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Frieden zwischen Israel und Palästina: „Es wird immer unser Land sein ”

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Ein orthodoxer Jude, dessen Sohn Opfer der Hamas wurde, über die Aussöhnung mit den Palästinensern und den Mord an Yitzhak Rabin.

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Ein orthodoxer Jude, dessen Sohn Opfer der Hamas wurde, über die Aussöhnung mit den Palästinensern und den Mord an Yitzhak Rabin.

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Ein orthodoxer Jude, dessen Sohn Opfer der Hamas wurde, über die Aussöhnung mit den Palästinensern und den Mord an Yitzhak Rabin.

DIE FURCHE: Herr Wachsman, Sie sind auch nach dem von palästinensischen Terroristen verschuldeten Tod Ihres Sohnes Nahshon fiir die Fortführung des Dialogs zwischen Israelis und Palästinensern eingetreten In dieser Frage ist das Land gespalten, und religiöse Gruppen und Parteien sind als Gegner des Friedensprozesses in Verruf geraten Haben Sie fiir Ihre Haltung auch Unterstützung von religiös-orthodoxen Gruppierungen erhalten?
Jehuda Wachsman:
Ja, sicher. Ich gehöre aber keiner Partei an und habe auch keinen Kontakt zu religiösen Parteien. Ich fühle mich auch niemandem verpflichtet, außer mir selbst und meinem Gewissen. Es gibt keinen Grund, Politik und Religion zu vermischen. Religion verstehe ich als gelebte Beziehung zwischen den Menschen und Gott, und die vor dreitausend Jahren geschriebene Bibel allein kann uns nicht sagen, wie wir uns heute in der Politik verhalten sollen.

DIE FURCHE: Sie haben sich nach dem Tod Ihres Sohnes mit dem Viter eines der an der Entführung beteiligten Terroristen getroffen ...
Wachsman:
Also so einfach war es nicht. Es war zunächst die Idee eines Journalisten einer Jerusalemer Zeitung, der mich angerufen hatte, um mich zu fragen, ob ich mich mit dem Vater von einem der Terroristen, treffen würde, und ich sagte nein. Doch er rief jede Woche an, und schließlich willigte ich unter der Voraussetzung ein, daß er mir ein vom Vater des Terroristen unterfertigtes Schreiben bringen würde, in dem dieser dem Terrorismus abschwört und die Tat seines Sohnes verurteilt, und in dem er seinen Wunsch nach einem Dialog mit mir und seine Bereitschaft, in seinem Freundeskreis Toleranz und Freundschaft zu verbreiten, kundtut. Nach etwa acht Monaten hat mir der Journalist dann dieses Schreiben gebracht, und dann haben wir einander in einem Jerusalemer Hotel getroffen. Unser erstes Gesprächsthema war der Koran und die Bibel, vor allem jene Stellen, die von der bevorzugten Stellung von Minderheiten handeln. In der Bibel gibt es 48 derartige Hinweise, und auch im Koran kann man darüber lesen. Dann erst sprachen wir über unsere Söhne, und er sagte, daß ihm die Tat seines Sohnes sehr leid tue, er habe aber keine Kontrolle über ihn gehabt. Die Schulbildung in der West Bank sei sehr mangelhaft gewesen, und nicht nur er habe Probleme mit seinen Kindern, im gesamten Dorf seien die Kinder außer Kontrolle geraten. Wir stimmten auch überein, daß das Justizsystem in Israel sehr schlecht sei, vor aDem hinsichtlich der Bestrafung von Terroristen.

DIE FURCHE: Die Bestrafung von Terroristen ist also zu milde?
Wachsman:
Ja, viel zu milde. Gemäß sowohl dem Koran als auch der Bibel sind Menschen, die andere unschuldige Menschen getötet haben, mit dem Tod zu bestrafen. Es gibt in arabischen Ländern ein anderes Wertesystem, und das wird auch gelebt und exekutiert. Das einzige Land im Nahen Osten, das diese biblischen Strafen nicht in seine Gerichtsbarkeit aufgenommen hat, ist Israel, und gerade Israel würde das am meisten benötigen.

DIE FURCHE: Würden Sie auch fiir den Mörder von Yitzhak Rabin die Todesstrafe fordern?
WACHSMAN: Ja, sicher, er ist ein Terrorist. Es ist das größte Verbrechen, jemand anderem das Leben zu nehmen.

DIE FURCHE: Welche Erkenntnis können wir aus der Ermordung Rabins ziehen?

WACHSMAN: Für mich bedeutet der Mord an Rabin, daß unser ganzes Bildungssystem auf Demokratie und Pluralismus ausgerichtet sein muß, und Probleme und Meinungsverschiedenheiten verbal ausgetragen werden müssen, daß man sich hinsetzt und diskutiert. Das wurde verabsäumt, was dazu führte, daß sich Israels Rechte durch den Friedensprozeß und die Rückgabe von besetztem Land bedroht fühlte. Rabin wurde als Feind betrachtet, der es den Arabern ermöglichte, zu den Grenzen von 1967 zurückzukehren. Das wurde als eine Bedrohung der Existenz Israels, ein neuer Holocaust empfunden.

DIE FURCHE: Inwieweit ist das eine Frage der Heiligkeit des Landes beziehungsweise des göttlichen Geschenks des Landes an die Juden?
Wachsman: Für religiös-orthodoxe Menschen in Israel ist das nicht nur eine Frage des heiligen Landes, sondern auch der Glaubwürdigkeit von Yassir Arafat. Arafat spricht in allen seinen Reden - bis heute - vom Anspruch der Palästinenser auf Jerusalem: Jerusalem sei palästinensisches Territorium. Und: Israelis, Juden seien ein Fremdkörper im Mittleren Osten. Und wir glauben, was Arafat sagt, ja wir müssen es glauben. Wir haben den Fehler in Europa gemacht, als wir nicht glaubten, was Hitler und mit ihm andere Antisemiten sagten. In Deutschland dachten Juden: Wir leben hier seit Jahrhunderten, wir sind ein Bestandteil der deutschen Kultur, wir sind Deutsche. Warum sollte man uns umbringen wollen?

DIE FURCHE: Das ist nun die Meinung

WACHSMAN: Nein. Die nationalen religiösen Gruppen wollen die Menschenrechte auch für Palästinenser gesichert wissen, aber sie sagen: alle Bechte, die wir selbst haben, haben wir durch die Bibel, und wenn das nicht so wäre, was hätten Juden hier zu suchen. Die Bibel ist das Grundbuch für die Juden. In der Bibel sind die Rechte der Juden auf das Land niedergeschrieben. Das ist die Position der religiösen Israelis. Die säkularen Israelis würden hingegen sagen: Ich bin hierher emigriert oder hier geboren, und ich möchte in Frieden leben. Ich möchte mein Haus haben, meine Karriere, ich möchte meine Kinder hier großziehen, ein gutes Leben haben. Und sie würden sagen: Ich glaube nicht an Gott und die Bibel, und die Heiligkeit des Landes ist mir egal. Wir geben den Palästinensern ihre Rechte, und die werden sich ruhig verhalten, weil sie Land und Autonomie erhalten.

Ein orthodoxer Jude, dessen Sohn Opfer der Hamas wurde, über die Aussöhnung mit den Palästinensern und den Mord an Yitzhak Rabin.

DIE FURCHE: Was ist Ihre Meinung zum Friedensprozeß?
Wachsman: Ich denke praktisch: es gibt so etwas wie eine palästinensische Nation, und die muß Rechte bekommen. Es schmerzt mich, daß wir Land hergeben müssen, das dem israelischen Volk gehört. Um des Friedens willen sollten wir das Land aber teilen. Sollte der Terror jedoch anhalten, nehmen wir das Land wieder zurück. Die Palästinenser werden sich irren, sollten sie denken, sie könnten das Land Schritt um Schritt erobern, genauso, wie sie sich 1947 geirrt haben, als nach dem UN-Beschluß über Palästina friedliche Koexistenz möglich gewesen wäre. Eines ist für mich immer klar: Wenn wir Land hergeben, dann beruht das auf Kompromissen -es wird immer unser Land bleiben. diefurche Heißt das, Palästinenser sollten einen eigenen Staat bekommen? wachsman: Ja natürlich! Ich unterstütze das: eigener Staat mit eigener Regierung, Grenzen, auch einer eigenen Armee. Ich glaube, Israel ist stark genug, um sich den Friedensprozeß leisten zu können. Allerdings fehlt mir noch die Friedensbereitschaft auf palästinensischer Seite.

DIE FURCHE: Ist es nicht so, daß die Palästinenser viel Zeit benötigen, um die Tradition friedlichen Zusammenlebens zu lernen, ihr Bildungssystem entsprechend um- beziehungsweise erst aufzubauen'

WACHSMAN: Was Schulbildung betrifft, gebe ich Ihnen völlig recht. Ich würde mich sofort karenzieren lassen, um eine institutionelle Retreuung palästinensischer Kinder aufzubauen, um sie Toleranz, Freundschaft und Verständnis zu lehren; bis heute lernen diese Kinder aber nur Haß.

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