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Ohne Sozialkontrolle weniger Kirchlichkeit

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Um die Seelsorge in Karnten den immer neuen Verhaltnissen anzu-passen, wurden in den letzten 60 Jahren vier Diozesan-Synoden gehalten: 1923,1933,1958; 1971/72. Jede fur sich hat Zielvorstellungen, Moglichkeiten und Schwerpunkte der Seelsorge kri-tisch uberlegt und in zaher Kleinar-beit durchzufiihren versucht. Die heutige Heilssorge muB sich den neuen soziologischen Gegebenheiten anpassen, die andere sind als in der Zwischenkriegszeit oder unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg.

Friiher deckten sich vielfach Pfarre, Kommunalgemeinde und Schul-bereich. Im Jahr 1971 erfolgte in Karnten die groBe Gemeindezu-sammenlegung. Den 335 Pfarren stehen nur noch 121 Kommunalge-meinden gegeniiber. So bilden z. B. vier Pfarren des Lesachtales nur noch eine einzige Kommunalgemeinde. Einerseits erfolgt dadurch ein Auflosungsprozefi und eine Ver-ausgabung traditioneller Werte, an-derseits werden gerade dadurch die Pfarrgemeinden zu echten Stiitz-punkten aufgewertet.

Weiters bringt es der Trend zur vollorganisierten Mittelpunktschule und der Ausbau des Hauptschulwe-sens mit sich, daB durch das Schul-pendeln die Kinder oft den Kontakt mit der Pfarre verlieren, was den Aufbau auBerschulischer Kinder-und Jugendorganisationen der Pfarren erschwert. Die Schiiler scheinen auch eine geringere Neigung zu haben, zumSonntagsdienst zu gehen, wenn sie die Woche iiber zur Schule gefahr en werden.

Die Abwanderung vor allem jiinge-rer Menschen aus hochgelegenen Ortschaften und Talern in verkehrs-maBig giinstigere und mit besserer Wohnqualitat ausgestattete Gemeinden, in Stadte wie Klagenfurt und Villach oder in Orte mit Betriebsan-siedlungen, macht sich auch in Karnten bemerkbar. Dabei ist es keine Sel-tenheit, daB Neu-Zugezogene von den neuen Pfarrgemeinden iiberhaupt nicht oder nur sparlich oder nicht gleich erfaBt werden; dadurch verlieren sie den Anschlufi an diese Gemeinden. Viele von ihnen, die „daheim“ noch Verbindung mit der Kirche gehabt haben, streifen solche Bindungen - weil die Sozialkontrolle fehlt - am neuen Wohnort ab.

Tatsache ist, daB in den letzten Jahren in manchen Gemeinden kein ein-ziger aus der Kirche ausgetreten ist, wohl aber hat eine Reihe von abge-wanderten Personen der gleichen Gemeinde die Kirche verlassen. Viel-leicht liegt der Grund auch darin, daB die christliche Glaubenssubstanz durch das geringe religiose Wissen nicht zum Tragen gekommen ist und damit auch die Grundhaltungen und Orientierungshilfen des christlichen Lebens verlorengegangen sind.

Nicht unerwahnt darf bleiben, daB Karnten ein Land des Tourismus ist. Es wurden im Jahr 1978 15,197.910 Nachtigungen gezahlt, davon waren

11,381.759 auslandische Gaste und 1,785.594 campierten an Camping-platzen. Die durchschnittliche Auf-enthaltsdauer der Urlaubsgaste be-trug acht Tage. Diese Zahlen bewei-sen, daB die meisten Pfarren Karntens besonders , wahrend der Som-mermonate Urlaubsgaste beherber-gen und daB in vielen Pfarren die Zahl dieser Gaste bei weitem die der Einheimischen ubertrifft. Der Tou-ristenstrom pragt daher nicht bloB die Wirtschaft, sondern auch positiv wie negativ die Kirche Karntens.

Bei den Priestern gleicht die Zahl der Neupriester die Abgange an Priestern bei weitem nicht mehr aus und eine zunehmende Uberalterung des Klerus greift Platz. Waren 1926 20% der aktiven Priester iiber 55 Jahre alt, so sind es heute 45%. Karnten wird darum in Zukunft mit noch weniger Priestern und mit vermehrtem Ein-satz von haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern rechnen miissen. Einen Anfang dazu bilden die Pfarrge-meinderate, doch ist diese Einrich-tung neu und dadurch noch Vielen Lemprozessen unterworfen.

Obwohl in unserem zweisprachi-gen Gebiet auBerkirchliche politi-sche Einflusse zur Blockierung der Pfarrgemeinderatswahlen gefuhrt haben und es daher dort nicht oppor-tun erscheint, national-politische Fronten zu zementieren und den Sinn der Gremialisierung zu verfal-schen, bestehen doch 288 Pfarrge-meinderate mit iiber 3000 Mitglie-dern. Es ist anzunehmen, daB diese zwar die Katholische Aktion und andere apostolische Gruppierungen nicht ersetzen konnen, wohl aber - in die Zukunft hinein gesehen - von entscheidender Bedeutung sein wer-. den.

Man erkennt dies bereits bei jenen 110 Pfarren, die keinen eigenen Pfarrer mehr haben und die von der Nachbarpfarre mitprovidiert werden.

Zusammenfassend diirfte die Aussage der 1976 von DDr. Paul M. Zu-lehner verfaBte Studie iiber die Kirchlichkeit in Karnten fiir heutige und zukiinftige Pastoral richtungs-weisend sein: „Wir brauchen lebendige Christen, an denen gelebtes Evangelium sichtbar wird, wir brauchen christliche Gruppen und Gemeinden, in denen die Einheit der Menschen untereinander und mit Gott erfahrbar ist, wir brauchen eine glaubwiirdige Kirche, die zu sein versucht, was sie verkundet.“

(Der Autor ist Leiter des Seelsorge-amtes der Diozese Gurk.)

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