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Glanz der Unsterblichkeit

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Gleichaussehende, also eineiige Zwillinge haben hier vollig un-glaubhaft gleiche Namen, der eine von beiden, der den andern Ver-schollenen sucht, kommt gar nicht auf den Einfall, daB die sonderbaren Begebnisse, in die er verstrickt wird, durch die Anwesenheit seines Bruders bedingt sein konnten. Aber im Wirbel der Geschehnisse, den eine Begegnung der beiden oder ihrer Diener, die ebenfalls Zwillinge sind, jeden Augenblick beenden wiirde und dann auch tatsachlich be-endet, ergeben sich dermafien wit-zige Situationen, daB wir uns von dem Uberkollernden um des Uber-kollerns willen mit Vergniigen ge-fangennehmen lassen.

Allerdings bietet das Burgtheater unter der Regie von Otto Tausig, der die Komodie auch bearbeitete, eine iiberaus beschwingte Auffuhrung. Roman Weyl begrenzt die Biihne durch helle, blaugraue Vorhange, ver-schiebbare Aufbauten aus ungebeiz-tem Holz werden immer wieder anders zusammengestellt, von die-sem hellen Bereich heben sich die farbigen tiirkischen Kostiime beson-ders gut ab. Reizvolle Wirkungen er­geben sich gegen SchluB dadurch, daB die Zwillingspaare von je einem Darsteller verkorpert werden: Se­bastian Fischer hat als Antipholus Frische, Elan, er unterscheidet treff-lich die beiden Gestalten, Fritz Grieb gibt den beiden Dienern drollige Wendigkeit. Paul Horbiger und Jo­hannes Schauer, Ida Krottendorf, Gabriele Buch und Lilly Stepanek erganzen den ansprechenden Gehat, es sei besser, die Tyrannen tun dem Volk hundertmal Unrecht als das Volk tue den Tyrannen einmal Unrecht. Aber es fehlt vollig die ge-waltige religiose Kraft, die Luther treibt, die erlebbar dargestellt sein miiBte, so wird seine einseitig ge-zeigte Haltung zur Anprangerung. Miinzer als Sozialrevolutionar zu zeichnen ohne darzutun, daB er sich als alttestamentarischer Prophet fiihlte, der ein Gottesreich auf Erden, ein verwirklichtes ewiges Evan-gelium schaffen wollte, raubt der Gestalt das Wesentliche. Man kann auch Fugger und seine Macht in je-ner Zeit — er ist hier Zentralflgur, von der alle Fiirsten abhangen — nicht als GroBkapitalist im heutigen Sinn auffassen.

Lappisch ist es, Friedrich den Wei­sen von Sachsen, den Freund der Wissenschaften, als primitiven Kerl zu zeigen, den ausschlieBlich Geld-und Machtgier beherrschen. Lappisch ist es, den humanistisch gebildeten Albrecht von Brandenburg als dum-men, Witze erzahlenden Fant darzu-stellen. Lappisch ist es, Kaiser Ma­ximilian als wienerischen Thaddadl salbadern zu lassen, den jungen Karl V. mit seiner Tante im Bett lie-gend und dummes Zeug redend vor-zufuhren. Und erst recht lappisch ist es, den iiberaus gebildeten, kulti-vierten, als Papst freilich angreif-baren Mediceer Leo X., freigebigem Gonner der Kiinstler und Gelehrten, als atheistischen Hanswurst zu zeich­nen, der sich mit seinen Kardinalen iiber die Religion lustig macht. Man kann die Reformation nicht, wie es

30 Jahre hat es gedauert, Wiener Filmwochen und Viennalen haben es versaumt, nun endlich hat Wien das Ereignis nachgeholt: Orson Welles' zweiter Film, bereits in die Filmge-schichte als Klassiker eingegangen und von Historikern und Kritikern als Meisterwerk eingestuft, „Der Glanz des Hauses Amberson“, ist endlich bei uns zu sehen .. Uber diesen genialen Filmtorso (schon bei der Urauffiihrung von der RKO ge­gen den Willen seines Schopfers um 43 Minuten gekiirzt, verstummelt und teilweise mit von Robert Wise nachgedrehten Szenen versehen) sind schon zahlreiche Artikel, Unter-suchungen, ja Abhandlungen ge-schrieben worden — das umfang-reichste Material mit der komplet-ten Zusammenstellung samtlicher Schnitte und Veranderungen ist in dem Buch „The Films of Orson Wel­les“ von Charles Higham, 1970, zu finden —, daB es schwer ist, sich etwas Neues einfalien zu lassen; diese Zweitverfllmung des Pulitzer-Preis-Romans „The Magnificent Ambersons“ von Booth Tarkington (die erste wurde 1925 von David Smith unter dem Titel ..Pampered Youth“ inszeniert) ist ein bewun-dernswert-zeitloses Kompendium aller optischen, technischen und stili-stischen Moglichkeiten der siebenten Kunst, angefangen von Lumiere iiber Griffith bis zu — damals in prophetischer Weise vorausgeahnt — der nouvelle vague und dem heuti­gen jungen Film, die gesamte Filmgeschichte von ihren Anfangen bis heute in eineinhalb Stunden zusam-mengerafft. Moglich, daB dem deut-sche Filmlustspiele oder voyeuristi-sche Sexfllme zur Sehgewohnheit gewordenen Durchschnittszuschauer einzig die (augenblicklich wieder Filmmode werdende) Romantik die­ser Generationsgeschichte auffallen wird, doch dem Cineasten, dem Filminteressierten und vor allem dem Filmkenner wird sie zum unge-triibten GenuB, zu einem Erlebnis mit echter Filmkunst, das man immer und immer wiederholen will und mehrmals sehen muB, um es ganz erfassen zu konnen...

Joseph Roths 1938 erschienener Roman uber das Ende der Habsbur-ger-Monarchie und die Jahre danach, „Die Kapuzinergruft“, wurde von Jo­hannes Schaaf (der auch zusammen mit Maximilian Schell das Drehbuch schrieb) zu einem Film umgestaltet; wie in Schaafs Opus 1 „Tatowie-rung“ sind auch in „Trotta“ die Hauptmeriten in der lyrisch-pastell-. farbenen Bildgestaltung zu finden: weniger eine politisch-historische Analyse als eine impressionistische Zeit- und Milieustudie (noch nie wurden Klimt-Emotionen so unver-kennbar in einem Film sichtbar ge-macht) ahnelt der Film in mancheni Schells Turgenjew-Empftndung

„Erste Liebe“ — ob der Filmbe-sucher damit einverstanden ist, ob es ihm geniigt, ist subjektive An-schauungssache...

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