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Kärntnerische Ambivalenz

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Frei nach der Antike miiBte ich sagen: Gebt mir einen Punkt auBerhalb Karntens und ich sage euch, wie der Karntner ist. Wie aber als Karntner in Karnten den Karntner charakterisieren? Daher nehme ich Zuflucht zu Nestroy und jsage: Gesetzt den Fall. Dann darf ich alles sagen.

Gesetzt also den Fall, Herzma-novsky-Orlandos Kaisertum Karnten, irgendwo in der Nahe zwischen Tarockanien und Kakanien angesie-delt, hatte mit dem heutigen Karntner noch etwas zu tun. Wie miiBte dieses Land und wie muBten seine Leute dann sein? Ein bifichen ge-schlossene, ein biBchen offene Welt, alles moglich, nichts sicher, alles fur die Ewigkeit und alles immer schon so gewesen.

Man lebt recht gut hier, solange man fraglos dazugehort oder solange man Gast ist. Der Karntner sei gast-freundlich, heiter, aufgeschlossen und sangesfreudig - wem man seit Jahrtausenden (?) sowas nachsagt, der wird es schlieBlich. Und singt auch dann, wenn er allein ist oder gar nicht heiter. Singen steigert das Wohlbefinden, laBt aber kaum Gele-genheit fiir langere, tiefgreifende Diskussionen. Wer hierzulande lieber redet statt singt, hat demnach nur die Wahl zu schreiben oder zu schwei-gen. Daher die vielen Dichter.

Der Gast erlebt den professionellen Karntner. Er tut gut daran, den Zu-stand des Gastseins nicht aufzuge-ben. So haben wir die Kelteri sehr ins Herz geschlossen. Sie haben das Gastrecht nicht allzulange in An-spruch genommen und uns furchtbar viel zum Herzeigen hinterlassen. Dasselbe gilt fiir die Romer. In beiden Fallen sind wir bereit, viel zu tun. Wir graben sie und ihre Hinterlassen-schaft mit fast gartnerischer Liebe aus. Bei beiden ist die Gefahr, daB sie zuruckkommen, nicht allzu groB.

Auch die anderen Volkerwanderer halten wir im treuen Angedenken, die Langobarden, Goten, Awaren. Nur mit den Slawen ist das was ande-res. Ich versteh' nicht ganz den Zu-sammenhang zwischen Zahl und Zeit. Aber irgendwie scheinen da mystische Relationen zu herrschen. Die einen waren die friiheren, die anderen sind die mehreren.

Beiden gemeinsam ist, daB sie alles, was durch unser (und das heiBt: beider) Land wandert, schadlos iiberstehen. Sie sind beide hier seB-haft, einheimisch, von Bergen dicht zusammengeschlossen. Sie haben also den Charakter einer Hausge-meinschaft. DaB sie streiten, ent-spricht nur ganz gewohnlichen menschlichen Usancen. Mit abneh-mender Distanz steigt die Konflikt-tendenz. Das ist nicht zu verharmlo-sen und kann fiir sich einmischende Dritte gefahrlich werden. Diesem

Dritten sei geraten, im Zweifelsfalle fiir die Kelten zu sein.

Die Emanzipation der Karntner ist komplett. Karnten ist a Landle, is lei ans und da der Herrgott schlieBlich gelacht hat, als er es gemacht hat, fuhlt sich der Karntner mit Recht einbezogen in diese Sonderstellung. Die Emanzipation der Karntnerin ist nicht vollends als vollendet zu be-zeichnen. Angesichts der vielen Ru-inen, Burgen, Schlosser und Her-renhauser ist der Verdacht auf pa-triarchalische Verhaltensweisen be-griindet. Solange man als Frau Gastrecht - in Liebe und Beruf - genieBt, ist alles in Ordnung. Nistet man sich hauslich und unkiindbar ein - siehe oben.

„Ich wunsch mir niemals, daB mir das gelinge / und niemals, niemals, daB ich's weiterbringe / Ich mochte nichts werden. Ich will sein.“ Ich kenne keinen Vers, der den Karntner treffender kennzeichnete. Der diese Verse schrieb, Guido Zernatto, wurde viel in der groBen Welt vor allem unglucklich.

Wer was werden will, muB Karnten verlassen - und wird sich ein Leben lang zuriicksehnen. Das MiBtrauen gegen die groBe ist in dieser kleinen Welt leicht zu erproben. Man verlasse kurz den Status eines hoflichen (zah-lenden) Gastes und fange an, Verbes-serungsvorschlage zu machen. Man wird ihm eines singen, nicht zuletzt, weil der Karntner westlicher Rede-gewandheit nicht gewachsen ist. Ganze Satze beherrscht er nur schriftlich, sehr seiten mundlich.

Der Karntner ist Kaiser in seinem Land und auBerdem der alteste Osterreicher. Den anderen Osterrei-cherri fuhlt er sich nicht teuer, hoch-stens zu teuer. Eine gewisse Janus-kopfigkeit entspricht lediglich seiner Fahigkeit, sich anzupassen und seiner Bequemlichkeit angesichts der Gefahr, standig den Kopf zu drehen. SchlieBlich zieht ihn sein Temperament nach Siiden und die Geschichte hat ihm eine gewisse Nordpoligkeit zugedacht.

Seit die Habsburger uns annahmen (oder wir sie), ging es mit uns bergab. Die Habsburger saBen meist in Wien. Wen wundert's also, wenn Wien weit und Udine so nahe ist? Nach Wien fahrt man, wenn man muB, nach Udine, wenn es nur igendwie geht.

Dem Karntner sagt man ein sagen-haft groBziigiges Verhaltnis zur Piinktlichkeit nach. Aber wie soil je-mand, der so zeitlos windstill inmit-ten schiitzender Berge sitzt, nicht Mitleid haben mit jenen, die den kal-ten Wind um die Nase kriegen und es eilig haben? Wenn der Karntner sagt: I kum uma fiinfe - dann ist die Spannweite, die das a am um aus-driickt, sehr groBziigig bemessen. Man warte bereits ab vier und sei nicht bos, wenn man es um sieben immer noch tut. Denn man wartet immerhin in Gottes und des Kaisers Land.

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