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Fischer: „Positiv“ zum Schutz des Lebens

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Betont konsensbereit gibt sich SPO-Klubobmann Heinz Fischer vor dem Beginn der neuen Legislaturperiode. Der Kirche und den glaubigen Menschen des Landes gegenuber ist Fischer „auf jeden Fall“ zu einer Versohnungsgeste be-reit. Das FURCHE-Gesprach mit ihm fiihrte Alfred Grinschgl.

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Betont konsensbereit gibt sich SPO-Klubobmann Heinz Fischer vor dem Beginn der neuen Legislaturperiode. Der Kirche und den glaubigen Menschen des Landes gegenuber ist Fischer „auf jeden Fall“ zu einer Versohnungsgeste be-reit. Das FURCHE-Gesprach mit ihm fiihrte Alfred Grinschgl.

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FURCHE: Herr Klubobmann, Sie haben beide Oppdsitionsparteien zu einer sinnvollen parlamentarischen Zusammenarbeit eingeladen. Nach Ihrer Aussage will die SPO-Fraktion versuchen, die Beschliisse des Natio-nalrates avf eine moglichst breite Basis zu stellen. Heifit das, dafi Sie mit Ihren 95 Mandaten gegen die 88 Ab-geordneten der Opposition keine ge-sellschaftsverdndernden Beschliisse fassen werden?

FISCHER: Was es auf jeden Fall und mit Sicherheit heifit, ist, daB wir nicht auf dem Standpunkt stehen, wir haben Stimmen und Mandate gewonnen und sind daher legitimiert, allein nach unseren Vorstellungen zu regieren und brauchen uns um die Ansichten der anderen Parteien nicht zu kummern. Im Gegenteil: Wir wol-len uns auch und gerade nach diesem Wahlergebnis intensiv darum bemii-hen, daB die Beschliisse des Parla-mentes, insbesondere in wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen, auf einer moglichst breiten Basis stehen.

Das kann aber nicht heiBen, daB eine Regierungspartei von vornher-ein feierlich erklart, keine Mehr-heitsbeschliisse herbeizufuhren, weil sie damit unter Umstanden genau jene Situation schaffen konnte, die wir mit der Forderung nach einer entscheidungsfahigen Regierung vermeiden wollten; namlich daB eine Minderheit eine Veto- und Blocka-demoglichkeit hat. Ich glaube, daB das Bemiihen um Konsens ein ehrli-ches sein kann, auch wenn man nicht von vornherein die Garantie abgibt, daB Mehrheitsent-scheidungen auf keinen Fall in Frage kommen.

FURCHE: In den nachsten Jahren wird es wieder um heikle Themen ge-hen; etwa um das Medienrecht, das Mietenrecht, die paritdtische Mitbe-stimmung, die Bodenbeschaffung, die Arbeitszeit oder neue Steuern. 1st es denkbar, daJ3 die Sozialisten in einer dieser Fragen einer Oppositionsblocka-de durch einen Mehrheitsbeschlufi aus dem Wege ge-hen?

FISCHER: Ich glaube, daB jeder der vorstehend ge-nannten Punkte so wichtig ist, daB man jeden fiir sich betrachten muB. Es gibt darunter Punkte, zum Bei-spiel das Bodenrecht, wo eine wirk-same Reform nur mit Zweidrittel-mehrheit moglich ist. Dazu gehort auch der ganze Schulbereich. Hier ist die Verfassung allein schon ein Ga-rant, daB es nur zu Beschlussen auf breiter Basis kommen kann.

Auf der anderen Seite der Skala stehen Fragen wie zum Beispiel die Steuergesetzgebung. Ich glaube, es ist geradezu unzumutbar fur eine Opposition, alien steuerpolitischen MaBnahmen und insbesondere un-popularen MaBnahmen einer Regie-rung zuzustimmen. Wir wurden es uns wunschen, aber die bisherigen Erfahrungen deuten sicher darauf hin, daB die Opposition nicht die Ab-sicht hat, bei unpopularen MaBnahmen, wenn sie notwendig sein soil-ten, mitzugehen. Hier wird es wahr-scheinhch ohne Mehrheitsbe-schlusse nicht abgehen.

Was die iibrigen Fragen betrifft, gilt das, was in der Vergangenheit auch gegolten hat:

Solange die Opposition zu einer echten konstruktiven Mitarbeit be-reit ist, sehe ich die Chance, daB auch in diesen heiklen gesellschaftspolitischen Fragen einstimmige Beschliisse zustande kommen. Wenn eine Taktik dahin laufen sollte - ich hab' momentan keine Anzeichen da-fur -, daB man der Regierung die Zu-stimmung von vornherein verwei-gert, ja dann bleibt ihr ja gar nichts iibrig als dort, wo es moglich ist, noti-genfalls auch Mehrheitsentschei-dungen zu treffen.

FURCHE: Gibt es unter den ange-sprochenen Punkten einen, bei dem der Versuch einer Blockade durch die Opposition Ihre Partei besonders hart treffen wurde?

FISCHER: Ich sehe bei alien der angesprochenen Punkte in dem Stadium der Beratungen, in dem wir uns derzeit befinden, die Moglichkeit zu einem Konsens.

FURCHE: Herr Klubobmann, in der Grundrechtsreform sind Initiati-ven geplant. Wird es dazu kommen, dafi auch der umfassende Schutz des menschlichen Lebens und die Stellung der Familie in den Grundrechtskata-log aufgenommen werden?

FISCHER: Soviel ich weiB, sind in den Arbeiten des Expertenkolle-giums iiber Grund- und Freiheits-rechte auch diese Problemkreise er-ortert worden und wir hoffen auf positive Vorschlage aus der Grund-rechtskommission.

FURCHE: Ist das als Befurwortung zu werten?

FISCHER: Ja, ich glaube sogar an-nehmen zu diirfen, daB auch in der

Regierungserklarung, die der Bun-deskanzler erst im Juni dem Natio-nalrat vorlegen wird, eine positive Aussage zu den Arbeiten der Grund-rechtskommission enthalten sein wird, ohne der Regierungserklarung in irgendeiner Form vorgreifen zu wollen.

FURCHE: Unter welchen Voraus-setzungen wird es zu einer Veranke-rung des umfassenden Schutzes menschlichen Lebens im Grund-rechtskatalog kommen?

FISCHER: Wenn es zu einer solchen Regelung kommen soli, die uns die Fristenldsung wieder unmoglich macht, so ist das sicher keine realisti-sche Vorstellung. Aber niemand soil annehmen, daB wir das menschliche Leben nicht als einen Hochstwert betrachten; und niemand soli annehmen, daB wir nicht auch bereit sind, der Familie den ganz entscheidenden Stellenwert in unserer Gesellschafts-ordnung einzuraumen. SchlieBlich waren auch wir Pioniere in der Ab-schaffung der Todesstrafe. Wenn je-mand aber unter Schutz des Lebens den Kampf gegen die Fristenlosung meint, dann liegt eben hier eine Mei-nungsverschiedenheit vor.

FURCHE: Und wenn eine Formu-lierung gefunden werden kann, die die Fristenldsung nicht in Frage stellt. Wurden Sie dann ja sagen? . FISCHER: Dann wurde ich dazu positiv eingestellt sein.

FURCHE: Nach den Kontroversen iiber Fristenldsung und Scheidungs-reform erhoffen nun viele gldubige Menschen eine Geste der Versdhnung seitens der SPO. Wird es eine solche Geste geben? Konnte diese Geste etwa darin bestehen, daft man zu denflan-kierenden Mafinahmen zur Fristenldsung ja sagt, wie sie auch die FURCHE gefordert hat?

FISCHER: Das miifite man im Ein-zelfall durchdiskutieren. Zu einer Versohnungsgeste sind wir - glaub' ich - auf jeden Fall bereit, einfach deshalb, weil wir keinen Streit ge-sucht haben, sondern nur in dieser Frage nicht ausweichen konnten. Jeder, der Verstandnis dafur aufbringt, daB wir wirklich nicht durch Strafen das Problem losen wollten, mit dem wird uns sichereineVersohnungmog-lich sein und dazu soli von unserer Seite ein Beitrag geleistet werden.

Was nun konkret die sogenannten flankierenden Mafinahmen betrifft, glaube ich, dafi die wichtigsten flankierenden Mafinahmen erstens darin bestehen miissen, die Familie sozial weiter abzusichern, also eine positive Familienpolitik zu betreiben, was wir uns im Rahmen der gegebenen finan-ziellen Moglichkeiten sicher bemiihen werden. Zweitens die Beratungen in der besonderen Situation, in der sich eine Schwangere befindet, zu intensivieren. Wenn Sie auch das als flankierende MaBnahme gelten lassen, bekenne ich mich auch un-eingeschrankt zu dieser flankierenden MaBnahme.

FURCHE: Was halten Sie von einer Trennung zwischen beratendem und die Abtreibung durchfuhrendem Arzt?

FISCHER: Eine Frau ist sicher dann gut beraten, wenn sie die Bera-tung bei jemand anderem macht als bei dem, der das durchfiihrt. Wenn Sie sagen: Es ist wiinschenswert, dafi Beratung und Durchfiihrung ge-trennt werden, sage ich: jawohl, das ist wiinschenswert. Wenn Sie sagen: Aber falls das nicht der Fall ist, muB wieder mit Strafdrohungen operiert werden, sag' ich: das wollen wir bitte verhindern.

FURCHE: Nach Ihrer Ankundi-gung wird es schon sehr bald zu einer Verkleinerung der Wahlkreise zu sogenannten Einerwahlkreisen unter Beibehaltung des Verhdltniswahl-rechts kommen. Fiir eine solche L6-sung sind Sie schon_vor etwa zehn Jahren eingetreten. Wdhrend der Zeit der sozialistischen Minderheitsregie-rung wurden die Wahlkreise aber von 25 aufneun reduziert und damit ver-grbfiert. Entpuppt sich diese dama-lige Kleine Wahlrechtsreform mit dem jetzigen Riickzieher nicht endgiiltig als politischer Preis fiir die Absiche-rung der SPO-Minderheitsregierung durch die FPO?

FISCHER: Dazu darf ich Ihnen fol-gendes sagen, und ich glaube, das wird Ihnen diese Ansicht widerlegen. Bis zum Jahr 1970 war die OVP ein-deutig vom Wahlrecht insofern be-giinstigt, als die OVP im Durch-schnitt pro Mandat am wenigsten Stimmen gebraucht hat, die SPO am zweitwenigsten Stimmen und die FPO am meisten pro Mandat.

Jede iiber die Beseitigung dieses Wahlunrechts hinausgehende Wahlrechtsreform hatte die Zustimmung der OVP gebraucht, und die war nicht zu bekommen. Daher war der Gesetzgeber im Jahr 1970 limitiert auf Mafinahmen, die mit einfacher Mehrheit beschlossen werden konnten. Nachdem aber jetzt durch die Kleine Wahlrechtsreform ein Zu-stand geschaffen ist, in dem ungefahr jede Parlamentspartei pro Mandat gleich viel Stimmen braucht und daher durch den Ubergang zum deut-schen Wahlrecht keine Partei etwas zu verlieren hat, glaube ich, dafi der Weg frei ist fur eine solche Grofie Wahlrechtsreform.

Gewisse AuJ?erungen von OVP-Seite, ich denke an Mock und Kohl-maier, scheinen das zu bestatigen.

FURCHE: Aber es steht aufier Streit, dafi im Sinne einer Personali-sierung des Wahlrechts, die den einzelnen Abgeordneten mehr in den Vordergrund stellt, jetzt ein Schritt in die andere Richtung geplant ist als 1970.

FISCHER: Bei der Wahlrechtsreform 1970 ist die Wahlgerechtigkeit im Vordergrund gestanden und die Frage der Personalisierung des Wahlrechts sogar in den Hintergrund ge-driickt worden. Nachdem nunmehr aber die Frage der Wahlgerechtigkeit realisiert ist, kann man sich als nach-stes dem Prinzip der Personalisierung des Wahlrechtes zuwenden und das wollen wir auch tun.

FURCHE: Ist es denkbar, daJ3 in einem Aufwaschen auch gleich die Briefwahl eingefuhrt wird? Die Opposition wird das vermutlich als Preis fur ihre Zustimmung verlan-gen.

FISCHER: Ich glaube, dafi die Opposition nicht klug ware, wenn sie von vornherein Bedingungen fur eine solche Wahlrechtsreform stellen wurde. Was die Briefwahl betrifft, so ist die Position der FPO wie der SPO diejenige, dafi wir sagen: Die Garantie des personlichen und damit ge-heimen Wahlrechts ist uns wichtiger als eine noch so erwunschte Bequem-lichkeit oder Vereinfachung fur den Wahler. Wenn es Moglichkeiten gabe, sicherzustellen, dafi die Briefwahl wirklich unter keinen Umstanden zu einer Beeintrachtigung des personlichen und geheimen Wahlrechts fiihrt, gibt es keinen Grund, die Briefwahl abzulehnen.

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