Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Nach dem Budapester Urteil
manche zum ersten Male das Sterbe- glocklein der vorigen Republik lauten. Nun ist in Pau von revoltierenden Bauern auch einem Minister de Gaulles mit einer Ohrfeige die Brille vom Kopf gewischt worden.
DaB es sich dabei um den Industrie- minister Jeanneney handelte, der bei den Gasquellen von Lacq eben eine ultramoderne Industrieanlage ein- geweiht hatte, ist kein Zufall: dieser
Alle Angeklagten, bis auf einen, nahmen das Urteil an. Das gesamte StrafausmaB — das sich auf neun katho- lische Priester und drei Laien ver- teilt — betragt genau 70 Jahre. Der standhafte Pater Lenard, der vor dem Gericht bestritt, daB es strafbar sei, das Evangelium privat zu unterrichten, erhielt siebeneinhalb Jahre Kerker. Damit wurden die Akten uber dem bisher letzten Kapitel kommunistischer Kirchenpolitik in Ungarn vorlaufig geschlossen. Oder zumindest nahm man es so an.
Der „freie” Religionsunterricht
Denn es wurden schon in den ersten Tagen nach diesem Urteils- spruch Zusammenhange sichtbar, welche die weitere Entwicklung anzu- kundigen scheinen. Zwei, drei Tage spater, am 23. und 24. Juni, fanden in samtlichen Schulen des Landes die Einschreibungen fur den Religions- unterricht statt. Die diesbeziigliche Regierungsverordnung aus dem Jahre 1957 sieht dafiir ein rigoroses Ver- fahren vor. In den vorgeschriebenen wenigen Stunden miissen die Eltern vor dem Schuldirektor erscheinen und dort ihren Wunsch nach Teilnahme ihres Kindes am Religionsunterricht zu Protokoll geben. Die Liste der zum Religionsunterricht Gemeldeten — mit den Namen der Eltern — geht zur Aufsichtsbehorde. Die Schuler werden, so schreibt es die Verordnung vor,
noch in jiingeren Jahren stehende Mann gilt als einer der hauptsach- lichen „Technokraten” des gaullisti- schen Regimes — also jener kiihlen Planer, die nach einer die unter- schwellige „antikapitalistische Sehn- sucht” der franzosischen Mittel- schichten geschickt ausnutzenden Propaganda das Land zugunsten einer „kleinen Parasitenschicht” und auf Kosten es „kleinen Mannes’“ mo-
nicht klassifiziert, und die Religions- stunde findet vor oder nach den iibrigen Unterrichtsstunden start, Der Schuldirektor hat jedoch die Pflicht, den Verlauf des Unterrichtes zu kon- trollieren. Auch obliegt es der Schul- behorde, jenen Religionslehrern, die „der verfassungsmaBigen Ordnung der Ungarischen Volksrepublik feindlich gesinnt sind”, das Recht des Unter- richtes zu versagen. Aber innerhalb dieser und anderer einschrankender Paragraphen sei der Religionsunter- richt naturlich „frei”.
Es ist offensichtlich, daB der Pre zeBausgang, zwei Tage vor den Eir schreibungen, eine abschreckend Wirkung auf die El tern haben sollte.
Ein weiterer Hinweis in eine andere Richtung ergab sich aus der Stellungnahme der bekannten krypto- kommunistischen „Friedensbewegung katholischer Priester”, die gleichzeitig mit dem Urteil gegen die „staatsfeind- liche Organisation” veroffentlicht worden ist: Die „Friedenspriester” identifizierten sich darin mit seltener Offenheit und Scharfe mit dem histori- schen Materialismus und Determinis- mus der Kommunisten. Sie forderten ferner die Einschaltung der jungen Priester in die ,„Friedensbewegung”.
Es nimmt demnach nicht wunder, daB beide Aspekte eines und desselben ideologischen Klassenkampfes — der Wunsch nach Unterbindung oder zu-
mindest scharfster Kontrolle der Seel- sorge und der Unterrichtstatigkeit auf der einen, die Denunzierung aktiver Katholiken als Reaktionare, Anhanger des GroBgrundbesitzes, des privaten GroBkapitals und der Monarchie auf der anderen Seite —, daB diese bei- den Aspekte in der Urteilsbegriin- dung am 19. Juni Platz finden, aber der zweite Aspekt mehr als der erste. Wahrend des ProzeBverlaufs bestand noch die leise Hoffnung, daB nach der ungewbhnlich freien Art der ProzeB- fiihrung, die Demonstrationen wie die von Pater Lenard gestattete, das Gericht die Behauptungen der Angeklagten in diesem oder jenem korrigieren wurde. Aber die Doktrin ist am Ende doch siegreich geblieben, eine Doktrin, die besagt, daB katho- lische Priester unbedingt die Wieder- herstellung des Grofigrundbesitzes, die Reprivatisierung der Produktions- mittel und der Monarchie — in einem Atemzug — anstreben miissen, wie dies
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!