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Trauerspiel hinter den Kulissen

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Ort des Geschehens: Das Büro eines Intendanten in einem Theater, irgendwo zwischen Wien und Hamburg.

Personen: Der Intendant und der Dramaturg. Der Intendant zündet sich gerade eine neue Zigarette an, es ist die sechste in einer Viertelstunde, drei liegen kaum halb geraucht im Aschenbecher, er lehnt sich zurück und sagt zum Dramaturgen: „So weit, so schön, mein Lieber …"

Wie bitte? Halt, Vorhang runter! Hat da jemand gedacht? Eine seriöse Überlegung über die Situation in deutschen Landen kön- Nne nicht so anfangen wie d^s, was Sie da gerade lesen, meinen Sie? Habferi Sie eine Ahnung!

Also gut, zugegeben, beim 9. österreichischen Theatertag in

Bregenz wurde überaus ernsthaft über das Theater geredet. Intendanten beklagten die Aufblähung der Verwaltungsapparate, die Verständnislosigkeit mancher städtischer Kulturbehörden, die miese Qualität der neuen Stücke neben der dichterischen Potenz eines Schillers, den konservativen Geschmack eines überalterten Publikums. Und natürlich die Einengung des Schöpferischen durch die Sachzwänge. Und natürlich die nervlichen Strapazen ihres Jobs. Und das Fehlen schnell für den Tag geschriebener Stücke. Und die Entfremdung des Theaters insgesamt.

Natürlich betete keiner die ganze Liste runter. Doch per Saldo blieb kein’ Intendantenleid unbe- klagt.

Liebe Leser, seien wir ehrlich — einen seriösen Bericht über alles das in Prosa brächten Sie doch niemals zustande, und niemand könnte Sie darob schelten!

Lassen wir also lieber den Vorhang wieder aufgehen. Die Dekoration ist noch immer dieselbe, doch der Intendant ist inzwischen bei der neunten Zigarette, die Halbgerauchten liegen kreuz und quer, man will sich ja nicht den Tod holen.

„Mein Lieber“, sagt der Intendant zum Dramaturgen, „das Goethe-Großprojekt ist also ab

FURCHE-Wettbewerb für christliche Literatur, Lyrik

Noch 24 Tage bis zum Einsendeschluß am 30. April 1983. Die Manuskripte sind in zwei Exemplaren unter einem Kennwort an den Verlag Styria, Schönaugasse 64, A-8020 Graz, zu senden (Auskünfte beim Verlag).

gesegnet. Einer kleinen Etatüberschreitung sehe ich mit Ruhe entgegen. Wenn wir die Iphigenie im städtischen Strandbad spielen und für die Stella-Aufführung ein übel beleumundetes Nachtcafe anmieten, haben wir die Presse voll hinter uns, und wenn die Presse voll hinter uns steht, kriegen wir auch das Geld. Der Rest des Spielplanes steht auch — nur ein Problem ist ungelöst. Wir brauchen einen lebenden deutschsprachigen Autor. Wenn möglich, eine Uraufführung.“

Der Dramaturg flüstert einen Namen.

„Der schreibt doch nur Zweipersonenstücke! Wir brauchen etwas für das große Haus!“

Der Dramaturg flüstert einen anderen Namen.

„Sein neues Stück hat 15 Rollen, woher nehme ich so viele Leute — neben dem Goethe-Projekt?“

Der Dramaturg flüstert einen weiteren Namen.

„Sie wissen doch, daß der Meier den nicht mag, und der Meier muß Regie führen, wenn der Müller und der Schulz das Goethe-Projekt machen!“

Der Dramaturg flüstert noch einen Namen.

„Der verlangt doch immer eine Garantiesumme, wie soll ich die aufbringen, neben dem Goethe- Projekt? Was käme noch in Frage?“

Der Dramaturg brütet vor sich hin.

„Sehen Sie, da haben wir es! Die heutigen Autoren schreiben keine brauchbaren Stücke!“

Ortswechsel. Ein anderes deutsches Theater. Ein anderer Intendant, im Gespräch mit… Wie bitte? Ja, Sie haben recht. Natürlich haben die österreichischen Theater Direktoren. Aber die meisten deutschen Theater tun es nun einmal nicht unter einem Intendanten, zum Teil haben sie sogar Generalintendanten, und wir wollen doch nicht provinziell sein, und da zum Theatertag immer die deutschen Gäste anreisen, und wir doch niemanden unter seinem Titel anre- den wollen, wäre es wirklich unpassend gewesen, vom „Theaterdirektor zwischen Kunst und Ma nagement“ zu reden. Sie sehen also ein, daß es heißen mußte: „Der Intendant zwischen Kunst und Management.“ Theaterdirektor klingt anschaulicher? Zugegeben. Aber Intendant klingt bedeutender. Zugegeben? Na also!

Ein anderer Intendant also im Gespräch mit einem Regisseur, der sagt: „Ich würde heuer gerne einen Grillparzer machen. König Ottokars Glück und Ende.“

„Aber gehn S’“, antwortet ihm der Intendant, „der Ottokar ist doch schon fad!“

„Eben drum“, sagt der Regisseur, „weil er fad ist, muß man ihn bearbeiten. Ich habe auch schon ein Konzept, wie wir die beginnende Nazizeit hineinbringen und den ganz großen Bogen zur Gegenwart schlagen!“

„Das würde ich mich nicht trau en“, sagt der Intendant, „ich weiß auch nicht, warum die Leut’ bei uns so einen Respekt vor dem Grillparzer haben. Haben wir keinen Shakespeare zum Bearbeiten? Bei dem ist dann ein jeder ganz irr vor Neugierde, wie das Stück denn jetzt ausgeht. Wie wäre es mit einem aktuellen Lear?“ „Danke, ich passe, beim Lear ist das Bearbeiten so anspruchsvoll, daß es sich nicht auszahlt, bei den Tantiemen. Ich bin ja schließlich kein Autor. Ich bin Regisseur. Ich muß von was leben“, sagt der Regisseur, „den Grillparzer oder nichts!“

„Schön“, sagte der Intendant, „wenn es sein muß, dann machen Sie halt den Grillparzer. Die Kritiker werden geifern, das sehe ich jetzt schon, aber ich bin ja Kummer gewöhnt, ich habe einen breiten Rücken.“

Wenig später belauschen wir denselben Intendanten — er plaudert mit einem Autor: „Schaun S’, die Welt ist voll von Ereignissen! Was sich heute alles tut! Die Probleme! All die Themen! Warum macht Ihr Autoren denn nichts daraus?“

Der Autor: „Ich habe da ein ganz brennheißes, unerhört aktuelles Stück zum Thema…”

Er flüstert etwas. Der Blick des Intendanten wird bodenlos, die Stimme tonlos: „Wir werden das prüfen. Ich bin gespannt. Wir lesen es sicher. Sie bekommen wahrscheinlich noch in diesem Jahr Bescheid. Haben Sie noch was auf Lager? Ideen? Sie wissen, ich schätze Sie!“

Der Autor flüstert etwas. „Interessant. So aktuell, daß wir uns schon etwas dazu haben einfallen lassen. Unsere kommende Ödipus-Inszenierung nimmt darauf optisch Bezug. Noch was?“ Der Autor flüstert etwas.

„Ja, die Atomkriegsgefahr! Ja, ja! Wir nehmen mit unseren Bühnenbildern zum Hamlet dazu Stellung — übrigens sehr engagiert. Müssen Sie sich anschauen. Sonst haben Sie nichts im Köcher?“ v Der Autor flüstert etwas.

„Ja, die Umweltverschmutzung! Finden Sie nicht, daß beim Kleist darüber eine Menge steht? Natürlich muß es die Regie herauskitzeln.“

Eine Stunde später läßt sich der Intendant (oder Direktor) zwei seiner Dramaturgen kommen: „Meine Herren, wir haben eine Lücke im Spielplan. Ich will auf Nummer Sicher gehen. Schaffen Sie in drei Wochen eine Bühnenbearbeitung von Dostojewskis Erinnerungen aus einem Totenhaus? Ich habe gestern einen Bericht von Amnesty International gelesen. Gräßlich, was dort steht. Aber die Autoren schreiben ja immer denselben Käse.“

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