6863984-1977_47_16.jpg
Digital In Arbeit

Verschollenes und Wiedergefimdenes

19451960198020002020

Im Verlag Styria, Graz, erscheint - mit Hans Weigel als Herausgeber - eine neue Reihe keineswegs neuer, sondern vielmehr vergessener und neu zu entdeckender Romane. Die ersten Bände, „Sonnenmelodie” von Otto Stössl und „Ein Sohn aus gutem Haus” von Karl Tschuppik, liegen bereits vor. Über diese Buchreihe, aber auch über die Probleme der österreichischen Gegenwartsliteratur und vor allem ihrer Autoren sprach die FURCHE mit Hans Weigel.

19451960198020002020

Im Verlag Styria, Graz, erscheint - mit Hans Weigel als Herausgeber - eine neue Reihe keineswegs neuer, sondern vielmehr vergessener und neu zu entdeckender Romane. Die ersten Bände, „Sonnenmelodie” von Otto Stössl und „Ein Sohn aus gutem Haus” von Karl Tschuppik, liegen bereits vor. Über diese Buchreihe, aber auch über die Probleme der österreichischen Gegenwartsliteratur und vor allem ihrer Autoren sprach die FURCHE mit Hans Weigel.

Werbung
Werbung
Werbung

Viele junge Menschen kennen ihn als Sprachkritiker, als Autor des köstlichen Buches „Die Leiden der jungen Wörter”, als Bearbeiter von Theaterstücken, die er vom Staub befreit und denen er, wieder oder überhaupt, zur Spielbarkeit verhilft. Hans Weigel in der Rolle des aktivsten Förderers junger Autoren, als Geburtshelfer einer ganzen schreibenden Generation, die in von ihm zusammengestellten Sammelbänden „Stimmen der Gegenwart” (heute zählen sie zu den gesuchten bibliophilen Raritäten!) den ersten Schritt in die Öffentlichkeit ermöglichte, ist nur noch dieser längst nicht mehr jungen Generation ein Begriff. Einige von Weigels Schützlingen von ehedem sind tot - früh dahingegangen wie Hertha Kräftner, deren eigentliche Todesursache wahrscheinlich Hoffnungslosigkeit heißen müßte, oder viel später, aber immer noch viel zu früh, wie Reinhold Federmann. Man kann sich die Arbeitsbedingungen dieser Generation heute kaum mehr vorstellen. Selbst außerordentliche Begabungen, deren Bedeutung allgemein anerkannt wurde, lockten kaum einen Verleger aus der Reserve.

Nun entdeckt er „Bücher, die es einmal gegeben hat, die es nicht mehr gibt und die es wieder geben sollte”, um mit Weigel zu sprechen. Für sie setzt er sich nun ein - sozusagen als’ Helfer zur Wiedergeburt. Und da die Widerstände, die sich manchen Wiederentdeckungen entgegenstellen, sehr erheblich sind, hat er hier eine Aufgabe von großer Wichtigkeit entdeckt. Denn keine Avantgarde ohne Tradition. Und kein Verstehen irgendeiner Gegenwart ohne gründliche Kenntnis der Vergangenheit.

Eine der unter erheblicher Mitwirkung von Hans Weigel herbeigeführten Renaissancen eines Autors ist die des vor wenigen Jahren verstorbenen Franz Nabl. „Menschliche Trägheit und die seltsame psychologische Erfahrung, daß das Vollenden des Lebens irgendwie auf die Beurteilung eines Werkes abfärbt”, macht er dafür verantwortlich, daß der Widerstand gegen die Wiederentdeckung eines

Vergessenen, Verschollenen meist erst dann gebrochen werden kann, wenn der Betreffende tot ist. Nabl hat er noch kennengelernt - anläßlich einer Anthologie, die Weigel zusammenstellen mußte und in die Nabl hineingehörte: „Und da habe ich ihn gelesen und ein schlechtes Gewissen gekriegt, und habe tätige Reue geübt und habe zu seinen Lebzeiten anläßlich seiner Geburtstage, zum 80., zum 85., zum 90., immer wieder auf ihn hingewiesen und heftige, hinweisende Dinge geschrieben, auch in den großen deutschen Zeitungen. Aber erst kurz vor seinem Tod hat ein Verlag ein Buch, das überhaupt noch nicht vorlag, und zwar den Roman ,Das Vaterhaus1, angenommen, Nabl hat ihn noch für den Druck eingerichtet, und er löste die Nabl-Renaissance aus, aber Nabl selbst hat es nicht mehr erlebt.”

Nabl soll hier nur als Beispiel dienen für das Gespür eines Menschen, in dessen Leben der Einsatz für fremde Werke kaum eine geringere Rolle spielt als das Schreiben seiner eigenen, eines vom gleichnamigen und mit ihm identischen Herausgeber, Bearbeiter und Übersetzer geradezu verschluckten österreichischen Autors (auch das ist ein österreichisches Schicksal). In der Styria-Buchreihe „Wiedergefunden” ganz oben auf der Liste der Romane, deren Neuauflage Weigel im Auge hat: „Das rauhe Leben” von Alfons Petzold. Weigel über sein Verhältnis zur Alfons Petzold: „Ich muß gestehen, daß ich ihn kaum gelesen hatte, denn er gehörte zu denen-, die im Ersten Weltkrieg-patriotische Gedichte geschrieben haben, was mir bei einem wie ihm besonders weh getan hat, denn er war ja das, was man einen Arbeiterdichter nennt. Wenn man bedenkt, wie damals die .Arbeiterzeitung” das Ihre getan hat zur Distanzierung vom falschen Patriotismus, dann hätte man doch etwas Ähnliches, finde ich, von Petzold erwarten müssen. Aber dann las ich einen Aufsatz von Robert Kannaiber die Kriegslyrik, die patriotische Welle von 1914 in Österreich, und da stand, daß dieser Dichter eine der besten österreichi schen Autobiographien geschrieben hat, die es gibt. Und da bin ich stutzig geworden, habe ,Das rauhe Leben” sofort gelesen und war tiefbewegt. Seither ist mir seine politische Haltung gleichgültig, denn die politische Einstellung eines Ezra Pound ist ja bei der Beurteilung seiner Lyrik auch längst unerheblich geworden, oder eines Hamsun. Darum die Notwendigkeit, dieses Buch wiederzuentdecken, und dies mit etlichen Trompetenstößen, denn da zeigt einer, der ein armerTeu- fel war, in jeder Hinsicht einer der Ärmsten, ein Prolet aus Wien, der angeblich so herrlichen ,Welt von gestern”, die dem Stefan Zweig so gut gefallen hat, wie es wirklich gewesen ist. Wie die Arbeitsbedingungen waren, die sozialen Bedingungen - und das ist großartig, ist stimmungsvoll geschrieben, ist nicht nur informativ, sondern auch als menschliches Schicksal sehr bewegend. So Gott will, wird das also 1978 wieder vorliegen.”

Weitere Projekte Weigels für „Wiedergefunden”, deren Verwirklichung zum Teil noch davon abhängt, ob es gelingt, die Abdruckrechte zu erlangen, was oft auch bei verschollenen Büchern gar nicht so leicht ist: „Die Jungen der Paulusstraße” von Franz Mol- när (Weigel: „Ich habe eine einzige großösterreichische Untugend - ich reklamiere immer den Franz Molnär für Österreich, obwohl er ungarisch geschrieben hat und ein Ungar war!”), ein Werk von Mechtilde Lichnowsky, die Novelle „Wir töten Stella” von Marlen Haushofer („Das Beste, was sie geschrieben hat!”) mit anderen Erzählungen in einem Band sowie, ebenfalls urheberrechtlich schwierig, der Nero-Roman „Der jugendliche Gott”, der als politisches Opfer zugrundegegangenen Alma Johanna König.

Ein Problem solcher Editionen: Die Rechte liegen bei anderen Verlagen, die sie meistens selbst dann nicht gerne hergeben, wenn sie selbst schon seit vielen Jahren nicht mehr an eine -Neuauflage -gedacht haben. Und die sich nundenken; „Das könnten wir ja auch!” Tun sie es wirklich, ist, so Weigel, , ja alles gut- aber vielleicht wollen sie nur nicht, daß es jemand anderer macht!”

Gewaltige Prpbleme entstehen, wenn die Wiederentdeckung von Lyrik ins Auge gefaßt wird. Warum? „Weil”, meint Hans Weigel, „die Lyrik erst ihre Wiederkunft vollenden muß. Es ist jetzt besser, als es war, es kommen genug Lyrikbände heraus, freilich, reich geworden ist mit Lyrik wahrscheinlich nicht einmal Josef

Weinheber. Vielleicht hat, in einem ganz kurzen Zeitraum um 1930, Erich Kästner von seiner lyrischen Produktion leben können. Mit Lyrik kann man zu Ehren, aber nicht zu Geld kommen. In der Bundesrepublik ist die Situation ein wenig besser. Österreich ist ein lyrisches Land, aber die österreichische Verlagstradition ist so jung und so schmal, daß man jetzt nicht auch noch verlangen kann, in größerem Ausmaß Lyrik zu machen. Aber wer seine Gedichte in eine Mappe legt, den gibt es nicht, erst, wenn mit Hilfe einer Sparkasse oder eines anderen Subventionsgebers eine Kleinstauflage gedruckt wird und in die Kataloge und auf diesem Wege in die Literaturgeschichte kommt, ist der Autor als Lyriker vorhanden. Das ist der erste Schritt. Ich bin manchmal verzweifelt, wenn ich so um 1950 in den Anthologien erschienene Lyrik lese und merke, sie ist verschollen, sie ist nicht mehr da. Es ist eine Schande, und das sage ich ganz bewußt, daß noch kein Verlag die gesammelten Gedichte von Gerhard Fritsch dem Leser neu geschenkt hat. Eine Sammlung seiner Lyrik hat es nie gegeben, nur einzelne Bände. Hätte es Gerhard Fritsch nicht gegeben - es wäre so, als hätte es in Österreich Grillparzer nicht gegeben!”.

Die Generation, die heute nach- und heranwächst, ist in den Augen von Hans Weigel „die, wie mir scheint, intakteste Generation von Autoren”. Die Hauptprobleme, was ihre Publika tionsmöglichkeiten betrifft, sieht er nicht einmal im Druck der Werke, sondern in dem von allen Seiten vernachlässigten Umstand, daß vieles Wertvolle zum Dasein „als modische Kreation, als Eintagsfliege” verurteilt und viel zu kurze Zeit nach dem Erscheinen nicht mehr verfügbar ist: „Es gibt eine Analogie, die Schallplatte. Ich darf eine Platte, die ich liebe, nicht herschenken, weil ich sie ja nicht nachkaufen kann. Aber wenn ich einen Bartök von einem bestimmten Quartett nicht mehr bekomme, gibt es das Werk doch von anderen Interpreten. Aber wenn man die Jeannie Ebner in der Ausgabe des Soundsoverlages nicht mehr bekommt, ist sie auf diese Weise aus dem Zug hinausgeworfen, und das ist ein schwerer Unfall, und da müßte man sich, finde ich, etwas einfallen lassen. Das ist ein Thema, das ich mir für die nächste Zeit vorgenommen habe, ich rede immer wieder darüber, zum Beispiel jetzt hier, und werde mit Verlegern darüber reden, vielleicht werde ich einen Vortrag darüber halten.”

Frage an Hans Weigel: „Wie wäre es mit einer Lagerhaltung beispielsweise mit Mitteln des Unterrichtsministeriums?”

Antwort: „Da müßte eine Jury bestimmen, welche Bücher wertvoll sind, und das möchte ich bei aller Wertschätzung des gegenwärtigen Unterrichtsministeriums lieber nicht.”

Ein Problem harrt also der Lösung…

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung