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Das Kind als Verfiihrer zu mehr Konsumgenufi

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Die katholische Kirche hat den kommenden Sonntag (27. Mai) zum Mediensonntag deklariert. AufWunsch des Papstes steht dieser Sonntag unter dem Motto „Die Massenmedien und das Kind“. Aus diesem Anlaji beschaftigt sich die FURCHE in dieser Nummer mit der Position des Kindes in den Werbemedien.

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Die katholische Kirche hat den kommenden Sonntag (27. Mai) zum Mediensonntag deklariert. AufWunsch des Papstes steht dieser Sonntag unter dem Motto „Die Massenmedien und das Kind“. Aus diesem Anlaji beschaftigt sich die FURCHE in dieser Nummer mit der Position des Kindes in den Werbemedien.

Werbung
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Es ist kein Geheimnis, daB Kinder heute in verstarktem AusmaB Werbung konsumie-ren und damit die den Werbespots innewohnenden Verhaltensweisen unkontrolliert in sich aufhehmen. Der Reiz des Werbefilms liegt in der kurzen, leicht verstandlichen Geschichte. Der schnelle Wechsel von Werbeprodukt und Film ist fiir das Kind ein Ratselspiel. Uberdies zeigt die Werbung Dinge, die das Kind an sich gerne mag: Nahrungsmittel, Spiele, Abenteuer, lustige Begeben-heiten. Ein Idealbild der Familie wird demonstriert: gluckliche Eltern, frohliche Kinder.

Eine Sonderausgabe der Media-gramm-Informationen, herausgege-ben von der international bekannten Lintas-Werbegesellschaft, befafite sich ausschlieBlich mit der Werbung mit und vor Kindern. Mit Riicksicht auf das Internationale Jahr des Kindes wird darin warmstens empfoh-len, „die Verhaltensregeln des Deutschen Werberates einzuhalten, um harteren - unter Umstanden gesetzli-chen - Restriktionen zu entgehen“.

Auch die Werbebranche entdeckt -zu gegebenem AnlaB - die Kinder wieder.

Im Jahre 1973 war es gerade Osterreich gewesen, das mit gutem Bei-spiel vorangegangen war. Der ORF traf damals eine Regelung, wonach die Werbung mit und vor Kindern in Horfunk und Fernsehen stark einge-schrankt werden sollte. Kurz darauf griff der Deutsche Werberat das Thema auf und formulierte eine Reihe von SchutzmaBnahmen bei Werbetexten:

• Sie sollen keinen Vortrag von Kindern iiber besondere Vorteile und Eigenarten des Produktes enthal-ten, der nicht den naturlichen LebensauBerungen des Kindes gemaB ist.

• Sie sollen keine direkten Aufforde-rungen zu Kauf oder Konsum an Kinder enthalten.

• Sie sollen keine direkten Aufforde-rungen von Kindern und/oder an Kinder enthalten, andere zu veran-lassen, ein Produkt zu kaufen.

• Sie sollen nicht das besondere Ver-trauen, das Kinder bestimmten Personen entgegenzu-bringen pflegen, miBbrauchlich ausnutzen.

• Aleatorische Werbemittel (z. B. Gratisvorlesungen, Preisausschrei-ben und -ratsel u. a.) sollen die Umworbenen nicht irrefiihren, nicht durch iibermaBige Vorteile anlocken, nicht die Spielleidenschaft ausnutzen und nicht anreiJ3erisch belasti-gen.

• Sie sollen strafbare Handlungen oder sonstiges Fehlverhalten, durch das Personen gefahrdet werden konnen, nicht als nachahmenswert oder billigenswert darstellen oder er-scheinen lassen.

Zwar werden die zitierten Vor-schriften zumeist eingehalten; dies alles kann jedoch nicht verhindern, daB das Kind (wie die Erwachsenen in reduziertem MaBe auch) eine ir-reale Welt als Realitat vorgesetzt be-kommt, die das Produkt als Spender dieser Welt darstellt: Konsumiere, dann fiihlst du dich gliicklich, froh und frei!

Eine Studie der Munchner Ar-beitsgemeinschaft fiir Kommunika-tionsforschung erkennt in der Werbung eine Darstellungsform, die „tagliche Konfliktstoffe sowie Grundbediirfnisse nach Nahrungs-aufnahme, nach Warme oder nach Sexualitat aufgreift, um sie in einen Problemmechanismus einzubauen, zu dessen Losung allein das Produkt in der Lage sein soil“.

In der kommerziellen Werbung werden die harten Seiten des Lebens zur Ganze ausgeklammert. Arme Bevolkerungsgruppen, Krankheit, Zwietracht und Hader in zwischen-menschlichen Beziehungen werden nicht thematisiert. Weder Probleme noch deren Losungen werden aufge-zeigt: Eine heile Welt, die an der Realitat vorbeigeht.

Kinder werden in doppelter Hin-sicht durch das Werbefernsehen ge-schadigt: Das Rezipieren der Programme hindert sie daran, ihre Zeit selbst zu gestalten, durch Spielen Ei-genaktivitat zu entwickeln und so-ferne sie in Werbespots auftreten, sollen sie Eltern zum Kauf des ange-priesenen Produkts bewegen.

Der Diplompsychologe Heinrich Eppe und der Sozialarbeiter Eber-hard Weber - beide aus der Bundes-repubhk Deutschland - gehen noch einen Schritt weiter. In einer 1973 vom Zentralinstitut fiir Jugend- und Bildungsfernsehen Miinchen her-ausgebrachten Bibliographie „Kind und Werbefernsehen“ wenden sie sich direkt gegen das Werbefernsehen. Ihre Begriindung: „... auch fur die Werbung gilt die allgemeine Forderung ,Hast du was, so bist du was'“.

Da vor allem Kinder aus sozial schwacheren Schichten nicht in der Lage seien, die gestellten Konsum-forderungen zu erfullen, komme man direkt - so argumentieren Eppe und Weber weiter - zur Umkehrung des Satzes: „Hast du nichts, so bist du nichts“.

Und Gisela Haenicke-Franke schreibt in ihrer am Padagogischen

Institut Wien approbierten Dissertation mit dem Titel „Symbolische Gewalt im Fernsehen“: „Die Mittei-lung und die Botschaft, die von der Darstellung der Personen in der Werbung an den Rezipienten aus-geht, besteht in der Behauptung des ... Lebensgenusses als einzige Sinn-gebung und alleiniger Orientie-rungswert des Lebens“.

Soziales und politisches Engagement gegenuber Kranken, Alten, AuBenseitern oder gegenuber sozialpolitisch nur schwach vertretenen Gruppen werde als Lebenssinn nicht dargestellt. Die Eindimensionalitat. solcher ausschlieBlich auf Lebens-genufi fixierter Sinn- und Interes-senausrichtung fuhre - bei entspre-chender Unterwerfung unter die Werbemaximen - moglicherweise zu gleichgiiltigem, aggressivem Unver-standnis gegenuber konsumkriti-schem Verhalten.

Werbung - der „geheime Verfiihrer“ oder, mit Haenicke-Franke, der „geheime Erzieher“ - wird zum un-bewuBten Faktor auBerschulischer BeeinfluBung des Kindes. Nur die bewuBte Beriicksichtigung der Werbung, so die Autorin der Dissertation, konne eine wirksame Kontrolle ge-wahrleisten. Und weiter:

„Die werbestrategische Verzer-rung der Realitat (der realen Interes-sen) laBt die Partizipation des einzelnen am politisch-offentlichen Leben als unwesentlich erscheinen.“ Es sei denkbar, daB aus eben diesem Grunde politische Apathie und damit die tatsachliche EinfluBlosigkeit und Kommunikationsfahigkeit des Indi-viduums im offentlichen Bereich ge-fordert werde.

Bemiiht sich die Konsumgiiter-werbung, das Kind als Werbemittel fiir kindgerechte Produkte einzuset-zen, so demonstrieren politische Par-teien die Kindbezogenheit in all ihren Aussagen. Das Kind lachelt von Pla-katwanden zu Wahlkampfzeiten, es weint und betet zu Gott, wenn es um die Kernkraft geht, und es wiinscht ein frohes Fest, wenn Weihnachten vor der Tur steht. Und zur Wahlzeit wirbt das Kind: In Niederosterreich fiir die Volkspartei, bundesweit fur die Sozialisten, auch FP-G6tz kam nicht ohne Kinder aus.

Befragt um den Symbolgehalt des Kindes, will Juso und SPO-Hausstra-tege Albrecht Konecny in den bishe-rigen Leistungen seiner Partei den sachlichen Konnex zum Kind orten: Menschliche Warme und zukunfts-orientierte MaBnahmen seien Zen-tralanliegen der Regierung gewesen. Davon zeuge die Schulpolitik und nicht zuletzt die sozialistische Fami-lienpolitik: „Wir wollen nicht auf emotionale Effekte pochen, wir mei-nen, daB es im Inhalt unserer Politik der letzten Jahre einen sachlichen Bezug zum Kind gibt“. Modern und doch voll menschlicher Warme: Das Kind als optisches Signal fiir neun Jahre sozialistischer Regierungspoli-tik.

Roswitha Hanich, Assistentin am Institut fiir Psychologie der Universi-tat Wien, bezeichnet solche und ahn-liche Begriindungen als Alibihand-lungen. Sie ist davon iiberzeugt, daB Kinder in der politischen Werbung bewuBt als „Herzensbrecher“ einge-setzt werden. Es gehe darum, iiber das Kind das Wahlverhalten der Erwachsenen zu beeinfluBen.

Das Kind als Transportmittel zu den Emotionen der Eltern?

Neu ist der politische Werbetrager Kind keineswegs. Studiert man die Wahlplakate der letzten Dezennien, so finden sich wiederholt Politiker al-ler Couleurs mit Kindern am Arm oder ihnen zugeneigt. In der Ausstel-lung „Kunst und Kind“ - ein historischer AufriB der Kunsterziehung -war vor kurzem im Kiinstlerhaus auch ein Plakat zu entdecken, auf dem Hitler und ein kleines Madchen dargestellt sind. Darunter die Text-zeile: „Kinder gehoren seit jeher zu den besten Freunden des Fuhrers und konnen sich bei ihm auf einen herzlichen Empfang gefaBt machen“.

Kinder als Mittel politischer Werbung: Ist dies eine Frage der Ethik, ist es MiBbrauch? Kommerzielle Wer-beexperten lehnen einhellig Kinder als pohtisches Propagandamittel ab. Allerdings: „Diese Diskussion gibt es in Osterreich nicht“ oder „Das ist eine ethische Frage, ich habe sie mir noch nie gestellt, man sollte dies aber sicher tun“.

Werbung kann aber auch anderen Zielen dienen: Soziale Werbung, menschliche Werbung. Ernest Dich-ter kommentiert in seinem Buch „Strategie im Reich der Wiinsche“ die Werbung fur humane Anliegen: „Die in den letzten Jahrzehnten ent-wickelten Massenwerbemittel er-moglichen es uns, Millionen Menschen so anzusprechen, daB wir vielleicht Wandlungen in ihrem Verhalten hervorrufen, die das Menschliche starker wirksam werden lassen.“

Wiewohl auch hier Vorsicht am Platze ist: Welche Instanz definiert, wer kontrolliert die Grenze zwischen politischer und sozialer Werbung?

Kiirzlich erst strahlte der ORF einen Film iiber soziale Werbung aus. Technisch perfekte und qualitativ hochwertige Spots aus England, Amerika und Frankreich greifen humanitare Anliegen auf: behinderte Kinder, Rassenproblem, Polio-Imp-fung, Hunger, aber auch Verhalten in der Arbeitswelt, im Verkehr.

Die Autoren der Sendung, Elisabeth Guggenberger und Helmut Voitl, sehen hier zukunftstrachtiges und erfolgversprechendes Werbe-feld. Werbung zu humaner und sozialer Kommunikation, Werbung im

Dienste der Wiirde des Menschen, seiner Gesundheit und Sicherheit.

Vielfach werden staatliche Forde-rungen entweder aus Unkenntnis nicht in Anspruch genommen (wie zum Beispiel MaBnahmen zur Be-kampfung der Armut), oder offentli-che Einrichtungen aus mangelnder Information und Motivation nicht oder falsch genutzt. Dem einzelnen und der Gemeinschaft nutzbrin-gende Verhaltensweisen werden haufig nicht angenommen, humane Erkenntnisse, neue Denkweisen und der Abbau von Vorurteilen konnen oft nicht vermittelt werden. Hier bote sich ein weites Betatigungsfeld fiir sozial aufgeschlossene und enga-gierte Werbeleute.

Und hier ist auch das Kind eher am Platz:

Ein schwarzes und ein weiBes Kind spielen miteinander (TV-Spot), Text-zeile: „Sie werden einander verste-hen, auch wenn sie erwachsen sind“.

Oder ein Plakat mit der UN-Dekla-ration der Rechte der Kinder: Liebe, Zuneigung, Verstehen, Ernahrung, Sorgfalt, Lernen, ein Mitglied der Gesellschaft zu werden, Bildung, Erzie-hung zum Frieden ...

Ahnliches finden wir in der allmor-gendlichen Kinderfunksendung iiber die Erlebnisse des kleinen G. J. (Dschi Dsche-i)Wischer, verfaBt von der Jugendbuchautorin Christine Nostlinger - sicher gesellschaftskri-tisch und manchmal an der Grenze der Manipulation. Aber jeder Spot stellt eine soziale Verhaltensweise dar: Einmal geht es um die Uniiber-schaubarkeit von Verordnungen, dann um den Neid, das Eigentum, die Rolle der Frau.

Der Leiter der Wiener Lintas-Werbeagentur, Wil-lem Jan van der Geest, widmete im Sommer 1978 an-laBlich der Werbewirtschaftlichen Tagung seinen Vortrag ausschlieBlich der sozialen Werbung. Seine Gesellschaft ist es, der seinerzeit fiir die bekannte

„Kolaric“-Kam-pagne zugunsten der Gastarbeiter die hochste Aus-zeichnung der IAA (International Advertising Association) zuerkannt wurde. Eine Liste von Sozialberei-chen hat er immer parat: Energie, Bildung (Gleich-heit fur alle), Nachbarschaftshil-fe, Drogensucht, Kind im Verkehr, „Gebt den Kindern eine Chance“, um nur einige zu nennen.

Angesichts der enormen Expansion des Medienbereiches und der technischen Entwicklung ist auch in Osterreich eine neue Welt der Kommunikation im Entstehen. Bis zu zehn Fernsehprogramme sollen er-schlossen werden, neue Verbrei-tungsmethoden, zum Beispiel durch Kabel, sind zu erwarten.

Das Alternativkonzept der Osterreichischen Volkspartei zur Medien-politik spricht von der Konkurren-zierung des ORF durch den schritt-weisen Aufbau privatwirtschaftlich organisierter Medien: „Die Monopol-stellung des ORF wird aufgegeben, zusatzlichen Bewerbern wird die Herstellung und Verbreitung von Radio- und Fernsehprogrammen zu-gestanden“. Die Finanzierung dieser Rundfunkstationen „geschieht iiber Werbegebuhren (und allenfalls iiber-mit den Teilnehmern vereinbarte -Entgelte“).

Die Konsequenz daraus: Auswei-tung der Werbung auf alien Linien. Dieses Mehr an Werbung konfron-tiert den Erwachsenen, mehr aber noch das Kind, mit neuen Gefahren und Chancen. Erstere gilt es zu mei-den, letztere sollten wir nutzen.

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