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Offen sein fiir die Liebe!

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An irgendeinen Gott haben die Menschen ja stets geglaubt - wenn nicht an den wahren Gott, so an einen Gotzen. Wo der Mensch Gott nicht als Sinn-mitte anerkennt, miissen an-dere - vorletzte und pseudo-religiose - Absolutsetzungen an dessen Stelle treten. Wo die religiosen Ziele bedeu-tungslos werden, treten eben andere, irdische, an deren Stelle.

Viele glauben nur, „was sie sehen“. Sollte man nicht vielmehr glauben, „um zu sehen“? Es ist nicht leicht, zu glauben, sondern es bedarf dazu groBer Anstrengung, standig von neuem. Glaube ist Offensein fur die Liebe. Man kann Glaube also nicht einfach „einkaufen“, aber man kann sich um ihn be-miihen.

„Glaube ist ein Opfer der Liebe. Ohne die Gnade kon-nen wir nicht dazu bewegt werden, ohne die Gnade kann es sich auch nicht voll-ziehen; aber die Gnade schiebt ihre Pfeiler doch nur bis in die Mitte des Stromes vor; an uns ist es, die andere Halfte zu uberbriicken“ (Reinhold Schneider).

Glaube ist also Geschenk und Verdienst - furs erstere braucht es die Bereitschaft, zu empfangen.

Der Ursprung des Gottes-glaubens ist die Sinnfrage.

Die moderne Welt erlebt die Sinnlosigkeit. Die moderne Leistungsgesellschaft hat ' den breiten Wohlstand ge-schaffen. Viele haben genug, „wovon“ sie leben kon-nen..., wissen sie aber auch immer, „wofur“ sie leben?

Der so „vernunftige“ (sprich verstandestrainierte) Mensch weiB zwar so schrecklich viel, doch oft weiB er nicht mehr, „was das Ganze soli“. Im Taumel des „Fortschritts“ fuhlt(e) er sich als kluger Herr, den-noch ... sein Herz ist nicht weiter, seine Freude nicht groBer geworden. Ganz of-fensichtlich ist es nicht leicht, ein materiell gesicher-tes Leben mit Sinn zu erful-len. Man spricht gem von

„existentieller Frustration“ sowie von „seelischer Ver-elendung“.

Wir sagen oder horen oft, daB der Glaube tot sei, wo wir besser sagen sollten, daB uns die Liebe so schwerfallt. Kaum etwas fallt uns heute so schwer wie die Liebe. Ist unsere Liebe zum Nachsten nicht auf „sehr wackeligen Beinen“, weil wir Gott nicht oder zuwenig lieben? Fiir den Christen ist Gott der Grund fur Sinn und Sein, dem er sich verdankt weiB. Die Christen, deren Aufgabe die Nachstenliebe ist, wissen es, daB man den Nachsten nicht wirklich lieben kann, wenn man ihn nicht in Gott liebt.

„Ich bin aufgefordert,

,meinen Nachsten zu lieben wie mich selbst', aber ich kann ihn erst dann lieben ..., wenn ich mich hin-reichend geliebt habe ... Wie konnte ich ihn lieben und ihm helfen, solange ich mit dem Apostel Paulus sagen mufl: ,Denn ich weiB nicht, was ich tue; denn ich tue nicht, was ich will, sondern was ich hasse, das tue ich'. Um zur Liebe und Hilfe ge-geniiber meinem Nachsten ebenso wie mir selbst fahig zu werden, fordert man von mir, daB ich ,Gott liebe', das heiBt, daB ich mit meinem Geist eifrig und geduldig zum Hochsten strebe, hin zu Seinsstufen oberhalb meiner eigenen: nur dort gibt es fur mich .Gutsein'.“ (E. F.

Schumacher, 1977 verstor-bener weltbekannter Oko-nom.)

Martin Buber hat einmal so formuliert: „Liebe Deinen Nachsten, denn er ist wie du.“ Damit sollte nicht ge-sagt sein, daB es leicht ware, ihn so zu lieben, wie man sich liebt. Sicherlich ware es auch miBverstanden, dies so auf-zufassen, daB man den Nachsten lieben soli, um mit ihm den Ubernachsten zu bekrie-gen. Vielmehr bedeutet es, daB wir lernen sollen, zu-sammenzuleben, gerade weil die Interessen des Nachsten mir und die meinigen ihm zuwiderlaufen.

Wir leben in einer so unsi-cheren Zeit, die voll ist von ernsten Belastungen. Ist es nicht wieder Zeit, sich starker auf Gott - nur in ihm konnen wir den Nachsten wahrhaft lieben - zu besin-nen?

Vom Schriftsteller Andrej Sinjawski stammt das Wort: „Wir haben uns lange genug Gedanken iiber den Menschen gemacht. Es ist Zeit, an Gott zu denken.“ Wir lieben nicht genug. Schuld ist ein Zuwenig an Liebe. Wir diir-fen aber um Vergebung un-serer Schuld bitten und dar-um, daB uns die Liebe von oben nicht verlaBt...

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