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Digital In Arbeit

Von den Wurzeln des Erzahlens

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diefurche: Wie haben Sie zu schreiben begormen?

Christoph Ransmayr: Mit dem Erzahlen zu beginnen, ist kein Ent-schlufi, den man eines Tages faBt und ihn dann umsetzt, sondern zu schrei-ben beginnt man so wie man auch zu reden beginnt, gebannt, fasziniert von einer Geschichte, fur die man einen Ausdruck sucht. Zum Beispiel beginnt einer zu schreiben, der an der Uni seine Seminararbeiten formuliert und mit wachsender Unzufriedenheit feststellt, daB ihm diese Ebene der Sprache nicht liegt. Dann beginnt er auch irgendwann einmal ins Erzahlen auszuweichen, verlaBt den Horsaal, geht anderswohin. So ein Ort, so ein anderwo hat sich fiir mich wahrend des Studiums angeboten, mit der Mo-natszeitschrift „Extrablatt". Dort konnte ich das tun, was ich wollte, namlich Geschichten erzahlen. Dort habe ich begonnen, Reportagen zu schreiben.

diefurche: Sie haben Philosopohie studiert, gibt es dawn einen Einflufi aufihr Schreiben?

ransmayr: Das ist eine Frage, die ich mir nicht stelle. Mich interessiert, die Darstellung, das Finden und das Ge-stalten von Geschichten. Nach Hin-tergriinden zu forschen, nach philoso-phischen Traditionen, in die dieses Schreiben hineinreicht, das ist nicht mein Thema.

diefurche: Sie waren Redakteur, ist das nicht ein anderes Schreiben, als das Schreiben von Geschichten? Ransmayr: Es gibt nur ein Schreiben. Jemand der sich wirklich furs Schreiben entscheidet, entscheidet sich furs Erzahlen. Und ob dieses Erzahlen irgendwann einmal die Form der Reportage eines kleinen Prosastiickes annimmt, oder irgendwann den er-sten Kapiteln eines Romans gilt, es geht immer um die Anstrengung, das was man aus der Welt herausheben und das was man in die Welt wieder zuriicklegen will, in eine erzahlerische Sprache zu fassen.

diefurche: Ihr erstes Buch „Strahlen-der Untergang" ist das aus einer Reportage hervorgegangen? Ransmayr: Nein, es gab einfach Bil-der, Fotografien der Sonne. Und die Frage meines damaligen Verlegers Christian Brandstatter, war, wie kann eine Geschichte zu diesen Bildern heiBen. Die Anzahl der Geschichten, die sich zum Bild der Sonne erfmden laBt, ist natiirlich unbegrenzt, ich habe eine von den unzahligen mogli-chen dazu erfunden.

diefurche: Doderer behauptet, Jou-malismus und Fachwissenschaft sind die grofiten Feinde des Schrifistellers. Ransmayr: Fiir mich zumindest ist klar, daB das Erzahlen dort beginnt, wo man die Welt und was sich in ihr bewegt, betrachtet und ihr zuhort, zunachst einmal sprachlos ist, vollig stumm. Auch der Reportagenschrei-ber ist zunachst einmal still, hort nur zu. Die Wurzeln jeder Geschichte lie-gen dort, wo man eben nur aus Augen und Ohren besteht.

Christoph Ransmayr

uber sein Schreiben, das Finden von Geschichten, seinen jungsten Roman „Morbus Kitahara", Franz Nabl und Irland

diefurche: Sie wandern gerne. Steht das Gehen in Zusammenhang mit dem Schreiben?

Ransmayr: Das Tempo des FuBgan-gers ist das adaquate Tempo des Erzahlens. Wenn jemand sich zu FuB durch die Welt bewegt, ist das genau das, was zur Bedingung seines Schrei-bens werden kann, namlich, daB er zuhort und betrachtet. Da hat er genau das richtige Tempo. Es ist klar, daB die wichtigsten Erfahrungen in ihrem vollen Umfang nur im ver-langsamten Tempo gemacht werden konnen, bis man so langsam ist, daB man in der Betrachtung seines Gegen-standes, wenn schon nicht versinkt, so diesem alle Zeitund den Raum gibt, den er braucht Das Gehen ist sozusagen der Ausdruck dessen oder kann zum auBe-ren Ausdruck dessen werden, was erzahlen und schreiben ist.

diefurche: Vielfach wird der Mor-genthauplan als Hintergrund ihres Romans „Morbus Kitahara" gesehen. Ransmayr: Der sogenannte Morgen-thauplan war nur einer von vielen Im-pulsen, die zu dieser Geschichte ge-fiihrt haben, und sicher nicht der wich-tigste. Aber „Morgenthau" war ein be-quemes Etikett, mit dem sich einige Rezensenten die Arbeit erleichterten.

diefurche: Was steckt also dahinter, was ist damit gemeint? ransmayr: Wir reden hier doch von einer Geschichte, nicht von einer Mei-nung. Es gibt diesen wunderbaren Satz von Kierkegaard, das ist einer von den Satzen, die mir aus meiner Zeit an der Uni geblieben sind: iiber den ersten Menschen, iiber Adam, von dem Kierkegaard sagt, der sei zugleich er selbst und das ganze Geschlecht. Das heiBt dieser Adam ist zugleich ein konkreter Mensch, konkreter, wie er nicht sein kann, mit Namen und Adresse und alien Bedingungen seiner Existenz. Das gilt oft auch fiir die Figuren einer Er-zahlung, je konkreter sie sind, je plasti-scher und klarer sie als Personen mit Namen und Anschrift vor einem auf-stehen, umso ofter werden sie gleich auch zum Beispiel dafiir, was mensch-liches Gliick oder Leid iiberhaupt sein kann. Aber das gehbrt natiirlich nicht zu den Absichten des Erzahlers, das ist

nie die Absicht. Jemand, der eine Geschichte erzahlt, widmet sich den kon-kreten Menschen und verwechselt sie nicht mit Schachfiguren, denen er eine bestimmte Bedeutung zuschreibt, um sie dann auf dem Brett der Interpreta-tionen hin und her zu ziehen. Wer eine Predigt halt, soil eine Predigt halten, wer eine Botschaft hat, soil diese Bot-schaft niederschreiben, aber er soli nicht den Figuren seiner Erzahlung eine Tragkraxe umbinden und sie die Bedeutungen, die er ihnen zuschreibt darin herumschleppen lassen. diefurche: 1st ihr Roman nicht doch eine Verarbeitung der NS-Vergangen-heit?

Ransmayr: Verarbeitung ist in dem Zusammenhang ein barbarischen-Wort. Das gehort eben zu dem groBen Irrtum, daB das, was geschehen ist, verarbeitet werden konnte, solange bis es wieder leicht wird und verfliegt. Was war, kann nicht verarbeitet werden, in dem Sinn, daB es wieder leicht wird und verfliegt.

diefurche: Was hat sie dazugebracht, nach Irland zu gehen? Ransmayr: Wenn sie aus einem der Fenster schauen, aus denen ich aufs Land, auf die Kiiste, auf den Atlantik schaue, wenn sie einen dieser Blicke einmal gesehen hatten, dann wiirde sich die Frage vielleicht eriibrigen. Irland war fiir mich immer ein guter Ort, an dem ich gearbeitet habe, an dem ich Freunde habe. Es ist ein Land in dem ein Sehriftsteller bessere Le-bens- und Arbeitsbedingungen vor-findet als anderswo. Ich habe an an-deren Platzen auch gelebt, jetzt ver-bringe ich einen wichtigen Teil meines Lebens dort. Aber meine Reisen gehen natiirlich weiter. Ich komme eben von einer Reise durch Sudafrika zuriick, und bereite mich gerade auf die nachste vor.

diefurche: Wohin? Ransmayr: Nach Tibet.

diefurche: Sie haben den Franz-Nabl-Preis bekommen, was bedeutet Nabl fiir sie?

ransmayr: Priifen sie mich bitte kei-ne Vokabel, fragen sie mich nicht nach Bedeutungen. Ich mache meine Geschichten, ich gehe meinen Inter -essen nach, aber nicht weil ich mir vorher alle moglichen Bedeutungen tiberlege.

diefurche: Haben sie Nabl gelesen? ransmayr: Ich habe Nabl auf dieser Reise, entlang der siidafrikanischen Pa-zifikiiste gelesen. Obwohl ich mit sehr dramatischen Situationen in diesem Land konfrontiert war, hat es dieser Roman geschafft, oder zumindest einige Passagen, haben mich so gefesselt, und so tief in mein Land zuriickgezogen, daB es an irgendeinem Abend, an dem ich in diesem Roman gelesen habe, zu schneien begann. Diese Schneeflocken, das waren Nachtfalter, fliegende Kafer, eine Wolke von Insekten, die eine Lampe umschwarmte. Aber was ich gesehen habe, war Schnee. Es schneite in Afrika.

Das Gesprach fiihrte

Susanne ZobL

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