"Für den gemeinsamen Staat Palästina-Israel“

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Sari Nusseibeh ist Rektor der Al Quds Universität in Jerusalem. Er hat gerade im Verlag Antje Kunstmann das Buch "Ein Staat für Palästina? Plädoyer für eine Zivilgesellschaft in Nahost“ herausgebracht. Darin versucht er, umstrittene Alternativen zur Zweistaatenlösung in Diskussion zu bringen.

FURCHE: In Ihrem jüngsten Buch vertreten Sie die interessante Idee, dass Palästinenser in einem Einheitsstaat ohne politische Rechte bleiben sollten.

Sari Nusseibeh: Der Vorschlag beruht auf der Annahme, dass die Zweistaatenlösung, die von allen unterstützt wird, nicht mehr umsetzbar erscheint. Daher stelle ich die Frage: was jetzt? Option eins ist nichts tun. Das bedeutet, es wird immer schlimmer. Ich meine nicht einen Dritten Weltkrieg oder einen Atomkrieg aber das Leben wird für beide Seiten unerträglicher. Option zwei ist, was vor allem die Palästinenser vorschlagen: ein Staat, in dem alle die gleichen Rechte genießen. Das wäre gerecht, hat aber den Haken, dass die Israelis das von vorneherein ausschließen. Sie wollen nicht in einem Staat leben, wo die Araber die Mehrheit bekommen können. Das endet also in der Sackgasse.

Ich finde, dass die Leute über eine dritte Option nachdenken sollten. Sie sollte die Realität einbeziehen aber so verändern, dass sie für beide Seiten erträglicher wird. Am Ende sollte eine Föderation zwischen einem palästinensisch-arabischen und einem jüdischen Staat stehen.

Der wäre nicht unbedingt durch die Linie von 1967 geteilt, sondern entlang ethnischer Grenzen. Haifa etwa hat 20 Prozent arabische Bevölkerung. Aber es gibt Städte, die sind rein arabisch oder rein jüdisch. Ich stelle mir einen offenen Raum vor, wo zwei politische Einheiten bestehen: die palästinensische und die jüdische. Beide regieren ihre jeweilige Bevölkerung aber in einem gemeinsamen Staat. Ein Israeli könnte von Tel Aviv überall hin fahren, ohne, dass ihn jemand aufhielte. Das sollte auch für die Palästinenser gelten. Geben wir also den Palästinensern zivile Rechte.

FURCHE: Aber keine politischen?

Nusseibeh: Sie sollten Bewegungsfreiheit haben und überall Arbeit oder Wohnung suchen können. Sie brauchen Zugang zu allen Dienstleistungen aber nicht unbedingt das aktive und passive Wahlrecht für die Knesset. Das habe ich im Buch geschrieben. Das kann eine Übergangslösung sein.

FURCHE: Die Zweistaatenlösung, auf die alle seit Oslo setzen, ist also vom Tisch?

Nusseibeh: Wenn es eine Zweistaatenlösung gibt, ist das gut. Wenn nicht, dann sollte man über meine Idee nachdenken. Man braucht eine gewisse Vorstellungskraft. Wenn der palästinensische Staat, von dem viele träumen, heute durch diese Tür käme, würde ich ihn willkommen heißen.

Wir haben aber eine halbe Million Israelis, die jenseits der grünen Linie von 1967 leben. Diese Linie ist also keine brauchbare Arbeitsgrundlage mehr. Die Hälfte der Siedler lebt im Großraum Jerusalem. Wie können wir eine halbe Million Leute umsiedeln? Und haben wir das moralische Recht dazu? Durch gewaltlosen Widerstand werden wir das nicht schaffen. Vielleicht durch einen Atomschlag aber nicht durch Demos jeden Freitag.

FURCHE: Das heißt, trotz UNO-Resolutionen müssen die Palästinenser auf ihre Ansprüche verzichten.

Nusseibeh: Ostjerusalem, das die Hauptstadt eines Palästinenserstaates werden soll, ist heute mehrheitlich jüdisch. Man kann also nicht mehr in den Kategorien von 1967 denken.

Zwischen 1967 und den späten 1980er-Jahren konnten sich die Menschen frei bewegen und hatten Arbeit in verschiedenen Gebieten. Heute ist das nicht mehr möglich. Die Leute haben keine Bewegungsfreiheit und müssen daher durch Tunnels. Wir sollten nach 43 Jahren zumindest grundlegende Bürgerrechte genießen. Wenn wir später wieder über eine Teilung nachdenken, dann werden wir zumindest in einer besseren Verhandlungsposition sein.

FURCHE: Was würde das für das als heilig geltende Rückkehrrecht von fünf Millionen Flüchtlingen bedeuten?

Nusseibeh: Die Zweistaatenlösung würde die Aufgabe des Rückkehrrechts bedeuten. Das würde niemand zugeben, aber es ist nicht denkbar, dass die Israelis einem Palästinenserstaat zustimmen und zulassen, dass Millionen Palästinenser nach Israel kommen. Die Zweistaatenlösung beruht also auf dem Verzicht auf die Wiederherstellung des Zustands vor 1967.

FURCHE: Im Einheitsstaat wäre eine Rückkehr einfacher?

Nusseibeh: Rückkehr heißt, in den Raum Israel-Palästina zurückzukehren. Es gibt mehr als 500 Dörfer, die zerstört wurden, darunter das meines Großvaters. Ich kann nicht hoffen, in das Haus meines Großvaters zurückzukehren, weil es das nicht mehr gibt. Aber ich will das Recht haben, in das Territorium zurückzukehren und Niederlassungsfreiheit zu genießen.

FURCHE: Warum sollten die Israelis das akzeptieren?

Nusseibeh: Die Israelis haben nur zwei Möglichkeiten, mit uns umzugehen: entweder sie herrschen in einem Apartheidsystem über uns. Das würde die Gesellschaft spalten und Probleme mit der internationalen Gemeinschaft mit sich bringen. Die Alternative ist, uns auszurotten oder in Unterdrückung halten. Das geht heute nicht mehr. Wenn die Israelis also über ihre eigene nachhaltige Zukunft nachdenken, müssen sie sich was einfallen lassen. Als sie 1967 den zweiten Krieg gegen uns gewannen, haben sie das palästinensische Territorium vereinigt. Heute leben mehr Palästinenser im historischen Palästina, als in der Diaspora.

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