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Der Verwandlungskünstler

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Wie viele vor der Jahrhun- dertwende geborenen Schriftsteller, die um 1910 mit expressionistischer Lyrik ihr literarisches Leben be- gannen, hat auch der am 10. Sep- tember 1890 in Prag zur Welt ge- kommene Franz Werf el eine beacht- liche Wandlung durchgemacht. Vom „Weltfreund", wie sein wich- tigster und viel beachteter Lyrik-

band betitelt war, zum Sänger des „Liedes von Bernadette" (1941/42) war es ein weiter und abwechs- lungsreicher Weg.

Die letzte Strophe des 1911 ge- schriebenen Gedichts „Der schöne strahlende Mensch" lautet: „Ich will mich auf den Rasen niedersetzen, / Und mit der Erde in den Abend fahren. / Oh Erde, Abend, Glück, oh auf der Welt sein!!!". Diese sin- nenfreudige und „weltfreundliche" Stimmung, die in vielen vor dem Ersten Weltkrieg geschriebenen Gedichten Werfeis zu finden ist, ließ für den jungen Lyriker sogar die „Fackel" leuchten: Bevor Karl Kraus ab Ende 1911 das rote Heft im Alleingang verfaßte, veröffent- lichte er darin noch einige Ge- dichte Werf eis mit dem Kommentar: „In wessen Liebe die Welt so lie- benswert wird, der schafft dem Weltfeind eine frohe Stunde" (Fackel Nr. 339/47-51).

Noch vor dem „Großen Krieg" stieß Werfel zu dem Leipziger Ex- pressionisten-Kreis, der sich in dem von Ernst Rowohlt abgespaltenen Kurt-Wolf f-Verlag versammelte. Er arbeitete dort eine Zeitlang zusam- men mit Kurt Pinthus als Lektor. Schon damals wurde Werfel von Rainer Maria Rilke als nachfolgen- de Generation begrüßt. Nach einer Begegnung mit Werfel schrieb er 1913 an Hugo von Hofmannsthal: „Alles war da, eine jedenfalls au-

ßergewöhnliche Begabung, eine starke Entschlossenheit zur voll- kommensten Leistung, eine un- erfundene natürliche Noth, nur daß an alledem, letzthin, doch eine fei- ne Fremdheit haftete, ein Geruch wie von anderer Gattung, etwas Unüberwindliches."

Der junge Dichter, im Ersten Weltkrieg an der russischen Front eingesetzt, war einer der wenigen Expressionisten, die nicht in das lyrisch verbrämte Kriegsgeheul ein- stimmten, sondern Werfel machte aus seiner pazifistischen Gesinnung nie ein Hehl. Wie einige österrei- chische Schriftsteller, die Claudio Magris in den sechziger Jahren zu Verklärem der Habsburger-Mon- archie rechnete, weinte Werfel 1918 dem Kaiserreich keine Träne nach - im Gegenteil: Er beteiligte sich an der Seite der radikalen Linken unter Führung Egon Erwin Kischs, Revolutionsparolen skandierend, am Umsturz. Zusammen mit Ro- bert Neumann, der später darüber ironisch berichtete, nahm er an der operettenhaften Erstürmung des Wiener Bankvereins teil: „Der Angriff der Aktivisten vorne wur- de zwar abgeschlagen, aber doch blutlos - Kisch und Werfel kamen nicht weiter, die kapitalistische Hochburg hatte unzarterweise das Tor gesperrt, auch die Kriegslist, der Hemdenverkäufer wolle den Herren dort drinnen bloß seine Muster zeigen, wurde kalt lächelnd abgewehrt." Die damaligen Erfah- rungen beschrieb Werfel zehn Jah- re danach in dem Schlüsselroman „Barbara oder Die Frömmigkeit".

In den zwanziger Jahren profi- lierte sich der sehr bald arrivierte Dichter mit Dramen und Romanen. Schon im März 1922 fand die Ur- aufführung seines „Bocksgesangs" im Wiener Raimundtheater, das damals noch Sprechtheater war, statt und nur wenige Wochen da- nach die österreichische Erstauf- führung des Dramas „Spiegel-

mensch" im Burgtheater. Robert Musil rezensierte diese Aufführun- gen für die „Prager Presse" folgen- dermaßen: „Was die beiden letzten dramatischen Arbeiten Werfeis auszeichnet, ist der schwungvoll erfundene Grundeinfall, die sang- bare und doch tief räumige Leitme- lodie, die Idee... Dieeinzige Einheit ist eigentlich nur die immer neue Variation der einen Grundidee, die sich mit zufälligen Elementen bin- det. Auch der Vers wird davon er- griffen, wie es bei dem nahen Ver- hältnis von Inhalt und Form nicht anders möglich ist; nicht als ob sehr schöne Stellen nicht auch darunter wären, aber ausgewalzter Serien- vers macht sich doch sehr breit: ,Oh, überheb' dich nicht und tritt hinab. So jung du bist, ist dein Geruch doch Grab!' Dazu muß man nicht Werfel sein." Kaum verwun- derlich, daß Musil dem stellenwei- se doch recht pathetischen Autor den Spitznamen „Friedl Feuer- maul" verlieh.

Mitte der zwanziger Jahre ließ Kurt Wolf f schweren Herzens Wer- fel zu dem Wiener Verleger Paul Zsolnay wechseln, der mit Werf eis Roman „Verdi" seine Verlagstore öffnete. Daß dies mehr war, als ein schlichter Verlagswechsel, beweist das 1925 entstandene Stück „Jua- rez und Maximilian", worüber der hellsichtigste und zugleich feinsin- nigste Wiener Theaterkritiker, Al- fred Polgar, für „Die Weltbühne" schrieb: „Das Stück gibt Stadien des Leidensweges, der den sanften Habsburger mit dem Erlöserwillen nach seinem Golgatha führte. (...) Manches allzu Edle und Süßliche im Werk erklärt sich wohl aus des Verfassers idealischer Befangen- heit, aus einer zur Natur geworde- nen dichterischen Gewöhnung,

Erhabenes aus dem Staub zu zie- hen, auch wenn keines drin ist." Mit dem Expressionismus war auch Werfeis Revolutionsbegeisterung zugunsten des habsburgischen Mythos gestorben.

Zehn Jahre später legte Werfel den „jüdischen Weltfreund" end- gültig ab und mutierte zum christ- lichen (Stände)Staatsdichter. An der Seite seiner Frau Alma Mahler empfing er oft Bundeskanzler Kurt Schuschnigg in seiner Villa auf der Hohen Warte. Diese Anbiederung an das latent antisemitische, auto- ritäre Regime in Österreich wurde ihm von manchen ehemaligen Freunden sehr verübelt. So wetter- te Joseph Roth 1937 in einem Brief an Stefan Zweig etwa: „Wir haben genug ,arische' Antisemiten. Wir brauchen keine jüdischen."

Im Dritten Reich längst zum ver-

brannten Dichter geworden, konn- te Werfel beim Einmarsch von Hit- lers Wehrmacht in Österreich von einer Italienreise nicht mehr heim- kehren. Als auch Frankreich, wo- hin er geflüchtet war, von deut- schen Truppen überrollt wird, ge- lobt Werfel über das Wunder von Lourdes einen Roman zu schrei- ben, falls er gerettet würde. Bereits in Kalifornien schreibt er das Buch mit dem Titel „Das Lied von Berna- dette" , das später zum Weltbestsel- ler wurde. Damit war Werfel an der letzten Station seines Lebens ange- langt: Als „Defendor Fidei" stirbt er kurz nach Kriegsende am 26. August 1945 in Beverly Hills. Die „Wandlungen" Franz Werfeis sind insbesondere auch vor dem Hinter- grund literarischer Moden und politischer Konjunkturen zu ver- stehen.

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