Matthias Beck: Was uns frei macht
In seinem Buch plädiert der Wiener Moraltheologe und Medizinethiker „Für eine Spiritualität der Entfaltung“. Was Freiheit, christlich verstanden, meint – und was sie von Beliebigkeit unterscheidet. Je abhängiger, desto freier – ein Paradoxon.
In seinem Buch plädiert der Wiener Moraltheologe und Medizinethiker „Für eine Spiritualität der Entfaltung“. Was Freiheit, christlich verstanden, meint – und was sie von Beliebigkeit unterscheidet. Je abhängiger, desto freier – ein Paradoxon.
Manche Menschen assoziieren mit dem Begriff "Ethik" etwas Positives, manche aber auch eine Fülle von Verboten. Du sollst nicht stehlen, du sollst nicht lügen, du sollst nicht morden, so steht es in den Zehn Geboten. Von einer christlichen Ethik meinen manche sogar, dass sie das Leben blockiere. Aber: Eine "gute" Ethik soll dem Leben des Menschen in seiner Verbundenheit mit anderen dienen. Sie hilft, dass Menschen ihr Glück finden und das Leben gelingt. So sollte auch eine christliche Ethik zur Freiheit, zum Glück und zu einem Leben in Fülle führen.
Dabei ist jedes Sollen oder Müssen ein Müssen in Freiheit. Der Mensch kann es auch lassen. Wenn er aber die Freiheit erlangen will, muss er manches tun: "Wer sich nicht selbst befiehlt, bleibt immer ein Knecht", heißt es bei Goethe. Aber es ist ein Müssen oder Sollen, das von innen herandrängt, weil es dem Wesen des Menschen entspricht, und kein von außen aufoktroyiertes.
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Wobei der Mensch weiß, dass er von vielem abhängig ist, was er zunächst nicht beeinflussen kann:
Eltern, Umgebung, Herkunftsland, Kultur, Prägung, genetische Veranlagung und vieles mehr. Aus den Gegebenheiten kann er dann schrittweise etwas machen, aber auch dazu bedarf es eines Umfelds, das den Menschen dabei unterstützt. "Von mir selbst aus kann ich nichts tun"(Joh 5,30), formuliert Jesus Christus selbst. Nach christlichem Verständnis ist der Mensch im Allerletzten auch abhängig von Gott. Allerdings besteht hier ein gravierender Unterschied: Die Abhängigkeit von Gott macht frei, die von Menschen auf Dauer unfrei.
Die Seligpreisung "(Glück)Selig sind die, die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich" (Mt 5,3) könnte etwa zunächst nach totaler Fremdbestimmung aussehen: Jemand anderes sagt mir, was ich zu tun habe. Das wäre blinde Unterwerfung und eine falsch verstandene Vorstellung von Abhängigkeit und Demut. Diese Vorstellung entsteht immer dort, wo der liebende Gott, der den Mensch von innen her zu seiner Entfaltung bringen will, ersetzt wird durch ein System oder ein Über-Ich, das dem Einzelnen von außen befiehlt, was er zu tun habe. Dies ist Fremdbestimmung und womöglich Unterdrückung.
Dem Besseren Raum geben
Es geht aber beim christlichen Gottesbild um etwas ganz anderes: Wenn Gott ein guter und liebender Gott ist, weiß er besser, was für den einzelnen Menschen gut ist. Das göttliche Du hat mehr Überblick als der Mensch aus seiner eingeschränkten Perspektive. Es ist der Freund des Menschen und nicht sein Widersacher. Es kann ihn von innen her (nicht von außen) in die richtige Richtung bewegen, die dem einzelnen Menschen am meisten entspricht. Der Mensch weiß nicht, welche Talente noch in ihm schlummern. Doch ein guter Trainer sieht oft besser, was noch in seinem Schüler steckt, als der Schüler selbst.
"Arm sein vor Gott" heißt also zurückzutreten, um dem Besseren Raum zu geben. Der Mensch, der an sich selbst und seinem kleinen Ich hängen bleibt, wird auf Dauer sein Leben verlieren, der jenige aber, der sich immer mehr von dem größeren Du Gottes her führen lässt, gewinnt sein Leben von ihm her. "Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen" (Mt 16,25). Zum einen ist dies der Überstieg vom Ich zum Du. Der Mensch lässt sich vom Du führen, dieses übersteigt ihn und will sein Bestes. Zum anderen kann der Mensch dadurch gelassener werden, dass er nicht alles selbst machen muss (was er auch gar nicht kann), sondern dass ihm das Wesentliche von woanders zuwächst.
Er muss nicht strampeln und ins Burn-out geraten. Er wird entlastet, indem er nicht alles selbst aus sich herausholen muss, sondern - was schwierig genug ist - nur das zulassen soll, was das göttliche Wirken in ihm zur Entfaltung bringen will. Ignatius von Loyola hat es so ausgedrückt: "Nur wenige Menschen ahnen, was Gott aus ihnen machen würde, wenn sie ihn nur ließen." Dieses Sich-Gott-Überlassen befreit auch aus den Abhängigkeiten von anderen Menschen.
Wobei die Freiheit von falschen Abhängigkeiten auch zu jener Freiheit führt, die es ermöglicht, die eigene Berufung zu leben und das tiefste eigene Wesen von Gott her zu verwirklichen. Der absolut freie Gott kann auch den Menschen befreien. Je abhängiger, desto freier, das klingt paradox. Aber das ist das Geheimnis der Beziehung zu Gott. Abhängigkeit von Menschen oder von anderen Über-Ich-Strukturen macht auf Dauer unfrei, Abhängigkeit vom lebendigen und freien Gott macht frei. Das ist die göttliche Autorität (von augere, wachsen lassen), die den Menschen von innen her zu seiner wahren Größe heranführen will und nicht von außen unterdrückt. Der Mensch soll aufrecht stehen, das meint Auferstehung.
Freiheit heißt also gerade nicht Beliebigkeit. Wenn Augustinus sagt: "Liebe nur und tuʼ, was du willst", ist das doppeldeutig. Zum einen meint er, dass die Liebe das Oberste sei und sich aus ihr schon alles andere ergeben werde. Zum anderen kann aber gerade derjenige, der liebt, nicht mehr beliebig alles tun, was er will. Die eigene Freiheit grenzenlos auszuüben, ohne auf den anderen zu achten, würde der Liebe widersprechen. Liebe bindet und ruft in die Verantwortung für sich und andere. Wer liebt, kann nicht mehr tun, was er will, sondern nur noch das, was dem anderen und ihm selbst guttut.
Was uns frei macht
Für eine Spiritualität der Entfaltung.
Von Matthias Beck.
Styria 2018, 158 Seiten, geb., € 20,00
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