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Stark und sanft: Alles Lieben ist utopisch

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In Zeiten wie diesen nach der Liebe zu fragen, ist ebenso notwendig wie provokativ zugleich. Denn Liebe als Grundmöglichkeit oder Grundgeschehen unseres Daseins ist etwas, das sich immer nur zwischen einzelnen Wesen vollzieht und ereignet, Frau und Mann, Eltern und Kind, Freund und Freund.

Gewiß, daneben gibt es eine Liebe zum Menschen im allgemeinen, wie es auch eine Liebe zum Wein, zur Natur, zur Kunst gibt. Es gibt Vorlieben für bestimmte Dinge, wie es eine Liebe gibt, von der der Volksmund sagt, daß sie durch den Magen geht. Es gibt die sentimental-romantische Liebe ebenso wie die käufliche, es gibt die Minne des Troubadours, wie es die Nächstenliebe gibt, die Nietzsche gern durch die Fern- stenliebe ersetzt haben wollte, so wie die Selbst- und Eigenliebe.

,.Nichts ist vielgestaltiger als die Liebe", sagten die Alten und nicht zuletzt darum gibt es keine, kann es keine auch nur einigermaßen zureichende Definition von Liebe geben.

Mag sein, daß es frivol klingt, angesichts einer Situation der Welt, in der Macht und Profit, Wohlstand und Krisen, schreiende Not und kalte Gier ebenso nebeneinanderstehen, wie Kinsey- report und Psychoanalyse, Kommunikationstechniken und

Sprachlosigkeit der Generationen füreinander: aber Liebe ist nicht soziale Gerechtigkeit, nicht Solidarität, nicht Bereitschaft zur Mitmenschlichkeit und Kommunikation. Es gibt sogar eine Caritas ohne Liebe, aber gewiß nicht eine Politik der Liebe und darum auch keine Strategien für sie.

Liebe ist nicht machbar. Sie ist Widerfahrnis, Geschenk, Gnade. Geschehen und Tun, Aktion und Passion verschlingen sich in ihr ebenso wie äußerste Selbstbehauptung und extremste Selbst-

losigkeit, wie Sichbewahren und Sichöffnen. Platon, der den Eros, dieses mythische Kind von Fülle und Armut, nicht von ungefähr mit einem in Wahnsinn übergehenden Begeistern anheben läßt, hat dies ebenso gewußt, wie die Botschaft des Evangeliums, die verkündet, daß Gott die Liebe ist, und daß, wer in der Liebe ist, in Gott bleibt.

Gewiß, Liebe trägt immer den Anspruch der Einmaligkeit, vielleicht sogar der Exklusivität. Sie erschließt uns überhaupt erst den anderen, der uns begegnet, in seiner Wahrheit und Wirklichkeit, als unvertretbares und unersetzbares Du.

Sie ist Liebe zu einer bestimmten Person, zu dieser einmaligen Frau, zu diesem erhofften Kind, diesem und nur diesem Freund. Aber sie ist als höchste Grundmöglichkeit unseres Seins, die, wenn es glückt, sich zuweilen erfüllen mag, nicht asozial. Nur wer in der unendlich fragilen, unendlich verletzbaren Erfahrung der Liebe gestanden ist, weiß, was ein anderer Mensch, mit seinen Wünschen, seinen Sehnsüchten, seinen Träumen bedeutet.

Alles Lieben ist utopisch. Es bejaht nicht nur das Sein des anderen, es ist nicht nur ein Gutheißen des anderen, es will auch Einheit, es will Überwindung der Zeit und Endlichkeit: Die Liebe, sagt das Bibelwort, ist so stark wie der Tod. Darum ist sie auch so sanft und verletzbar.

Sie verändert die Welt nicht. Aber sie kann Zeichen setzen, Lichter anzünden, die unsere Gebrochenheit ganz machen, unsere Endlichkeit überhöhen. Darum bedürfen wir ihrer so sehr. Denn wir wissen und machen zuviel und wir lieben zuwenig.

Der Autor ist Professor für Philosophie an der Universität Wien.

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