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Der letzte Mohikaner

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Hans Weigel ist für mich, ob es ihm paßt oder nicht, der letzte Mohikaner aus dem Stamm der jüdischen Intellektuellen Wiens, die einst das Kulturleben dieser inzwischen heruntergekommenen Metropole eines entschwundenen riesigen Vielvölkerreichs wesentlich geprägt haben.

Ich lernte ihn im Sommer 1946 kennen, bei einer der öffentlichen Redaktionssitzungen der Zeitschrift „Plan“, die Otto Basil herausgab und ab und zu die präsumtiven Mitarbeiter zu einem Gespräch einlud.

In diesem Sommer, in dem man voll hochfliegender Pläne daranging, aus Wien wieder einmal eine wahrhaft kosmopolitische Kulturstadt zu machen, tauchten in den Räumen des Verlags Erwin Müller, die über dem Opern-Kino lagen, die Heimkehrer aus verschiedenen Richtungen auf, in die sie 1938 vertrieben worden waren. Ich kann mich deutlich an Franz Theodor Csokor erinnern, der in einer zusammengestückelten, eigentlich nur angedeuteten Uniform eines britischen Presseoffiziers aus Italien kam, sowie an Hans Weigel, der in der Schweiz im Exil gewesen war und einen schlichten, grauen Zivilanzug trug.

Von dem ersten Augenblick an, nach seiner Rückkehr in die Heimatstadt, zeigte Hans Weigel ein überaus lebhaftes Interesse für alles, was die jungen Menschen hier dachten, taten und schrieben, und begann zugleich, ihnen bei ihren ersten Gehversuchen zu helfen.

Ihm ist es zu verdanken, daß die erste unverfälschte Aussage über die düstere Zeit des Nationalsozialismus, der Roman „Die größere Hoffnung“ von Ilse Aichinger, 1949 im Bermann-Fischer-Verlag erschien.

Obwohl er sicherlich genug zu tun hatte, um in seiner entfremdeten Heimat wieder Fuß zu fassen, nahm er in diesen mageren Jahren, in denen die Barden des sogenannten tausendjährigen Reiches Max Meli, Karl Heinrich Waggerl, Mirko Jelusics, Bruno Brehm und Konsorten noch immer die Lieblinge der Leser waren, die Rolle des Lektors, Propagandisten und kostenlosen Vermittlers für angehende Literaten auf sich, die mit ihren ersten Schreibversuchen nicht sehr beliebt waren, weil sie gegen den allgemeinen Strom des Vergessens und Verdrängens ankämpften.

Dabei hat er uns, in der Tradition der ermordeten und vertriebenen österreichischen Intellektuellen jüdischer Herkunft aufgewachsen, die Liebe zur deutschen Sprache beigebracht, die von den Nazis mißbraucht und verunstaltet worden ist.

Er hat uns mit seinen zahlreichen satirischen Arbeiten vorgeführt, was echter Humor und eine unbestechliche kritische Haltung heißt. Die frühen fünfziger Jahre, in denen Hans Weigel neben Carl Merz, Helmut Qualtinger, Peter Wehle und Georg Kreisler Texte für Gerhard Bronners „Kleinkunstbühne“ in der Liliengasse lieferte, waren die Sternstunden des Wiener Kabaretts.

Hans Weigel hat uns aber vor allem die Liebe zu Österreich beigebracht, die im Gegensatz zum provinziellen Lodenpatriotismus das Bekenntnis zu einem bunten, aus vielen Nationen und Kulturen bestehenden Gebilde einschließt. Er ist der letzte Mohikaner Mitteleuropas, das trotz vieler verbaler Wiederbelebungsversuche mancher Politiker endgültig untergegangen ist, da es so gut wie keine Juden mehr in unseren Gefilden gibt, die es seinerzeit in deutscher Sprache von seltener Klarheit erfunden, vorgelebt und zwischen Lemberg und Triest, mit Wien als Mittelpunkt, zusammengehalten haben.

Daher meine Liebe zu ihm, so wie er ist, durch das Alter ein bißchen grantig geworden, aber zugleich auch versöhnlich, und noch immer voll unbändiger Neugier auf das, was im weitesten Sinn Literatur und Österreich heißt, denen er sich von Jugend auf verschrieben hat.

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