Ein einfühlsam Liebender

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Hans Weigel 1908-1991

Theaterkritiker

Hans Weigel hat sich von einem Adolf H. und dessen ostmärkischer Gefolgschaft die Liebe zu Österreich nicht verderben lassen: kaum daß der Spuk ein Ende hat, klettert er unweit des Burgtheaters von einem Lastwagen, aus dem Schweizer Exil von Heimweh ins erbärmliche Nachkriegs-Wien zurückgeholt - das Atmosphärische dieser Zeit ist in seinem autobiographisch bestimmten Roman "Unvollendete Symphonie" (1951) zu erspüren. ("Er ist wieder da", hört eine junge Malerin einen Kollegen freundlich konstatieren, und kurz darauf sagt sie sich: "Ich sehe zum ersten Mal einen Juden."). Jahrzehnte später (1989) geht Hans Weigel in einer längeren Abhandlung humanistisch-politischen Inhalts ("Man kann nicht ruhig darüber reden") unter anderem auf seine, dank liberaler Erziehung unproblematisch verlaufene Kindheit und Gymnasialzeit ein - Antisemitisches sei ihm nie widerfahren; zeichnet dann etliche seiner Äußerungen über die ns-Zeit und auch die Zeit danach polemisch nach (zur Anerkennung seiner Mutter als einer Jüdin habe der Trauschein nicht genügt - sie hätte ja vor der Eheschließung eine Nichtjüdin sein können) - nimmt Anstoß, die Bezeichnung Nazi' würde "wahllos für alle jene angewendet, die nicht zu den Opfern Hitlers gehörten" ... der Begriff Holocoust' komme in seinem Wortschatz nicht vor - "Ich gestatte Hollywood-Produzenten nicht, ein Thema dieser Art anzufassen". berichtet recht stolz, Henriette von Schirachs Memoiren gewissermaßen lektoriert, sich Albert Speer vorgestellt wie ja schon früher für die Freilassung von Rudolf Heß unterzeichnet zu haben - mit dieser großzügigen Haltung, die wohl ein Wesenszug war, hat er vielen ans Ex-Nazi-Herz gerührt und es ihnen ermöglicht, den Opfern zu verzeihen ...

Hans Weigels Eigentliches ist in seinen von wissenschaftlichen Zwängen unangekränkelten Betrachtungen zur Literatur, zur Sprache, zum Theater, zur Musik wie auch in seinen, aus Bedachtnahme auf die mit Alexandrinern nicht vertrauten Schauspieler wohlgelungenen Molière-Übersetzungen zu Wort gekommen. ich blättere in seinen, in einem Band gesammelten Theaterkritiken: die Rivalität mit Friedrich Torberg mag ihn zu so witzigen und scharfen Formulierungen angespornt haben, daß auflebt, was längst tot ist.

Daß er aber vor allem ein einfühlsamer Liebender war (weiß Gott, wie viele Liebeserklärungen an Wien und Österreich er auch für Elfriede Ott geschrieben hat!), das dokumentiert sein Essayband "Flucht vor der Größe. Über die Vollendung des Unvollendeten" (1970): Da stellt er einen Franz Schubert einem Mozart an die Seite als einen gleichfalls an den Quellen der Musik Befindlichen, hebt ihn über einen der Reflexion verpflichteten Beethoven hinaus (einmal sagte er zu mir: dürfte er auf der Straße Beethoven begegnen, würde er respektvoll grüßen; träfe er aber mit Mozart zusammen, fiele er in Ohnmacht). in seinem literarischen Geschmack von Karl Kraus geprägt, gelingt auch ihm Bedenkenswertes zu Raimund und Nestroy; des Lehrmeisters Diktum, für eine Zeile von Goethe gäbe er den ganzen Grillparzer hin, hält ihn ab, letzteren ernsthaft zu würdigen. Und in diesem Essayband ist er lang nach Nietzsche einer der ersten, die sich für Adalbert Stifters Stil begeistern. "Die Macht der Ohnmacht", das ist der Untertitel seiner stattlichen Arbeit über Karl Kraus - leitet dessen singuläre Sprachkunst von der nicht geglückten Karriere als ein Schauspieler her, ausgehend von dem Satz "Was ich schreibe, ist gedruckte Schauspielkunst". "Die Leiden der jungen Wörter", ein amüsantes Stichwörterbuch ("Der unbekannte Erfinder, dem wir kreativ verdanken, war nicht sehr schöpferisch", beispielsweise).

Aus Lausbüberei benützt er eine Stampiglie mit der Prägung "Verein zur Verhinderung der Überschätzung Hugo von Hofmannsthals" (der "Jedermann" sei wie auf einer mit gotischen Lettern ausgestatteten Schreibmaschine gedichtet), ist in seinem anmutigen Büchlein "Apropos Musik" auf belustigende Weise auch gegenüber Richard Wagner ungerecht (Zitat aus der Erinnerung: "Man stelle sich einen priesterlichen Dichter vor, der in Entrücktheit um den adäquaten Ausdruck ringt, und dann Jollo-ho-he hinschreibt"), und nicht und nicht hat er einsehen wollen, daß die von ihm verlachten Verse Schillers: "Wollust ward dem Wurm gegeben, / Doch der Cherub steht vor Gott" / grandios sind, aufgrund der Liaison zwischen Lächerlichem und Erhabenem ... Wer in der Schweiz Freunde hat, sollte denen seine Schweizer Impressionen, "Lernt dieses Volk der Hirten kennen" (= Zitat aus dem "Wilhelm Tell"), schenken - sind getragen vom Sentiment eines dort gerettet Gewesenen, bei aller zarten Ironie dann und wann ...

Zu kurz kommt die Dankbarkeit, die viele von uns mittlerweile nicht mehr jungen Autoren für Hans Weigels vielfältige Hilfe haben!

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