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Nun droht der Proporz

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Die zeitweise wilden, unrhythmi-schen Pendelschlage haben sich wieder auf ein ruhiges Tick-Tack ein-gestellt: Die Standuhr im Salzburger Chiemseehof schlagt die Stunden wieder normal nach der fiir die OVP einbuBereichen Landtagswahl. Und doch scheint die Unruhe die Stunden etwas schneller als vorher anzuzei-gen. Parteienvereinbarung und Re-gierungserklarung werden in Zukunft sehr genau zitiert und wahr-scheinlich auch unterschiedlich von OVP und SPO interpretiert werden.

Wenigstens drei Fragenkreise sind es, die die Gereiztheit zwischen den beiden groBen Parteien offenbaren werden:

• die Personalpolitik,

• die Offentlichkeitsarbeit und

• der Bundeswohnungsbau, besser bekannt als die Wohnbauforderung 1968.

Das sind die Umkreise, in denen die Salzburger Sozialisten der Volkspartei Kompetenzen abgenommen haben. Die offizielle Version sind hii-ben und driiben freundlich-zufrie-dene Gesichter, OVP und SPO re-klamieren beide die politische Wirk-lichkeit fur sich: Die SPO will die wahren politischen Krafteverhalt-nisse in ihrer Entsprechung auf Kompetenzverteilung und Starke in der Landesregierung iibertragen haben. Die OVP meint, in den Parteien-verhandlungen die SPO von ihrem Machtrausch erniichtert zu haben. Voraussetzung zu diesen Interpre-tationen waren die verschiedenen Ausgangspunkte der beiden Parteien:

Wahrend sich die OVP weiterhin fiir die weitaus starkste Partei im Land Salzburg halt und dies in der Zahl von 17 Landtagsmandaten ein-deutig dokumentiert sieht - im Ge-gensatz zu 14 sozialistischen und fiinf freiheitlichen Sitzen - laBt die SPO

keinen Zweifel daran, daB die Zahl der Regierungssitze 3 OVP: 3 SPO: 1 FPO ihre Starke ausmache.

Nun ist ja kein Zweifel daran, daB die OVP mit einem Mandat auch einen Regierungssitz eingebiiBt hat. Und wenn VP-Landeshauptmann Wilfried Haslauer nach der Wahl dem sozialistischen Lhstv. Herbert Moritz gratuliert und sich als geschlagen an-sieht, ist derartiges Verhalten in Ver-handlungen eben wieder schwer aus-zubiigeln.

Man konnte natiirlich auch eher tiefenpsychologisch nach dieser Starkung der SPO fragen und fande eine einigermaBen plausible Antwort bei Elias Canetti in „Masse und Macht“. Voraussetzung, daB das fol-gende Zitat stimmt, ware die Zu-stimmung zu der Erkenntnis, daB sich der Mensch einfach aus der Situation der Zeit heraus, der er sich nicht mehr gewachsen sieht - unbe-wuBt natiirlich - iiberfordert fuhlt, weil er keinen Uberblick iiber das Geschehen rund um ihn gewinnen kann. In einer groBen, in sich weniger oder mehr geschlossenen Partei wie der SPO konnte das Canetti-Zitat so gesehen werden:

„Der einzelne Mensch selbst hat das Gefiihl, daB er in der Masse die Grenzen seiner Person uberschreitet. Er fuhlt sich erleichtert, da alle Di-stanzen aufgehoben sind, die ihn auf sich zuriickwarfen und in sich ver-schlossen. Mit dem Abheben der Di-stanzlasten fuhlt er sich frei, und seine Freiheit ist die Uberschreitung dieser Grenzen.“

Zu schaffen, daB Menschen auf diese Art und Weise zusammenriik-ken, ihre Beriihrungsangst sozusa-gen in der Masse ablegen, war bisher allein den Sozialisten moglich.

Uber all diesen theoretischen sind die praktischen, pragmatischen und taktischen Folgen dieser Landtags-wahlen in Salzburg nicht aus den Au-gen zu verlieren: Was die OVP abge-geben hat und was fiir ein Ressort „Umweltschutz“ fur den neuen SP-Landesrat Wolfgang Radlegger gedacht war, haben sich Moritz und Landesrat Sepp Oberkirchner zu ih-ren Ressorts mitaufgeteilt.

Das heiBt, daB sie die Ressortarbeit leisten werden und Radlegger, der natiirlich einiges behalten hat, die po-litisch-ideologische Arbeit leisten wird. Der bisherige SP-Landespar-teisekretar gibt also den Apparat nicht aus der Hand, wahrt fiir sich eine gewisse Kontinuitat, wahrend die eingefuchsten Politiker Moritz und Oberkirchner zunachst einmal diese Arbeit mitmachen.

Wer, fragt man natiirlich sofort nach, wird der OVP die taktisch-poli-tische Arbeit machen? Haslauer hat sich einen neuen Landesparteisekre-tar gekiirt, den bisherigen Landtags-klubsekretar Franz Schausberger, einen Juristen und Chef der Jungen VP, der ziemlich unvermittelt geholt wurde. Als Abgeordneter zum Landtag wird er natiirlich auch hier einge-spannt sein, doch ist in der biindi-schen Volkspartei gerade diese Funktion keine Spielwiese und schon gar nicht Ruhebett, denn Haslauer will ja die Hande fur die Regie-rungsarbeit freihaben.

Das Regierungskollegium wird, das ist eine von der SPO durchge-setzte Forderung gewesen, iiber jede Anstellung in den Landesdienst zu befinden haben. Kundigt eine Kii-chenhilfe im Landeskrankenhaus, wird das Kollegium iiber die Nach-folgerin verhandeln. Und das bis hin-auf in die hochste Beamtenhierar-chie. Dem Proporz ist also Tiir und Tor geoffnet. Den Angriff auf das Landespresseamt hat Haslauer ab-gewehrt: es wird keinen sozialistischen Stellvertreter des Landespres-sechefs Eberhard Zwink geben, hin-gegen Interpretationschwierigkei-ten, wenn es um seine Bezeichnung als „Regierungssprecher“ geht.

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