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Vorlaute Intendanten

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Vor einiger Zeit sprach der geistreiche Kritiker und Theatermann Dr. Ruppel über die Situation der deutschsprachigen Dramatik nach Befragung einiger Intendanten im Süddeutschen Sender. Die Enquete kam einer Stäupung der Autoren gleich.

Seit die Phönizier den Theaterintendanten erfunden haben, werden mit der Regelmäßigkeit der Schwalbe alljährlich Presse und Rundfunk aufgeboten, um das Wehgeheul über den Niedergang der deutschsprachigen Dramatik anzustinunen.. Auch die Saison 1951 52 wurde mit nicht mehr ungewöhnlichem Jammergeschrei namhafter Intendanten eingeläutet. Diesmal war es der sehr sympathische Sender in Stuttgart, der sich zum Sprachrohr der gequälten Theaterleute machte. Und der hochgeschätzte Dr. Ruppel, als Theaterreferent geachtet, als Dramaturg und Bühnenfachmann anerkannt, machte sich zum Chorführer.

Für einen Dramatiker ist es herzbewegend, zu sehen und zu hören, daß die Intendanten unserer Tage, also etwa Gründgens, Bar- log, Sellner, Hering, die nämlichen Erkenntnisse verbreiten, wie die alten Intendanten von 1900. Wenn man den kundigen Thebanern glaubt, dann ist seit nahezu 100 Jahren die Fertigkeit ausgestorben, Brauchbares für die Bühne zu schreiben. Seltsamerweise ist dann aus den damals von den Theaterleitern und Dramaturgen geschmähten Hauptmann, Wedekind, Halbe Sudermann, Kaiser, Kraus doch etwas geworden. Das liegt vermutlich daran, daß es neben den Intendanten, die den Zeitgeist beklagen, andere geben muß, die sich die Mühe geben, sich mit ihm zu befassen.

Diese Tatsache allein sollte den heutigen Dramatikern Veranlassung sein, das Kampfgeschrei nicht wichtiger zu nehmen, als es ist; vor allem sollte sie den modernen Dichter davor bewahren, mit gleicher Münze heimzuzahlen. Die genannten Herren hatten in ihrer Radioverlautbarung die Güte, die deutschsprachigen Autoren teils zu beschimpfen, teils herabzusetzen, teils mit Schulzeugnissen zu versehen und teils als nicht-existent zu bezeichnen. Jene Verfasser, die sich zu wehren wünschten, wurden mit dem Bakel und erhobenen) Zeigefinger ermahnt, sich anständig aufzuführen, widrigenfalls sie das Ziel der Klasse nicht erreichen würden. Kurzum: der tiefschürfende Schulmeisterton wurde vorzüglich getroffen.

Was mich persönlich anbetrifft, so gewinne ich auch einem abnorm gekrümmten Hinterbein einer Stubenfliege noch Interesse ab; ich fühle mich durch kein noch so barsches Wort getroffen und gönne einem jeglichem, ob Intendant oder Maroniverkäufer, sein freies Wort. Und nur wenn aus Unbesonnenheit ein allgemeiner Schaden angerichtet wird, nehme ich Anlaß, um Mäßigung' zu bitten.

Ein solcher Anlaß scheint gegeben zu sein.

Als der Süddeutsche Rundfunk zu seiner Plauderei ansetzte, war bei mir der prachtvolle französische Literaturkenner, Professor Ducouisier, zu Gaste. Wir hatten im Radioprogramm die Ankündigung der Intendantengespräche gefunden und waren bereit, zu lauschen. Eine Stunde vorher beschäftigten wir uns mit der Tatsache, daß die österreichischen und deutschen Bühnen mit großer Bereitwilligkeit die Früchte aus fremden Gärten servieren, während die französischen und angelsächsischen Theater nur sehr zögernd unsere Dramen ihrem Publikum anbieten. Man könnte das mit einer allgemeinen Ablehnung begründen, die mit dem Krieg und dem ver- wichenen System zusammenhängt. Aber das wäre wohl ein oberflächlicher Grund. Zwischen 1918 und 1939 — im Raum von 20 Jahren also — wurden in Paris nur zwei deutschsprachige Stücke: eines von Gerhart Hauptmann und eines von Ferdinand Bruckner, gezeigt. Die Aufführungen in England und Amerika waren zahlreicher, jedoch keineswegs bedeutend, und gewiß nicht so, daß die Literaturfreunde beider Länder vom Theater her eine genaue Kenntnis der deutschen und österreichischen Produktion empfangen hätten.

Während wir noch nach den Gründen forschten, meldete sich der Sender. Die Intendanten wunden befragt; sie gaben Antwort. Und als der gelehrte Dr. Ruppel sein Schlußwort gesprochen hatte, lächelte der Professor, stieß mich an’und sagte:

„Jetzt wissen wir es: weil Ihre eigenen geistigen Kapazitäten nichts vom dramatischen Wert Ihrer Bühnenautoren halten. Es ist gewiß sehr anspomend und aneifernd, sich vom Selbstlob freizuhalten und die schaffenden Kräfte kritisch zu betrachten. Das tun w i r auch, vielleicht noch inniger, noch beteiligter. Aber wir würden doch kaum wohl auf den Gedanken kommen, per Richtstrahler in alle Welt zu funken, daß wir keine Dichter haben. Was ja notabene in Ihrem Falle nicht einmal stimmt. Und hätten wir nur fünf, zwei, einen

— nun so würden wir diese fünf, zwei, einen der großen Welt vorstellen. Können Sie es uns — unseren Theaterleuten und unserem Publikum — verdenken, wenn sie sagen: ,Die deutsche Geisteselite verkündet ja selbst, daß es keine Gegenwartsdramatik gibt. Sollen wir uns mit Nicht-Vorhandenem belasten?'"

Hei, es würde mir einen diabolischen Spaß bereiten, die vorlauten Schulmeister-Intendanten einmal in ein Klassenzimmer zu sperren, um ihnen Gelegenheit zu geben, vor dem französischen Professor eine Prüfung abzulegen; denn ich bin überzeugt, daß der Mann von der Loire eine größere Kenntnis der zeitgenössischen schweizerischen, österreichischen und deutschen Dramenproduktion hat, als die Männer von Spree, Rhein, Elbe und Donau.

Denn: er hat weniger zu tun, als die Herren, auf denen das Intendanzgeschäft lastet. Dieser Satz ist nicht höhnisch gemeint. Er soll mich daran erinnern, daß wir nicht weiterkommen, wenn ich Gleidies mit Gleichem vergelte, Beschimpfung auf Beschimpfung setze und Abgunst auf Abgunst.

So bleiben denn die Verdienste der berühmten Leute ungeschmälert. Da sie aber in der Öffentlichkeit eine Meinung kundgemacht haben, die ihnen im Salon keiner verübelt, die man auf dem lauten Markt aber ankreiden muß, habe ich — den die Araber Abu '1 Missaqh, den „Vater der Behutsamkeit“ nennen — das geben müssen, was die Tarockspieler im Süden und die Skatspieler im Norden unter „kontra“ verstehen.

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