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Un wörter wörtlich

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Nur wer die Sprache kennt, weiß, was ich leide.

Allzulange schon war mein täglicher Kampf gegen Unwörter und gegen die Satzverstümmelungen, deren sogar FURCHE-Autoren sich schuldig zu machen pflegen, ich selbst nicht ausgenommen, Gegenstand innerredaktioneller Heiterkeit und innerfamiliärer Verhöhnung. Längst schon kein d'Artagnan mehr, mußte ich mich unter Degengeklirr, mit dem Rücken zur Wand, allein gegen ganze Armeen von Phrasen verteidigen, treppauf und treppab fechtend, durch Fenster über Terrassen in Gärten springend, wo die Neubildungen allnächtlich neu und hybrid ins Kraut schießen.

Nun bin ich gerechtfertigt, besser und schöner, als ich es je zu hoffen gewagt hätte, und das hat mit seinem Buch der Hans Weigel getan. Tränen stiegen mir insgeheim in die Augen, als ich es aufschlug und erkannte, daß mein Kampf sein Kampf war, daß er den Feind, den ich, vom Instinkt gewarnt, im Dunkeln bisher nur zu spüren vermochte, längst gestellt und entwaffnet hatte.

So etwa bestätigt Weigel meinen Verdacht, daß das Schauderwort „erstellen“ ursprünglich ein Druckfehler gewesen ist, den Journalisten für ein Wort hielten, das zu gebrauchen sie sich verpflichtet fühlten, weshalb es alsbald auch von Politikern, Tagungsteilnehmern, Interviewge-währern und anderen Wortproduzenten miß- und gebraucht wurde.

Jawohl, gebraucht. Im Sinne von „benützt“ und nicht im Sinne von „benötigt“ wie im Neo-Bundesrepublikanischen üblich, jener in dauernder Rückbildung begriffenen Sprache, deren Entstehung auf die wortgetreue Ubersetzung schwachsinniger amerikanischer Filmdialoge durch Taferlklaßler zurückgeht und die an Abscheulichkeit sogar das Neo-österreichische übertrifft.

Freilich, auch das Neo-Österreichische, in dem das „Ja“ durch „Genau“ ersetzt wurde, kommt ohne angelsächsische Kautschukworte wie „Partner“ nicht mehr aus (was viel zur Aufweichung unserer Begriffe beigetragen hat), es hat auch längst vergessen, daß „praktisch“ nur das Gegenteil von „unpraktisch“ sein, nicht aber „so gut wie“, „geradezu“, „nahezu“ bedeuten kann, es weiß nicht mehr, daß man in indirekter Rede behaupten kann, etwas sei geschehen, wogegen es geschehen wäre, wäre nicht etwas anderes dazwischengetreten, so daß es dann eben doch nicht geschehen konnte, es verlieh „würde“ unverdiente Würden, es verlor, mangels der für überflüssig erklärten klassischen Bildung, die Kenntnis jener Vorvergangenheit, die sich abgespielt hatte noch bevor die Vergangenheit sich abgespielt hat. Aber das Neo österreichische hat sich in einzelnen seiner Bereiche immerhin als widerstandsfähig erwiesen, ähnlich dem Schwyzerdütschen und dem Letze-borg'schen, und .noch besteht Hoffnung, solange ein Hans Weigel in diesem Land lebt. Denn Weigel tritt gegen die seuchenähnliche Vergesellschaftung der Gesellschaft auf, er hat den Schwindel durchschaut und erkannt, daß (o du lieber Augustin!) „in“ in ist, er hat mir (o FURCHE!) bestätigt, daß die guerilla ein Kleinkrieg und kein Kriegerlein ist und daß man französische Wörter (o Setzer!) nicht schreiben kann, ohne Akzente zu setzen, er teilt mein Entsetzen über das Establishment, das jählings über uns hereinbrach; „nun rast es und will seine Opfer haben“. Er scheint auch zu wissen, wieviel Arbeit einem Redigierenden u. a. Leserbr, Manuskr u. dergl. verurs, sofern sie von Abkü usw. nur so wimmeln.

Bibelfest zu sein, gehörte nicht nur einst, es gehört auch heute zur Allgemeinbildung. Und man zitierte nicht nur einst, man zitiert auch heute noch freihändig ein paar wesentliche Stellen aus Goethe, aus Shakespeare, Vergil, Moliere, Homer, vielleicht auch aus Dante, Camöes und Cervantes. Was mich betrifft, so bin ich derzeit damit beschäftigt, „Die Leiden der jungen Wörter“ auswendig zu lernen. Von der ersten bis zur letzten Zeile. Denn „die Markthelfer haben aus unserer angeblichen Neuzeit das Waschmittel-alter gemacht“, und man kann sich gegen den Sturm der Sprach-Hun-nen nur zur Wehr setzen, indem man Hans Weigel zitiert. Fehlerfrei.

DIE LEIDEN DER JUNGEN WÖRTER. Ein Antiwörterbuch von Hans Weigel. Artemis-Verlag, Zürich und München 1974. 176 Seiten.

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