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Irgendwo muß jeder leben dürfen

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Für ihre Autobiographie - ein Standardwerk der Schoa-Literatur - bekam Ruth Klüger den österreichischen Staatspreis für Literatur 1997. Ein Porträt der Autorin.

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Für ihre Autobiographie - ein Standardwerk der Schoa-Literatur - bekam Ruth Klüger den österreichischen Staatspreis für Literatur 1997. Ein Porträt der Autorin.

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DIEFURCHE: Haben Sie das Schreiben Ihrer Biographie als Befreiung von der geschichtlichen Last empfunden? Ruth KLÜGER: Nein, die geschichtliche Last bleibt. Es war eine Befreiung aus der Sprachlosigkeit, daß ich jahrelang, wenn von der Schoa die Bede war, mir gedacht oder auch laut gesagt habe: „So stimmt das nicht ganz, das war nicht so, das ist unrichtig”. Meistens hat man mir gar nicht zugehört, wollte es gar nicht wissen, und jetzt, wo ich das Buch geschrieben habe, muß ich eigentlich nichts mehr dazu sagen. In diesem Sinne ist es eine Befreiung gewesen, aber nicht so, als ob ich nun die Toten begraben hätte.

DIEFURCHE: Bei der Präsentation des Buches mit unzähligen Lesungen in Deutschland und Österreich hatten Sie viel Kontakt zu jungen Leuten ... KLÜGER: Ja, das ist eine positive Auswirkung gewesen, über die ich sehr froh bin. Ich hab' das überhaupt nicht erwartet. Ich dachte, das kommt in einer kleinen Auflage in dem kleinen Göttinger Verlag, und ich habe überhaupt keine Vorstellung gehabt, daß sich das so auswirken würde.

DIEFURCHE: Sie haben in Ihrem Buch sehr viel Persönliches geschrieben Ich hatte den Eindruck, daß Sie nichts geschönt, nichts verheimlicht haben, vor allem das Vzrhältnis zu Ihrer Mutter. KLÜGER: Vor sehr vielen Jahren hatte ich versucht, eine Erzählung über meine Erlebnisse in den Lagern zu schreiben, und die Hauptperson, ein junges Mädchen, hatte keine Mutter. Das ist mir wieder eingefallen, als ich meine Biographie zu schreiben begann. Mein Anliegen war dann, die Geschichte so darzustellen, wie ich sie erlebt habe, und das Verhältnis - das sehr schlechte Verhältnis - zu meiner Mutter, die in vieler Hinsicht bewundernswert ist, gehört dazu. Es hätte keinen Sinn gehabt, zu beschönigen. Ich habeüber etwas geschrieben, was bezeichnend für unsere Zeit ist, nicht über meine Ehe oder mein Verhältnis zu meinen Kindern, das sind wirklich privalü Dinge, die niemanden etwas angehen.

DIEFURCHE: Was würden Sie als Ihre Heimat bezeichnen? KLÜGER: Heimat - ich weiß nicht, ob man den Begriff braucht. Wir leben in einer Zeit, in der es mehr Flüchtlinge gibt als je zuvor. Die halbe Welt wohnt nicht mehr dort, wo sie geboren wurde. Da muß man sich andere Vorstellungen machen, als daß der Mensch irgendwo Wurzeln haben muß, das müssen die Bäume, aber nicht die Leute. Wenn ich jetzt sage: Ich gehe nach Hause, dann meine ich das Hilton, wo ich ein Bett für die Nacht habe. Im weiteren Sinn ist Amerika das Land, in dem ich zu Hause bin, aber doch nicht so, als wäre ich dort geboren. Ich fühle mich dort auch als Europäerin. Und Wien evoziert unvermeidlich Heimatgefühle, das können auch ganz negative sein. Aber das Bewußtsein, von hier zu stammen, verläßt mich keinen Moment, wenn ich hier bin. Das einzige, was ich mir vorstelle, ist, daß man das Becht haben sollte, dort, wo man geboren wurde, auch zu leben. Das sollte ein Grundrecht sein. Das ist eigentlich ein Grundgedanke von Israel: wenn man einen woanders nicht leben läßt, so haben wir das Becht, dort zu leben, denn irgendwo muß man leben dürfen.

DIEFURCHE: Ist es ein-Dilemma, daß das jüdische Israel in sich auch gespalten ist?

KLÜGER: Gott sei Dank, daß es gespalten ist, das ist das beste daran. Das ist, was ich liebe an Israel, daß es bei vier Juden immer fünf Meinungen gibt. Als ich zuletzt dort war, war ich Gast einer Familie, die fromm war, und die haben das ganze politische Spektrum abgedeckt: die Mutter war die liberalste, die hat Peres und die Arbeiterpartei gewählt, der Vater auch Peres aber die rechte Abspaltung der Arbeiterpartei. Der ältere Sohn, der war schon Likud, und der jüngere Sohn war so weit rechts, daß man mir das gar nicht genau erklären wollte. Und das war doch eine Familie, die gut miteinander auskam. Sie konnten mit diesen Unterschieden gut umgehen. Das ist vorbildlich in Israel, sich auf diese Weise zu streiten. Selbstverständlich möchte ich, daß mehr Israelis meiner Ansicht wären. Meine Vorstellungen für die Zukunft sind ein palästinensischer Staat und Jerusalem als erste Stadt in der Welt, die die Hauptstadt von zwei Ländern ist.

DIEFURCHE: Es ist eine räumliche Polarisierung zu verzeichnen: das liberale Tel Aviv und das orthodoxe lerusalem Es gibt Israelis, die behaupten, sie könnten in Jerusalem nicht mehr leben ... KLÜGER: Ja, wenn die Straßen für den Autoverkehr am Samstag gesperrt werden, dann kann man dort nicht mehr leben. Ich lebe seit meinem 16. Lebensjahr in einem Land, in dem die Trennung von Staat und Kirche praktisch zum Katechismus gehört, da kommen mir solche Dinge ganz absurd vor. Das war bei der Staatsgründung noch kein Problem, weil alles darauf deutete, daß sich die Gesellschaft säkular entwickelt. Jetzt hat sich herausgestellt, daß dem so nicht war, und das ist ein Dilemma.

DIEFURCHE: Sie haben in ihrem Buch geschrieben, daß Sie mit Religion nicht viel anfangen können Ergibt das ein Spannungsverhältnis zur jüdischen Identität

KLÜGER: Mit der Identität ist es so, daß man sich mehr darüber den Kopf zerbricht, wenn man jünger ist, als ich jetzt bin. Als Teenager, als junge Frau, fragt man sich oft: Wer bin ich eigentlich? Aber früher oder später findet man es heraus, und dann ist es kein Problem mehr. Ich bin in einem Alter, wo man nicht mehr an seinem eigenen Wesen oder Wert verzweifelt. Meine Identität setzt sich aus so vielen Dingen zusammen, daß ich mich nicht festlegen möchte, und sagen möchte, also Priorität hat, daß ich Jüdin oder daß ich eine Frau bin, daß ich Amerikanerin bin oder daß ich Mutter bin oder daß ich Germanistin bin.

DIEFURCHE: Aher Sie würden mir nicht widersprechen, wenn ich versuche, Sie zu etikettieren, daß Sie eine der größten jüdischen Schriftstellerinnen sind KLÜGER: Aber ich bitt' Sie, natürlich würde ich dem widersprechen. Ich bin nicht einmal Schriftstellerin, ich bin eine Auslandsgermanistin, die eine Autobiographie geschrieben hat, die manche Kritiker gütigerweise als Li teratur bezeichnen. Das ist freundlich von denen, aber es macht mich nicht zur Schriftstellerin.

DIEFURCHE: Mir ist aufgefallen, daß Sie seit Veröffentlichung Ihrer Biographie sehr oft nach Wien kommen ...

KLÜGER: Mein Verhältnis zu Wien hat sich in letzter Zeit etwas gelöst. Ich habe zwar in Wien nach wie vor das Gefühl, daß man mir den Kopf unter Wasser hält. Wien ist schwierig für mich. Aber es ist viel leichter, sich mit solchen Neurosen abzufinden, wenn man eine schöne Wohnung hat, wo man sich ein bißchen einrichten kann, als wenn man in Not ist. Ich habe mich im großen und ganzen insofern ganz wohl gefühlt, als ich viel dazugelernt und sehr freundliche Menschen getroffen habe. Trotzdem komme ich nicht sehr oft nach Wien. Jetzt hätte ich mehr Lust, nachdem ich zwei Monate hier verbracht habe; vorher hatte ich mich in Wien so wenig ausgekannt, daß ich ohne Stadtplan nicht ausgehen konnte. Das war teilweise, weil ich mich nicht richtig auskennen wollte.

DIEFURCHE: Glauben Sie an ein Wiedererstarken jüdischen Lebens in Wien, in Europa?

KLÜGER: In Europa schon. In Frankreich und England gibt es sehr lebendiges jüdisches Leben. In Deutschland und Österreich glaube ich eigentlich nicht daran, und bin jedesmal erstaunt, wieviel es dann doch gibt, wie die Juden, die es überhaupt nicht mehr gibt, eine Bolle spielen im Kulturleben. In Wien wundere ich mich über die vielen jüdischen Schriftsteller, die hier so wichtig sind: Ilse Aichinger, Georg Tabori, Bobert Schindel, Robert Menasse, Doron Ra-binovici. Die fühlen sich aber nicht so sicher wie die Juden um die Jahrhun dertwende, die sich auch nicht sehr sicher gefühlt haben.

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