Feig, die Europäer!

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Schon zu Zeiten des Kalten Krieges war der Kernphysiker Hans Peter Dürr ein engagierter Kämpfer für den Frieden. Und auch heute versucht er, Wissenschaftler-Kollegen für den Frieden in Palästina zu mobilisieren.

Die Furche: Die Situation in Israel und Palästina ist ziemlich verfahren. Was kann Europa, was können europäische Intellektuelle zu einem Umdenken dort beitragen?

Hans Peter Dürr: Ich habe im Augenblick den Eindruck, dass gerade Europa mehr tun könnte, als die Amerikaner, die aufgrund ihrer innenpolitischen, geostrategischen und hegemonialpolitischen Involvierung die Krise eher verschärfen , als zu ihrer Lösung beizutragen. Der Spruch : "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns und damit ein Terrorist" - ist eine völlig ungeeignete Haltung in dem brennheißen Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Ich hoffe, dass die Europäer selbstbewusster werden und sich aus der selbst auferlegten Feigheit und vasallenhaften Unterwürfigkeit befreien. Europa hat in den vergangenen 50 Jahren immerhin bewiesen, dass es lernfähig und imstande ist, sich aus tief sitzenden Feindschaften zu befreien und friedliche Beziehungen durch Kooperation aufzubauen. Das hat eine moralische Qualität, die imstande wäre, die kämpfenden Parteien aus der tödlichen Logik militärischen Denkens herauszulösen.

Die Furche: Aber ist nicht gerade dieses Denken ein europäisches Erbe und hat nicht gerade Deutschland ein Problem mit seinem Holocaust-Trauma ?

Dürr: Das mit dem europäischen Erbe stimmt ebenso wie das mit der Fixierung auf die Schandtaten von Gestern. Das alles soll und darf nicht geleugnet werden. Aber heute erscheint mir das zuweilen auch wie ein Mäntelchen für politische Bequemlichkeit. Ich empfinde eigentlich umgekehrt: Ich habe als Deutscher gerade wegen der Verstrickung des deutschen Volkes in die Shoa, eine größere Verpflichtung, mich für den Frieden in Israel bzw. Palästina einzusetzen. Und gerade ich als Jude muß mir eine andere Sprache erlauben können als andere, und dazu möchte ich andere Kollegen ermutigen.

Wir können die deutsche Geschichte nicht auf das unselige, verbrecherische Dritte Reich einengen. Ich erinnere mich, als ich anlässlich des 100. Geburtstages von Albert Einstein nach Jerusalem eingeladen war und dort den israelischen Historiker Professor Deutsch getroffen habe. Er sprach von dem offenen, multikulturellen Klima, das in deutschen Landen vor der Gründung des deutschen Reiches geherrscht habe, in dem gerade Juden sich besonders wohl gefühlt hätten, weil sie sich gerade dort gut entwickeln und positiv einbringen konnten. Vielleicht sollten wir uns auch an diese fruchtbare Periode unserer Geschichte erinnern und sie im Gespräch mit Israelis und Palästinensern fruchtbar machen, statt nur auf die unentschuldbaren Verbrechen des Nazi- Terrors zu schauen.

Die Furche: Und Sie glauben,dass eine solche Überlegung in Zeiten der Debatte um Möllemann und Friedmann, eine Chance hätte, gehört zu werden?

Dürr: Ich wehre mich zu sagen, wegen dem Holocaust halten wir uns da raus. Vielmehr sollten wir die positiven Erfahrungen der europäischen Kultur, ob nun schriftlich oder mündlich im direkten Gespräch nach Israel bringen, um den vom Hass blinden Menschen neue Perspektiven zu eröffnen, ein friedvolles Miteinander über die Begegnung von verschiedenen Kulturen zu organisieren. Da war ja im langen Prozess vor Oslo bereits sehr viel Positives geschehen, das nur jetzt wieder verschüttet ist.

Ich habe den Eindruck, dass in Israel genügend potente Kräfte vorhanden sind, die einen Neubeginn eines solchen Kultur überschreitenden Prozesses bewerkstelligen können. Man sollte nur nicht mehr allzu lange damit warten, denn es müsste doch langsam klar werden, dass die Israelis trotz ihrer augenblicklichen militärischen Übermacht am Schluss die Leidtragenden sein werden, weil sie im Grunde ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Ideale verraten.

Und da ist noch eines, das wir nicht vergessen sollten: Der Staat Israel wurde inmitten der arabisch-islamischen Welt gegründet, begreift sich aber als Vorposten des ökonomisch und militärisch überlegenen Westens. Der Glaube, die Sicherheit des jüdischen Volkes könne allein durch die vom Westen garantierte militärische Stärke gewährleistet werden, grenzt angesichts der bisherigen Erfahrungen an Absurdität. Sicherheit wird es nur dann geben können, wenn Israel seine kulturellen und integrativen Kräfte in sein orientalisches Umfeld einbringt.

Die Furche: Dass Sie Ihre Wissenschafter-Kollegen ermuntern wollen, sich im Nahost-Konflikt einzubringen, ist nur zu verständlich. Aber Sie haben ja schon 1987, mitten im Kalten Krieg, eine Initiative gestartet, das "Global Challenges-Network". Was war, was ist der Sinn dieses Netzwerkes?

Dürr: Es gibt so viel Kompetenz in der Zivilgesellschaft, die praktisch brach liegt, politisch nicht zum Tragen kommt. Unser Netzwerk war und ist der Versuch, diese Kompetenz zu sammeln und zu verknüpfen, an die Öffentlichkeit zu bringen und so die Politik damit zu konfrontieren. Es wird unendlich viel gewusst, viel Persönliches erfahren, aber jeder glaubt sich allein und hilflos. Daher ist es wichtig, neue Verbindungen herzustellen, damit dieses Wissen gebündelt wird. Es könnte Heilung bewirken. Der Einzelne, kleine oder größere Gruppen, sie alle dürfen die Hoffnung nicht verlieren, einen Beitrag zum Ganzen leisten zu können.

Die Furche: Eine Vernetzung des Widerstandes?

Dürr: Ja, das ist schon so. Wo immer Menschen angesichts der ständig wachsenden Bedrohung auf unterschiedlichsten Ebenen, in verschiedensten Bereichen anfangen, sich zu engagieren, werden sie automatisch aufmerksamer, was die Beobachtung der politischen Szene angeht und damit auch für eine demokratische Gesellschaft wirksamer. Wir haben den Eindruck, dass die Politiker heute durch das Tagesgeschehen so gefesselt sind, dass sie den Durchblick für wesentliche Fragen verloren haben. Ihre Berater sind meist Lobbyisten der einen oder anderen Art, die ihnen aber die überlebenswichtigen großen Linien nicht aufzuzeigen vermögen. Also brauchen sie unabhängige Informationen in einem größeren Spektrum, die ihnen die Augen öffnen können, damit sie nicht von einer Falle in die nächste tappen.

Die Furche: Wie lange können wir uns diese Kurzatmigkeit noch leisten?

Dürr: Eigentlich überhaupt nicht mehr. Es ist offensichtlich, dass vernünftige Entscheidungen nicht mehr möglich sind. Die Frage ist nur, wie wir diese Einengungen im Denken, Entscheiden und Handeln aufsprengen können. Die Politik, so scheint mir, schafft das nicht mehr, die Zivilgesellschaft könnte es schaffen, weil sie über wesentlich größere Kompetenz verfügt, wenn deren Vernetzung gewährleistet wäre. Das gilt es zu organisieren. Ein Netzwerk reagiert auf neue Fragen und Problemstellung wesentlich flexibler als eine fest gefügte Organisation, die sehr schnell und irgendeine Ecke gestellt und ideologisch punziert werden kann.

Die Furche: Und wie sollen diese vernetzten Erkenntnisse zur politischen Umsetzung gelangen?

Dürr: Sie werden lachen. Auch im Zeitalter von Computer und Internet ist das Wichtigste immer noch das Gespräch, das geduldige, offene, überzeugende Gespräch. Eine Erfahrung, die ich immer wieder gemacht habe: Wenn ich mit einem langen Atem gelassene Überzeugungsarbeit leiste, wird mein Gegenüber über kurz oder lang zu dem Punkt kommen, wo er erkennt, dass er eigentlich schon längst ähnlich gedacht hat, sich dies aber nicht eingestehen wollte, weil solches nicht im Trend liegt. Plötzlich kann dann alles schnell gehen und es können Weichen in Richtungen gestellt werden, die man nicht für möglich gehalten hätte.

Das Gespräch führte Dolores Bauer.

Alternativer Nobelpreisträger

1929 in Stuttgart geboren, Studium und Promotion in Berkeley, Habilitation in München, ab 1963 Mitglied, später langjähriger Direktor des "Max-Planck-Institutes für Physik" in München, zahlreiche Veröffentlichungen und Auszeichnungen (Right-Livelihood-Award, Alternativer Nobelpreis).

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