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„A weng zweng“
Lange er iiber die bereits vorbe-reiteten, einstudierten Dinge referiert, wirkt er eher farblos. Erst wenn die kleinen Parteifreunde aber mit dem ParteiboB hart ins Gericht gehen, ihm so richtig ihre Meinung sagen, mit ihm in den Clinch treten, legt er seine Zuriickhaltung ab. Erst wenn Schleinzer gefordert wird, argum.entiert er so, wie es eigentlich die Offentlichkeit von dem Obmann einer Oppositionspartei erwartet: sachlich, hart und ener-gisch. Die Frage, die man sich stellt, ist bloB: weiB Schleinzer dies selbst? Hat man es ihm in seiner Umgebung schon je gesagt?
Es ist zu offensichtlich: Die Par-teistrategen konnen offenbar noch immer nicht ganz umdenken. Sie wissen zwar, daB das Parteivolk iiber mangelnden Kontakt mit der Parteispitze klagt; aber man veranstaltet noch immer soge-nannte Informationsreisen, die bloB Wahlreisen in Miniaturaus-gabe sind. Statt Betriebsbesuchen, Eroffnungen von diversen' Veran-staltungen, sollte man sich wahr-scheinlich mehr Zeit fiir den Ein-zelnen und seine Probleme nehmen. Eine halbe Stunde Referat und Diskussion ist einfach zu-wenig. Man hort sich zwar die Klagen an, aber man hat bisher noch nichts davon bemerkt, daB man sie auch umsetzt, also zum Beispiel daran geht, den Infor-mationsfluB von „oben nach unten“ zu verstarken, zu verbes-sern.
Zwei Monate, ein Sechstel des Jahres der Parteiarbeit sind bereits verstrichen — und was ist geschehen, fragen Funktionare. „A weng zweng“, wie sich ein kleiner Tiroler OVP-Funktionar beim Besuch des Parteiobmannes in Tirol selbst die Antwort gab.
Betriebsbesuch. Pressegesprach mit Lokalzeitung. Kleine Jause mit Personlichkeiten. Besuch im Rentnerheim. Besichtigung der Bezirksparteileitung. Mitarbei-terkonferenz. Eroffnung einer Sportveranstaltung. Mitglieder-und Aktivistenkonferenz. Diskussion iiber das Grundsatzpro-gramm. Besuch eines Goldenen Hochzeitspaares. Funktionare-tagung.
Kein Programm einer Wahl-reise, sondern das Programm einer sogenannten Informations-reise durch die Bundeslander im Nichtwahljahr 1972: Die Partei-spitze der OVP ist wieder unter-wegs.
Unter der Woche halt man sich im „Trockendock“ auf, aber am Wochenende macht man Landaus-fliige. Am vergangenen Wochenende trampte Bundesparteiob-mann Schleinzer durch Nieder-osterreich. Es ist nach Tirol das zweite Bundesland, das der OVP-BoB in diesem Jahr heimsuchte. Und die restlichen sieben werden noch bis zum Sommer folgen.
Eigentlich, das zeigt der Pro-grammablauf, besteht kein Unterschied zu einer Wahlreise. Es fehlt nur die Marketenderin, die ein „Schnapsei“ an den Gast und seine Begleitung ausschenkt. Und es fehlt das Publikum auf der StraBe. Ansonsten ist der Rhythmus derselbe wie vor einem Jahr: Man steigt aus dem Auto, dann folgt das Shakehands mit den ortlichenj Parteibossen, Karl Schleinzer verteilt ein kleines Lacheln an voriibereilende Per-sonen, halt eine Rede vor Funktionaren, es kommt zu einer Diskussion und schon geht es wieder ab mit dem Auto.
Morgens ist das Programm noch in Ordnung. Die Reise be-ginnt punktlich. In den Abend-stunden hat man meist gewaltige Verspatungen. Denn, das Programm kann nicht eingehalten werden. Nicht, weil die Begeiste-rung im Volk so groB ist, sondern die Fragen der Parteifunktionare so zahlreich sind. Man hat einen Oberraschungseffekt nicht einkal-kuliert: daB die Funktionare zahlreich erscheinen und noch dazu so viele Fragen stellen.
Denn drauBen, bei den kleinen Funktionaren, zeigt sich die echte Situation, in der sich die OVP be-findet. An der Spitze mogen ja „geordnete Verhaltnisse“ herr-schen, das Parteivolk aber murrt. Man spurt auch die Ursache: das „mittlere Management“, das einerseits fiir den richtigen Schwung der Parteiarbeit, ander-seits fiir die Briickenfunktion zwischen Partei und Parteivolk verantwortlich ware, ist offenbar mehr mit sich selbst als mit dieser fiir eine Partei lebensnotwen-digen Aufgaben befafit. Die Folge da von: es fehlt den kleinen Funktionaren einfach an Ver-standnis fiir gewisse Dinge.
So etwa wissen sie, wie sie sagen, nur sehr wenig mit dem neuen Grundsatzprogramm anzu-fangen. Fiir sie sind das alles theoretische Dinge, die sie einfach nicht in die Praxis der Parteiarbeit umsetzen konnen. Sie wol-len kein „Parteichinesisch“, sondern handfeste Argumente, einfach, stichhaltig und verstandiich. Und Sie fiihlen sich zum Bei-spiel vor allem schlecht infor-miert.
Und man hort auch drauBen bei den Funktionaren Kritik am politischen Stil. Das permanente Selbstkritisieren der OvP sei ja recht schon, aber was bringt es auf lange Sicht? Die Leute wollen nicht mehr horen, wie kritisch die Situation ist, das wissen sie bereits, sondern wie man aus der Malaise herausfinden konnte, wie es die OVP besser machen wurde.
In jedem Ort, bei jeder Diskussion begegnet man ahnlichen Situationen. Schleinzer ist ein ge-duldiger Mensch. Er hort auf-merksam den Leuten zu und ver-spricht, daB man sich diese Dinge iiberlegen vverde. Solange Schleinzer von den Leuten mit G!ace-handschuhen behandelt wird, so-
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