit jemandem, von dem du erst wissen wirst, wenn du in den Himmel kommst.)
Aus „Verheißungen der Stille“, Räber-Verlag, Luzern
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