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Der Heller ward zu Wasser...

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Eine Gemischtwarenhandlung

Neben der Eingangstur baumelt ein Schild mit der Ankundigung, daB eine ganz bestimmte „Quelle” wieder frisch eingelangt ist. Der GreiBler macht mit diesen Flaschen seit langer Zeit schon ein glanzendes Geschaft, zumal sich die Kundinnen beim Einkauf gerne und lange im Lokal aufhalten und dabei gleichsam von Wunderheilungen zu berichten wissen. Auch sorgen Post- wurfsendungen in fast regelmaBigen Abstanden fur standigen Umsatz, kann man ja auf diesen Blattern seitenlang von „glaubwurdigen” Heilerfolgen lesen, bestatigen doch „angesehene” Burger uberall die groBartige Wirk- samkeit dieser oder jener Quelle, die man nahezu bei alien Krankheiten er- folgreich anwenden kann. Nur die — ach so ruckstandige — Schulmedizin will von diesen Quellen nichts wissen, man furchtet eben die Konkurrenz der „Natur”, und es ist schon ein groBes Gluck, daB sich edle Menschen linden, die solche Heilquellen er- schlieBen und jedermann die Moglich- keit geben, sich selbst zu behandeln und wieder gesund zu rnachen. Dafur zahlt man ja schlieBlich gerne ...

Mit reinem FLO

Friihjahr 1825

Dr. med. C. G. Kochy war fiber den durchschlagenden Erfolg seines Buches fiber die Methode des franzosischen Arztes Cadet de Vaux mehr als uber- rascht, doch muBte er in der zweiten Auflage des Buches zugeben, daB die Erfahrung tatsachlich die Wirksamkeit der angepriesenen Wasserkuren be- statigte. Cadet war ein Anhanger des alten Hippokrates und behauptete nicht mehr oder weniger, als daB warmes Wasser die Gicht und den Rheumatismus zu heilen imstande sei. Man liefi die Patienten pro Tag meh- rere Liter Wasser trinken — gewohn- liches Wasser (!) — und erzielte damit auch bei ganz hartnackigen Leiden oft sogar blitzartige Hoilungen. .Man. publizierte damals eine Reihe von exakten Krankengeschichten, die auch bei ganz kritischer Beurteilung als durchaus glaubwiirdig angesehen wer- den miissen. Genau wird beschrieben, wie der Patient so alle Viertelstunden ein Gias lauwarmes, ja sogar recht heiBes Wasser trinken muBte, wann endlich die schweren SchweiBausbruche eintraten, wieviel Hemden gewechselt werden muBten und wie lange er nach dieser Prozedur schlieBlich geschlafen habe. Daran schlieBt sich ein genauer, objektiver Befund uber den erreichten Heilerfolg. Allerdings blieb diese Heil- methode nur fur einen kleinen Kreis von Leidenden zuganglich, denn schon damals gab es in Mitteleuropa sehr viele Hydrophobe — vulgar ausge- driickt: „Wasserscheue” —. und diesen war es eben nicht moglich, unter normalen Umstanden ein ganz ge- wohnliches Wasser zu trinken. Schon damals muBten die Arzte allerlei Kniffe anwenden, um die Kranken ab- zulenken und so den Ekel vor Wasser zu iiberwinden. Die Cadetschen Kuren erfreuten sich aber uberall grofiter Be- liebtheit, unzahlige Arzte bedienten sich ihrer und hielten ihren Erfolg im Schrifttum fest. Lange vor Kneipp und PrieBnitz ...

Der Volhardsche Wasserversuch

Die moderne naturwissenschaftliche Medizin beweist: Wenn ein Mensch fruhmorgens einen Liter Wasser zu sich nimmt, dann beginnt der Orga- nismus unverziiglich mit der Ausschei- dung. Bereits in den ersten vier Stun- den hat die getrunkene Flussigkeits- menge den Korper wieder verlassen, doch halt die Diurese — Wasseraus- scheidung — noch viele Stunden an,

und es lafit sich exakt nachweisen, daB bei solchen massiven Eingriffen in den Wasserstoffwechsel der Korper eben wesentlich anders reagiert. Diese Untersuchungsmethode, klinisch Vol- hardscher Wasserversuch genannt, ist heute allgemein ublich und dient zur Kontrolle der Nierenfunktionen. Man kann aber daraus leicht erkennen, daB reichliche Flussigkeitszufuhr den Kor- per zu grofierer Ausscheidung anregt, daB interessanterweise sogar mehr ausgeschieden wird, als urspriinglich aufgenommen wurde, und daB es letzt- lich vollig egal ist, welche Art von Flussigkeit man trinkt. Man kann diesen Wasserversuch mit einem gewohn- lichen Leitungswasser, mit irgendeinem Kramperltee oder einer groBen Flasche eines angepriesenen Quellwassers durchfuhten. Wei ter kann man daraus die: tausendfach bewiesene Tatsache erkennen, daB ein standiger Reiz zu vermehrter Ausscheidung dutch ver- mehrtes Trinken hervorgerufen wird und es auf diese Art moglich ist, den Korper von vielen Schlacken zu be- freien. Allerdings setzen solche Ex- perimente eine gesunde Niere und ein leistungsfahiges Herz voraus. Es gibt eine Reihe von Krankheiten, die eine Beschrankung der Wasserzufuhr er- fordern, und das wahllose Konsu- mieren diverser Teesorten und Heilquellen (auf wohlgemeinten Rat der Nachbarin) hat schon viel Ungliick angerichtet. Woven allerdings in der Gemischtwarenhandlung, beim Einkauf heilkraftigen Quellwassers, kaum ge- sprochen wird ...

Die Krankheit unserer Tage

Der oft geradezu sensationelle „Erfolg” einer Heilquelle, der kolossale Umsatz prachtigst etikettierter Flaschen, kann natiirlich mit den bei der chemischen Analyse gefundenen Spu- ren an irgendwelchen lonen nicht er- klart werden. Man kommt aber wesentlich leichter zu einer Deutung, wenn man den oft ausgesprochen hek- tischen Rummel um eine neuentdeckte Heilquelle als Symptom des zunehmen- den Krankheitsgefuhls wertet. Denn in den sozialen Versorgungsstaaten leben doch hunderttausende Manner und Frauen, die wohl eine gut eingerichtete Wohnung besitzen, denen der Brief- trager jedes Monat zumindest ein aus- reichendes Monatsgehalt bringt, die nicht uberanstrengt sind und doch — wie man es standig hort — „mit den Nerven vollkommen fertig sind”. Sie leben, vollkommen diesseitig orien-

tiert, vorwiegend dem eigenen Ich und konnen sich mit der Realitat des zunehmenden Alters nicht ausein- andersetzen. Der Staat hat in ihnen die Begehrlichkeit geweckt, ihnen die Illusion der Gluckseligkeit durch ein friihzeitiges Ausscheiden aus dem Ar- beitsprozeB vorgegaukelt, er hat ihnen eine Rente gegeben, die bei dem sich standig erhohenden Konsumguterange- bot niemals reichen kann, und sie zur Bequemlichkeit und Verantwortungs- losigkeit erzogen. Nun sind sie hilflos den Abbauerscheinungen durch das Alter ausgeliefert, keinnen sich nicht mehr umstellen, finden jetzt keinen Sinn im Leben mehr und sind folglich zutiefst unzufrieden. Jede kleinste Veranderung des korperlichen Zu- standes verursacht tiefste Existenz- angst, und die mangelnde Anpassungs- fahigkeit laBt das Fortschreiten der technischen Zivilisation zur Qual werden.

Noch niemals in der Geschichte der Menschheit wurde mit Verjungungs- mitteln, mit allerlei Kuren gegen Alterserscheinungen ein so giganti- sches Geschaft gemacht wie in der Jetztzeit. Man opfert das letzte Geld fur die in riesigen Plantagen Kanadas gezogenen ..Original” - Ginseng - Wur- zeln, fur Blutenstaub und Bienensaft, fur Vitaminmischungen und Wunder- elixiere, Frischzellen, Hormone und andere Kuren. Riesige Institute der So- zialversicherung verwenden den grofi- ten Teil ihres materiellen Aufwandes, um tagtaglich hunderte und tausende Manner und Frauen in irgendwelche Bader und Kuranstalten mit und ohne Heilquellen zu schicken, wo sie durch die genau geregelte Tageseinteilung, durch den Milieuwechsel, das meist recht gute Essen (worauf es ja vorwiegend ankommt) und eine indivi- duelle Behandlung eine gewisse Besse- rung erleben. Und man wurde es nicht glauben, wozu altere Menschen bereit sind, wenn ihnen irgendein Prospekt eine Heilung von allem libel ver- spricht.

Tuchtig — und nicht strafbar

In einer Millionenstadt Mitteleuro- pas verstanden es kluge Geschafts- leute, daraus prachtig Kapital zu schlagen. Sie lieBen gewohnliches Leitungswasser, das in Millionen Litem taglich verbraucht wurde, genau analy- sieren. Da es ja in der Natur kein chemisch reines Wasser gibt, bekamen sie einen recht brauchbaren Befund: Es wurde, bestatigt von zwei Profes- soren, in einem umfangreichen Gut- achten festgehalten, daB besagtes, zur Uberpriifung eingesandtes Wasser sounds© viele lonen und Katidnen ent- halte, weiter diese und jene Menge edler Gase und eine Radioaktivitat von diversen, genau bestimmten Ein- heiten. Sie fiillten nun dieses Wasser in — fur das Auge wohlgefallige — Flaschen, versahen selbige mit bunten Etiketten, auf denen die genaue Analyse zu lesen war, und gaben der „neu- entdeckten” Heilquelle einen klingen- den Namen. Sie scheffelten damit monatelang riesige Geldsummen, bis die Polizei dahinterkam und den Laden sperrte. Doch unterblieb jegliche Bestrafung, da sich irgendeine betrugerische Absicht nicht nachweisen liefi. Und es gab auch damals — wen wurde es allerdings in Erstaunen versetzen? — Waschkorbe von be- geisterten Briefen, worin von prompten Heilerfolgen die Rede war.

Freilich: die vielen wundertatigen Heilquellen sind kaum ein weltbewe- gendes Problem. Denn die in der Zivilisation sozialversorgten Menschen geben dafur nicht allzuviel Geld aus. Ein wesentlich grofierer Anteil der Milliarden, die an die Menschen auBerhalb des Arbeitsprozesses ausge- zahlt werden, findet eine wesentlich bedenklichere Verwendung. Millionen alterer Frauen haben in den letzten Jahren mit dem Rauchen begonnen (um etwas vom Leben zu haben) und der Umsatz an Wein und vor allem Schnaps, an Kaffee und Kopfweh- pulvern (wegen des darin enthaltenen Koffeins) nimmt von Jahr zu Jahr zu. Der Batzen wird fur die GenuBmittel ausgegeben, nur der Heller wird zu Wasser.

Zu Heilquellenwasser, zu gewohn- lichem Brunnen- oder Leitungswasser ..,

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