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Kritiker und Poet dazu

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Es ist nicht ganz leicht, über Hans Weigel zu schreiben, weil er es selbst getan und eigentlich abgetan hat. Was weiß er über sich zu berichten? Daß er Brillenträger und Kaffeetrinker ist, daß er sich elektrisch rasiert, daß er gegen den Bolschewismus und die Aufführung Bert Brechts und für die österreichische Armee ist. Nicht viel mehr. Es geschieht oft, daß ein Autor, zumindest zu seinen Lebzeiten, hinter seinem Werk verschwindet. Aber es kommt selten vor, daß einer gerade das will.

Einer von diesen wenigen ist ohne Zweifel Hans Weigel, der nun am 29. Mai 65 Jahre alt wird. Auch das ist nicht leicht zu begreifen, besonders für diejenigen, die ihn kennen, gleichgültig ob sie ihn lieben oder hassen — ein Drittes gibt es bei Hans Weigel nicht. Er schien uns nie eigentlich jung zu sein, und er ist nie alt geworden. Man kann es auch so sagen: er war in seiner Jugend ziemlich alt, er ist jetzt erstaunlich jung geworden.

Also das Werk. Weigel hat unheimlich viel geschrieben, über Musik, über Theater, über die Schweiz, über Österreich... Er hat Theaterkritiken verfaßt, er hat Stücke geschrieben, er hat zahlreiche Stücke — vor allem Nestroy! — bearbeitet, er hat Übersetzungen aus dem Französischen geliefert.

Und ob er nun ernst oder lustig war, es ernst meinte oder spaßhaft, jede Zeile, die er schrieb, hatte Charme, Witz — und tiefere Bedeutung. Sehen wir von dem Anfang ab, von den wenigen Jahren nach dem Abitur, in denen er sich in verschiedenen Berufen versuchte. Schon mit 22, 23 Jahren schrieb er für Bühnen und vor allem fürs Kabarett. Unvergessen die Sketches und die Chansons, die er für junge Schauspielerinnen wie Hilde Krahl und Heidemarie Hatheyer schrieb sowie für andere Mitglieder des „Kabarett am Naschmarkt“. Auch verfaßte er damals die hinreißenden Liedertexte zu „Axel an der Himmelstür“, einer Operette, mit der Zarah Leander berühmt wurde.

Und dann kam Hitler nach Österreich, und Hans Weigel, der zwar immer von sich behauptet, er sei Wiener von Beruf und Österreicher aus Neigung, mußte in die Schweiz. Hitler teilte aus rassischen Gründen seine Ansichten leider nicht.

Ich bin übrigens auch nicht ganz von der Wahrheit dieser Worte Hans Weigels überzeugt. Wie sein Idol und Lehrmeister Karl Kraus konnte er zwar nur in Wien leben, schimpfte aber immerfort auf Wien und insbesondere auf die Wiener.

Die Jahre der Emigration — in Zürich — waren daher doppelt schwer für diesen Österreicher. Er kam über sie hinweg — seelisch und materiell, indem er für das Schauspielhaus Nestroy, den großen österreichischen Dichter, bearbeitete und durch aktuelle Strophen ergänzte. Das alles war höchst illegal, aber die Fremdenpolizei, die natürlich davon wußte, sah nicht so genau hin.

Nach Wien zurückgekehrt, schrieb er dann, wie oben schon erwähnt, einige Dramen, die aber ihren Weg kaum über die Wiener Bühnen hinaus machten. In der Zwischenzeit war er Theaterkritiker geworden, man könnte sagen, er war der Alfred Kerr Wiens, wenn man nicht sagen müßte, er war in seiner Theaterkritik ein junger Karl Kraus. Er verstand ungeheuer viel vom Theater — das versteht er immer noch — und deshalb konnte er oft kritisch eingreifen, zurechtrücken, zurechtweisen, war freilich auf eine einzige Art bissig und daher sehr gefürchtet.

Trotzdem: Wenn Theaterkritiken der fünfziger Jähre über den Abend hinaus bleiben — und viele von Weigel sind in Büchern gesammelt worden — dann sind es die seinen. Wenn man heute seine zornigen Aufsätze gegen die sogenannten Modernen, die es nie

waren, sondern nur schlecht, nachliest, glaubt man, sie seien gestern geschrieben. Aber diesen ganzen Unfug von sogenannten engagierten Dramatikern und progressiven Kritikern gab es eben schon damals — nur sahen wir es nicht. Weigel sah es. ■ Es ist wohl kaum ein Zufall, daß er sich Anfang der sechziger Jahre entschloß, Moliere zu übersetzen. Und zwar den ganzen Moliere. Wer etwas vom Übersetzen versteht — das sind fast niemals die Übersetzer — weiß, wie schwer diese Arbeit ist, doppelt, dreifach, zehnfach schwer im Falle Moliere mit seinen gereimten Alexandrinern, mit den Bosheiten, die in Liebenswürdigkeiten gebettet sind. Moliere war natürlich schon viele Male ins Deutsche übersetzt worden, einige Übersetzungen waren gar nicht so schlecht — auch die etwas süßliche verzuckerte! von Ludwig Fulda nicht annähernd so schlecht, wie sie nach seinem Tode gemacht wurde — aber Weigels Ubersetzungen sind etwas Einmaliges.

Es ist schwer, in ein paar Worten zu sagen, woran das liegt. Sicher hat die Gültigkeit seiner Leistungen damit zu tun, daß er sehr viel mit Moliere gemeinsam hat: den Blick für die Fäulnis der Zeit, die Schärfe des Angriffs, die geniale Wortgewandtheit (eine schlechte Vokabel, aber eine treffendere läßt sich nicht finden).

Noch ist der ganze Moliere nicht übersetzt, aber es steht zu hoffen, daß Weigel es schaffen wird.

Ich sagte zu Anfang, es sei schwer, über Weigel zu schreiben. Ich muß es wiederholen. Er ähnelt so vielen — Karl Kraus und Alfred Kerr, Schlegel und Tieck, Nestroy und Meilhac und Halevy, den Textern Offenbachs; vielleicht am meisten und am stärksten Tucholsky, dem viel zu früh verstorbenen Kritiker seiner Zeit, unserer Zeit. Auf jeden Fall ist er, wie sie alle es waren, Zeitkritiker.

Von seinen Büchern wird gesagt, sie seien Liebeserklärungen in Buchform — gemeint sind die Bücher über Theater, über Schauspieler, über Dichter, über die Schweiz, über die Musik und nicht zuletzt über sein geliebtes und immer wieder angegriffenes Österreich. Vielleicht nenne ich diesen Geburtstagsgruß am besten eina Liebeserklärung an Hans Weigel.

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