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Es geht immer um die Tat

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Gradheraus: das Thema macht mich hilflos. Ich weiß nicht, was „die Liebe“ ist. Ich könnte viele verschiedene Formen der Liebe aufzählen, viele verschiedene Eigenschaften und Auswirkungen. Ich könnte Beispiele aus der Geschichte anführen (so vor allem von mißbrauchter Vaterlandsliebe). Ich könnte nach Herzenslust »zitieren — von „Liebe macht blind“ bis „Liebe macht sehend“— und käme doch dem Problem „Was ist Liebe“ nicht näher, vergrößerte nur die Verwirrung.

„Die Liebe“ ist nicht faßbar, schon gar nicht in wenigen Zeilen. Sie übersteigt den menschlichen Porizont, denn sie ist (laut Korintherbrief) das Vollkommene. Und Vollkommenes entzieht sich unserem Denken, wir erfassen immer nur einen kleinen Teil, einen menschlich-unvollkommenen Teil. Aber auch der kleinste Teil dieser „Liebe“ erscheint uns wunderbar, und entfesselt Energien, die den Alltag verändern und alles Schwere ertragen lassen, was auch immer es sei.

Ich bin auch nicht der Meinung, daß es „in kalten und von Krisen gezeichneten Zeiten wie den uns- rigen“ besonders wichtig wäre, über die Liebe nachzudenken. Gibt es denn irgendeine Zeit in der Weltgeschichte, die nicht der Liebe bedürftig gewesen wäre? Arme, Kranke, Minderberechtigte, Unglückliche gab und gibt es immer. Und an den Reichen, Gesunden, Privilegierten, Glücklichen ist es heute wie gestern und morgen, über die Liebe nachzudenken, nein, nicht nachzudenken, denn das führt allein zu recht wenig. Wichtig ist es vor allem, die Liebe zu tun, eine unbequeme Angelegenheit fürwahr.

Das macht ja die ganze Sache so verquer: jedermann ist hungrig nach der Erfahrung von Liebe (nur gesteht nicht jedermann dieses Bedürfnis offen ein). Aber Liebe zu geben, ist oft mühsam.

Wenn man die Liebe ernst nähme: müßte man sich da nicht auf das Existenzminimum beschränken und alles andere an die Hungernden und Armen abgeben? Müßte man nicht den Großteil seiner Freizeit damit verbringen, Leidende zu trösten? Wer könnte schon genüßlich seine Weihnachtsgans verzehren angesichts der vielen notleidenden Zeitgenossen?

Das Gebot der Liebe ist anspruchsvoll, aber für alle Menschen gleich bindend. Denn alle Sittenlehren und Religionen der Geschichte preisen die Liebe als der Güter höchstes, mahnen aber gleichzeitig zu Aktivität. Die Liebe soll also kein Konsumartikel sein, etwas, das man mit Wohlbehagen aufnimmt und verbraucht.

Immer geht es um die „Tat“, und letztlich bleibt nur das an Positivem übrig, das man im Geist der Liebe getan hat - ein Thema, dessen sich viele Dichter angenommen haben,besonders eindrucksvoll Hofmannsthal in seinem „Der Tor und der Tod“.

Die Antwort auf die Frage „Was ist Liebe“ ist wohl auch nicht so wichtig. Wichtig ist allein, daß man Liebe tut.

Die Autorin ist Historikerin.

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