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Der Dichter der „Bernadette“

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Franz Werfel — Wort und Antwort. Von Annemarie von Puttkamer. Werkbund-Verlag Würzburg, 1952. 175 Seiten.

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Franz Werfel — Wort und Antwort. Von Annemarie von Puttkamer. Werkbund-Verlag Würzburg, 1952. 175 Seiten.

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Trotz der zahlreichen Bewunderer Franz Werfeis erschien erst sieben Jahre nach seinem Tod die erste eingehende Studie über ihn, über das Wesen seiner Dichtung. Der Grund für das lange Schweigen liegt vielleicht in Werfeis Standort zwischen Judentum und Christentum — letzteres bejahend, sich selbst aber nicht berufen fühlend, so daß er weder als dem einen noch dem anderen ganz zugehörig angesehen werden konnte. A. von Putt-kamers Buch stellt das Problem Israel und Christus in den Mittelpunkt, dieses Thema, das in Werfeis Werdegang von zentraler Bedeutung ist und für unsere Zeit „schicksalhaftes Gewicht“ bekommen hat.

Schon in den Anfängen, inv der frühen Lyrik kommt Werfeis starkes religiöses Empfinden zum Ausdruck. Obwohl Kind der Aufklärung, „ganz Sohn seiner Zeit und doch ihr Widerpart“, ist der Dichter von religiösen Problemen in steigendem Maß bewegt. „Paulus unter den Juden“ gibt das erste große Zeugnis davon: Gamaliel, der Weise und Gerechte, überzeugt von der Unschuld Jesu, aber nicht von seiner Gottessohnschaft, ringt mit dem einstigen Schüler Paulus um den Glauben. Werfel entscheidet sich für keinen von beiden, er zeichnet den tragischen Endpunkt auf der einen Seite und das anbrechende Neue auf der anderen; „der Kampf geht durch seine eigene Seele.“ In Form eines zum Scheitern verurteilten Versöhnungsversuches zwischen Synagoge und Kirche, den der assimilierte Jude Engländer unternahm und an dem er zugrunde ging, erscheint der Gegensatz auch in „Barbara oder Die Frömmigkeit“. — Noch einmal beschwört Werfel Kirche und Judentum herauf: in dem Zukunftsroman „Stern der Ungeborenen“, dem Buch, „das in ihm angelegt war seit seiner frühesten Jugend“, erscheinen sie verkörpert in den Gestalten des Großbischofs und Saul Minjonmans als einzige Mächte, die sich nach hunderttausend Jahren unverändert erhalten haben. Der Großbischof hört aus dem Munde des den Anfängen der Menschheit entstammenden F. W. das Bekenntnis seines Glaubens. Es folgt das Gespräch F. W.s mit Minjon-man, aus dem Werfeis Grundanschauung über Judentum und Christentum hervorgeht: „Die Kirche und Israel müssen für einander zeugen, beide aber Christum bezeugen, die Kirche durch ihr positives Zeugnis, während es auf dieser Erde Israels Schicksal ist, durch Leid und Verfolgung und Zerstreuung negatives Zeugnis zu geben.“ — Werfel hatte sich im Lauf der Jahre umfassende theologische Kenntnisse angeeignet; seine noch zuwenig bekannten „Theologumena“ geben Zeugnis hievon. Es ist nicht allein geistiges Forschen, seine Seele ringt um das Christentum.

In seinem Vortrag „Können wir ohne Gottesglauben leben?“, in dem er sich mit dem Nihilismus und seiner Gefolgschaft auseinandersetzt, sagt er: „Diese Welt... kann seelisch nur geheilt werden, wenn sie den Weg zum echten Christentum wiederfindet.“ Die Lehre Christi sei: „ ... so muß die tiefere Einsicht bekennen — nicht nur nicht erschöpft, sondern kaum geahnt...“ — Der Verfolgung entwichen, schreibt Werfel, um ein Versprechen einzulösen, „Das Lied von Bernadette“, die Verherrlichung des Glaubens. Das Buch vom Film unterscheidend, dessen Hauptakzent auf dem Wunder liegt, hebt die Verfasserin hervor, daß „nicht das Wunder, sondern Bernadettes Glaube“ den Inhalt bildet.

A. von Puttkamer untersucht eingehend die Gründe, aus welchen Werfel solange extra muros blieb, Gründe, die er großenteils in den „Theologumena“ selber anführt: „ ... wie christusgläubig er (der Jude) im Einzelfall auch immer sein mag, es ist ihm von der Tiefe der Fakten her... tragisch verwehrt, Christ zu sein...“ Werfeis Scheu, sich von den Bedrohten und Verfolgten zu trennen, war mitbestimmend, aber nicht ausschlaggebend für ihn. „Das entscheidende Faktum“ war, wie die Verfasserin darlegt, das „negative Zeugnis, das er mit dem ganzen alten Gottesvolk für ihn (den Messias) ablegt“.

Mit sicherem Einfühlungsvermögen in Werfeis Wesen und genauer Kenntnis seines Werkes deutet A. von Puttkamer auch auf die anderen Probleme hin, die den Dichter bewegten. In dem frühen Gedicht „Vater und Sohn“ schon mit aller Schärfe sich ankündigend, bleibt der Gegensatz der Generationen eines der Themen, die den Kern einer Reihe seiner Bücher bilden und bis zuletzt („Stern der Ungeborenen“) wiederkehren. Ein anderer Gedanke, der Werfel bewegt, ist die innere Läuterung des Menschen, wie sie an den Hauptgestalten des „Maximilian und Juarez“ und der „Vierzig Tage des Musa Dagh“ zum Ausdruck kommt. — In der Lyrik — und zwar schon in der allerersten — nimmt die Auseinandersetzung mit dem Tod breiten Raum ein und kehrt immer eindringlicher in den späten Werken wieder; erschütternd ist das Gedicht „Der Tod hat mich im Tanz geschwenkt“.

Im Bewußtsein des nahenden Todes, mit der Erfahrung, die Werfel durch seine schwere Krankheit zuteil geworden war, aber auch mit dem sicheren Wissen, daß der Tod nichts Endgültiges ist, schreibt der Dichter den „Stern der Ungeborenen“, das Werk, dessen innerster Kern das Todeserlebnis ist.

A. von Puttkamers Buch, das mit starker innerer Anteilnahme und in klarer, eindringlicher Sprache geschrieben ist, entwirft ein überaus lebendiges Bild von Werfeis künstlerischem Werdegang und vor allem vom Ideengehalt und Wesen seines Werkes. Es ist das besondere Verdienst der Verfasserin, die Person des Dichters nicht allein ins literarische Blickfeld gerückt, sondern seine Bedeutung innerhalb unseres Zeitgeschehens und auf höherer Ebene beleuchtet zu haben. — Bei der Fülle von Fragen, die sich infolge der Vielseitigkeit Werfeis ergeben, nimmt es nicht wunder, wenn nicht alle gleich eingehend behandelt sind und das Thema literarisch noch nicht erschöpft ist — dies lag ja auch nicht in der Absicht der Verfasserin. Ihre Arbeit ist — trotz bescheidenem Umfanges — jedenfalls grundlegend und jede künftige Studie über den Dichter wird sich an ihr orientieren müsi.

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