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VOM ZENTRALISMUS ZUR AUTONOMIE

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Hinsichtlich der Schulversuche hat ein Umdenken eingesetzt, meint der hochste zustandige Beamte im Unterrichtsressort. MaBgeblich dafiir waren Er-kenntnisse der Erziehungs- und Sozialwissenschaften, aber auch okonomische Griinde.

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Hinsichtlich der Schulversuche hat ein Umdenken eingesetzt, meint der hochste zustandige Beamte im Unterrichtsressort. MaBgeblich dafiir waren Er-kenntnisse der Erziehungs- und Sozialwissenschaften, aber auch okonomische Griinde.

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FURCHE: Wie haben sich die Schulversuche in Osterreich in ent-wickelt?

ANTON DOBART: Schule steht immer im Spannungsfeld, zum einen das in der Tradition Aufbewahrte zu vermitteln, zum zweiten den aktuel-len Erfordernissen der jungen Men-schen unterstiitzend Rechnung zu tragen und zum dritten auch zu sagen: Was wird denn diese zukiinftige Gesellschaft, wie immer sie aussieht, an Kompetenzen brauchen?

Als das Schulorganisationsgesetz (SchOG) 1962 beschlossen wurde, war schon der Passus drinnen (Paragraph sieben), daB es Schulversuche geben soil. Nun steht bereits die 15. Novelle dieses Gesetzes bevor. Es hat sich schon in den sechziger Jahren ge-zeigt, daB man mit dem Paragraph sieben nicht auskommt. Ein Schliis-selerlebnis war 1968 derOECD-Be-richt. Man hat gesagt, die Entwick-lung des Schulsy stems entspricht nicht der gesellschaftlichen Dynamik. Man spricht heute noch vom „Sputnik-Schock”: Wie kann die westliche Welt bestimmte Dinge aufholen?

1970 wurden in einer eigenen SchOG-Novelle breite Versuchsfel-der definiert, angefangen von der Grundschule und dem Versuch der integrierten Gesamtschule (der ge-meinsamen Schule der Zehn- bis Vierzehnjahrigen) bis zu den Ober-stufenversuchen. Experten haben die Modelle entwickelt, das Zentrum fur Schulversuche und Schulentwicklung hat begleitend gearbeitet - alles sehr stark von oben, vom griinen Tisch, zentralistisch.

FURCHE: Gab es aufier den „von oben” verordneten Schulversuchen auch Versuche, die aufgr und der Initiative einzelner Schulen entstanden sind?

DOBART: Im Kleinbereich schon, aber die Entwicklungskultur war ei-gentlich von oben, zentral, und korrespondierte mit den meisten westeuro-paischen Staaten und den Entwick-lungen doit. Es war eine stark von einem bestimmten Wissenschaftsbe-griff der Sozialwissenschaften kom-mende Philosophic der Veranderung und Gestaltung gesellschaftlicher Felder, in der Philosophic des jewei-ligen Landes: in Osterreich eher eine, zentral vorgegebene, verordnete, auch im westeuropaischen Standard stark von bildungsokonomischen Erwar-tungen getragen: Wir kommen sonst im internationalen Wettbewerb nicht mit, wenn wir nicht alle Humanres-sourcen nutzen. Von den Sozialwissenschaften wurden solche zentrale Gestaltungsprozesse gestiitzt. Von unten war es eher ein erwartungs-frohes bis geduldig-erleiden-des Hinnehmen. Das war die Situation der siebziger Jahre, die dann langsam ihre Grenzen erkannt hat.

1982 gab es eine gewisse Zasur: siebente SchOG-Novelle, Auslaufen bestimmter Schulversuche. Der da-malige OVP-Generalsekretar Michael Graff sagte: „Den Minister Sinowatz haben wir abgeraumt wie einen Christ-baum.” Das ist die eine, die politische Facette. Die andere war ein Aufarbei-tungsprozeB iiber die Erziehungs-, aber auch iiber die Sozialwissenschaften, daB diese zentral von oben verordneten Reformen und Reformstra-tegien, die oft nach industfiellen Produktionsmustern definiert waren, in einem sozialen und sensiblen Gebilde wie Schule nicht funktionieren kon-nen. Die Philosophic war ja zeitwei-se: Wir brauchen den Lehrer nur mehr als Sozialingenieur, der ein fertiges Produkt umsetzt.

Immer mehr kam dann heraus, daB etwas nur funktioniert, wenn es auch von den Betroffenen getragen und entwickelt wird. Dazu kamen okonomische Entwick-lungen und die

(Karikatur Pitter)

Erkenntnis: Wir konnen uns das alles nicht mehr leisten, wir miissen spar-en.

FURCHE: Heifit das, dafi man friiher bei den Schulversuchen mit dem Geld etwas zu grofiziigig war?

DOBART: Ja. Man hat sich manch-mal Motivation erkauft. Bei den ganz-tagigen Schulformen, die 1974 be-gonnen haben, hat man den Lehrern hohe Abgeltungen bezahlt, man hat etwa fiinf Stunden Deutsch als sieben Stunden bezahlt. Ich konnte da viele Beispiele bringen. Man hat auch soziale Ungleichheiten in der Schule auszugleichen versucht.

Nach dem Auslaufen der zentralen Entwicklungsstrategien kam Mitte der achtziger Jahre starker eine Phase, Schulversuche von unten zu fordern. Abernurzu sagen: „Seidinnovativ!”, sichert nicht qualitative Akzente, kann sehr rasch zum Schrebergarten wer-den und gewahrleistet nicht eine Ent-wicklungsstrategie, die eine hoch-komplizierte Gesellschaft braucht.

Wie kann ich so einen ProzeB von unten steu-ern? Wir waren dann Ende der achtziger Jahre und bis in die letzten Koalitionsverhandlun-gen so weit, daB die Bil-dungspolitiker gesagt haben, jetzt wird uns diese „Schrebergartensitua-tion” zu viel, wenn irgend-eine Kleinigkeit verandert wird, muB ich einen Schul-versuch machen. Konnen wir nicht iiber Autonomic mehr Entscheidungsfreiheit in die Schule geben, vor Ort, sodaB dort etwas gestaltet wird, was nicht langer administrativer Vor- und Nachlaufe bedarf? Und schauen wir, wie diese Entwick-lung verlauft. Nun bricht sich das mit traditionellen BewuBtseinsstan-den von der obersten Verwaltung bis zu den Schulen. Die kriegen einen Freiraum und sagen dann: „Sagt uns endlich, was ihr von uns wollt.” Und die oberen Etagen sagen: „Jetzt haben sie Freiheit und, wir haben's ja gesagt, sie bringen ohnehin nichts zu-sammen.” Jetzt ist die Frage, wie man so etwas strukturieren kann: Wie brin-ge ich Autonomic in einen generellen EntwicklungsprozeB? Und da stehen wir jetzt. Die 14. SchOG-Novelle soil einen zartesten Ansatz in diese Rich-tung machen.

FURCHE: Welclte Rolle spielen heute, etwa bei der Frage Ganztags-schule, noch die ideologischen und welche die finanziellen Probleme?

DOBART: Das war bis in die neun-ziger Jahre ein ideologischer Streit, jetzt ist es keiner mehr. Jetzt hangen wir an anderen Dingen, vor allem an den Finanzierungsproblemen. Ich bin seit 1987 im Ministerbiiro, davor hat man ein Gesetz gemacht, dann hat man es im Parlament beschlossen, dann wurde es durchgefiihrt und damit auch finanziert. Jetzt brauchen wir, bevdr wir iiberhaupt in die Begutach-tung, gehen die Zustimmung des Fi-nanzministeriums. In den sechziger Jahren war bei den Schiilerzahlen klar, daB man in die Bildung investieren muB. Heute fragt man sich aufgrund der demographischen Entwicklung, wie verteile ich das Geld zwischen einer notwendigen und sinnvollen Finanzierung von MaBnahmen fiir Betreuung von Menschen iiber 60 und wie gebe ich es jungen Menschen, wie finde ich den Ausgleich. Es ist irgendwo ein Verteilungskampf, wo wir eben auch drinnen stecken. Das erschwert. Das sind die Umfeldbe-dingungen, da kann ich noch so'schb-ne Konzepte machen.

FURCHE: Wie sehen Sie die Zu-kunft der Schulversuche?

DOBART: Die Frage ist, wie weit paBt dieses institutionelle Gefiige, dieses organisatorisches Konzept, das wir heute haben, noch auf eine zeitge-maBe Lernkultur, dieses Zerhacken in 50 Minuten-Stunden, diese Facher, die ja traditionell begriindet sind. Wenn wir in Europa herumschauen, gibt es eher Lernfelder, wo die Schule selbst Schwerpunkte setzen kann und wo die Schule sich als Institution offnet, mehr AnlaBfalle im Umfeld aufgreift und damit auch eine soziale Lernkomponente hineinbekommt. Das hat sich jetzt ein biBchen entwickelt, und wir denken, iiber die Autonomieentwicklung konnte das besser werden.

Die Schulversuche, die wir weiter brauchen, sollten sich zum Beispiel auf die harten strukturellen Kernfra-gen beziehen. Ich glaube, daB wir zum Beispiel im Eingangsbereich der Grundschule noch zu wenig flexibel sind. Das zweite sind noch immer die 10- bis 14jahrigen, da gibt es ein sehr ernstes Strukturproblem mit all den ideologischen Facetten, die Sie ja kennen, auch da wird man sich wei-tere Schritte iiberlegen miissen.

Mit Ministerialrat Dr. Anton Dobart, Leiter des Zentrums fiir Schulversuche und Schulentwicklung und der Sektion I im Unterrichtsministe-rium, sprach Heiner Boberski.

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